Brennende Autos als Wahlkampfmotiv
Alle die glaubten, der Berliner Wahlkampf würde irgendwo auf halbem Wege zwischen Berlin-Versteher Wowereit und der Berlin-für- alle-Renate einschlafen, sieht sich eines Besseren belehrt. Eine Woche lang brannten nächtlich Autos und die Berliner Politik hat ein Wahlkampfthema. CDU und FDP versuchen mit eilig aufgelegten Plakatserien aus ihren abgeschlagenen Positionen herauszukommen und die Berliner Lokalpresse hat einen neuen Dauerbrenner auf den Titelseiten. Die CDU Tempelhof-Schöneberg setzte sogar 2.000 Euro Kopfgeld zur Ergreifung der Brandstifter aus. Ordnungspolitik und Kriminalpolitik war schon immer ein dankbares Thema für schlichte Gemüter und Parteien, die zu komplizierteren Fragen der Stadtentwicklung keine Antworten zu bieten haben.
Die klare Positionierung ist dabei erstaunlich, denn eigentlich weiß niemand, was und wer hinter den Brandstiftungen steckt. Die amtierende Polizeipräsidentin schließt organisierte Linke weitgehend aus.
Unsere These ist zurzeit: Die Taten in den letzten Nächten sprechen nicht für Täter aus der linksextremen Szene. Diese Szene stellt sich gegen die Taten. In der Szene sind diese Taten nicht mehr vermittelbar. Es ist kein politisches Ziel damit erreichbar, anders als 2009. (TSP: Polizeichefin Koppers zu den Autobränden)
Und auch die räumliche Struktur der Brandstiftungen und die ausgewählten Marken lassen sich nur schwerlich in das noch vor zwei Jahren so beliebte Muster der linksradikalen Kiez-Taliban gegen Gentrification pressen.
Auch in den letzten Nächten brannten kaum „Luxusfahrzeuge“, sondern vor allem Mittelklassewagen. Die Quote der „hochwertigen“ Fahrzeuge ist in diesem Jahr deutlich gesunken. Nur etwa 20 Prozent hatten nach Polizeiangaben einen Zeitwert von über 30 000 Euro. Im Jahr 2009 – bislang das Rekordjahr bei angezündeten Autos, waren noch über 60 Prozent „hochwertig“. Offensichtlich sei es den Zündlern egal, was sie anstecken, sagte ein Ermittler… (TSP: Anschläge auf die Mittelklasse)
Auch die Geographie der Brandanschläge lässt keinen wirklichen Zusammenhang zu den klassischen und umkämpften Aufwertungsgebieten erkennen und der einzige statistische Zusammenhang scheinen die stadtweit steigenden Mieten zu sein.
Vor dem Hintergrund der Londoner Riots stellen Politiker und Medienvertreter die bange Frage, ob wir auf Londoner Verhältnisse zusteuern. Das 3sat-Nachrichtenmagazin Kulturzeit hat mich zu entsprechenden Themen befragt.
Der Vergleich von brennenden Autos in Berlin mit dem Aufstand von London scheint sich sich angesichts der unterschiedlichen Ausmaße zu verbieten. Doch die vermuteten Hintergründe sollten zu denken geben. Rowland Atkinson, Kollege und Gentrificationexperte von der University York, durfte in der ZEIT erklären „Die Krawalle in Großbritannien waren vorhersehbar„. Die Begründung unterscheidet sich nicht wirklich von den hiesigen Verhältnissen:
Die Wirtschaftskrise hat den Blick auf die Doppelmoral der britischen politischen Klasse gelenkt. Sie repräsentiert die reichen Wahlbezirke, die relativ unversehrt vom neuen Sparkurs bleiben. Es herrscht eine Geografie der sozialen Ungleichheit. 30 Jahre ungezügelter Kapitalismus, exklusiver Wohnungsmarkt, Gentrifizierung und die ständige Ermunterung, über die eigenen Verhältnisse zu leben, haben viele Menschen verbittert und der britischen Gesellschaft entfremdet.
Nach allem was wir bisher wissen, scheint das Kennzeichen des Londoner Aufstandes ja vor allem zu sein, dass es keine klare Botschaft gibt, dass er kein eindeutiges räumliches Muster aufweist und auch die Zusammensetzung auf der Straße kaum Rückschlüsse auf einzelne soziale oder ethnische Gruppen zulässt.
Unter den Festgenommenen sind Kinder und Jugendliche aus den Londoner Sozialwohnungs-Ghettos ebenso vertreten wie Mittelklasse-Kids von elitären Privatschulen. Die Krawalle verschließen sich einer klassischen Ursache-Wirkungs-Erklärung, weil es ganz offensichtlich überlagernde Motivlagen gibt. Umverteilungsaspekte von Plünderungen haben andere Ursachen als die scheinbar ziellosen Zerstörungswut, oder ein aufgestauter Hass auf die Polizei oder die abendliche Kompensation des schulischen oder beruflichen Leistungsdruckes.
Aufstände wie in London sind gerade in ihrer scheinbaren Ziellosigkeit Ausdruck der wachsenden Desintegration in den westlichen Gesellschaften. Und eben darin liegt auch die Vergleichbarkeit zur Berliner Situation.
Unsere Gesellschaft ist ja grundsätzlich nach ähnlichen Prinzipien organisiert und Leistungsdruck, soziale Polarisierung und Diskriminierungserfahrungen sind keine britische Besonderheit sondern prägen auch in unseren Städten den Standard des Alltags für Hunderttausende. Unterschiede gibt es im Ausmaß und der Ausprägung der sozialen und auch räumlichen Ausgrenzungsprozesse. Großbritannien hat einfach 15 Jahre Vorsprung beim Abbau des Sozialstaates – doch der Trend der Stadtpolitik weist in genau diese Richtung. Letztendlich ist aber die Logik von Aufständen und Revolten aus sozialen, kulturellen und räumlichen Parametern nicht ableitbar. Auslösende Momente wie etwa ein tödlicher Polizeieinsatz und begünstigende Faktoren wie ein lauer Sommerabend können nur schwerlich vorhergesagt werden. Wir wissen nicht wann es passiert, wir wissen nicht wo es beginnen wird. Aber wenn es soweit ist, werden wir zumindest sagen können, wir haben es geahnt.