"Flanierstraße": Neuköllner Straßenkunst via Kunstreuter.de
Fast immer wenn irgendwo über Gentrification diskutiert wird, ist die Künstler-Debatte nicht weit. Dass Kulturproduzent/innen und ihre Einrichtungen und Aktivitäten Stadtentwicklungsprozesse beeinflussen, ist dabei unumstritten – ob sie tatsächlich Auslöser und Motoren von Aufwertungsprozessen sind, nicht. Doch gerade die Ambivalenz von Kunst und Kultur sind ein beliebtes und wiederkehrendes Motiv vieler Gentrification-Reportagen. Die Räumungsdrohungen gegen einige inzwischen etablierten Kultureinrichtungen in Berlin-Mitte (Tacheles und c/o Berlin) haben das Thema mal wieder in die Schlagzeilen gebracht. Die ’Pioniere als tragische Gestalten der Gentrification’ sind ja auch wirklich ein dankbares Sujet für die Berichterstattung.
Bei Deutschlandradio Kultur wurde unter dem Titel „Linke gegen Künstler: Die Berliner Gentrifizierungsdebatte“ (mp3) darüber sinniert, warum das Tacheles aus der linken Szene so wenig Unterstützung gegen die Räumung bekommt.
Alles ist wie immer. Kommerz vertreibt Kreative – ganz klar, wer moralisch im Recht ist. Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches: Kaum jemand solidarisierte sich mit den Mietschuldnern vom Tacheles. Das alte Bündnis zwischen Kunst und Alternativszene – auf einmal schien es aufgekündigt…“
In meiner Interpretation ist das die Quittung für 20 Jahre Ignoranz des Tacheles gegenüber den Aufwertungsprozessen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Möglichkeiten, gegen Verdrängung und Kommerzialisierung aufzubegehren, hat es in der Vergangenheit in der Spandauer Vorstadt (das ist die Gegend rund um den Hackeschen Markt) vielfach gegeben – das Tacheles war nie dabei und hat sich als Teil der touristischen Berlin-Vermarktung eingerichtet.
Der Radio-Beitrag berichtet nicht nur über das räumungsbedrohte Kunsthaus in der Oranienburger Straße, sondern ganz generalisieren über einen „tiefen Riss zwischen Künstler/innen und politischen Aktivist/innen bis hin zur offenen Feindseligkeit“. Der im Beitrag befragte Künstler Martin Steffens (48 Stunden Neukölln) versteht die Situation nicht und findet, dass doch alle in einem Boot sitzen. Insbesondere hätte die Künstler/innen selbst keine ökonomischen Vorteile von der Aufwertung und sollten daher auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden:
Ich bin auf jeden Fall sehr erschreckt, dass es zum Teil Gewaltdrohungen gegen Künstler und künstlerische Orte gibt. Da ist schon eine gewisse Verblendung dabei. Die Alternative wäre die Auflage, dass Künstler ‘undercover’ arbeiten und ihre Kunst dann irgendwie doch woanders zeigen. Und es stellt sich auch die Frage was aus Neukölln würde, wenn es keinen positiven Trend gäbe.
Vielleicht ist es ja diese Eigenwahrnehmung als positiver und vielleicht sogar notwendiger Aufwertungsimpuls, die regelmäßig Kritik an den Aufwertungspionieren herausfordert.
Dass sich Kunst nicht verstecken muss, sondern lieber aktiv ins Geschehen eingreifen sollte, ist eine Forderung, die auch vom Bündnis Steigende Mieten Stoppen erhoben wird:
Eines der großen Dilemmata der Gentrifizierung ist das zähne knirschende Gewissensbisse-Schieben unter irgend wie kreativen Neuzuziehenden in einem Kiez, in dem eine Aufwertung gerade erst entsteht. Sind die Pioniere schuld an dem ganzen Prozess, da sie das Viertel erst attraktiv machen für Leute mit mehr Geld? Und dann wird ellenlang über die Schuldfrage gebrütet oder diskutiert, statt einfach mal aktiv zu werden und simpelste Dinge zu tun, z.B. Kontakte mit den nicht-so-kreativen Nachbar_innen aufzubauen, sich solidarisch auf der ganz praktischen Ebene zu zeigen und zu über legen, wie denn nun Protest & Widerstand gegen die kommerzielle Ausbeutung des Kiezes beginnen könnte.
Die sehenswerten Uschi-in-Neukölln Videos vom Sender Freies Neukölln haben eine amüsanten Weg gefunden, die Pionierrollen von Künstler/innen mit ihrer eigene (Film)Kunst auf die Schippe zu nehmen.
Um Uschi rum wird alles anders … (2008)
Uschis Gentrification-Report #1 (2009)
Uschis Gentrification-Report #2 (2009)