Weihnachten ist ja für viele die Zeit der Besinnlichkeit. Da werden Kindheitserinnerung aufgerufen und Geschichten von früher erzählt und manch eine/n zieht es sogar in die Kirche. Während die letzten Trinker vom Helmholtzplatz verdrängt werden sollen, werden auch in diesem Jahr die Weihnachtsandachten in den Kirchen von Prenzlauer Berg und Mitte gut besucht sein. Das war nicht immer so und die Kirchgemeinden scheinen mir ein bisher unterschätzter Indikator der Sozialgeschichte von Stadtteilen zu sein.
Neben den Schulen und der Polizei dürften die Kirchen in den Aufwertungsgebiten von Prenzlauer Berg und Mitte eine der wenigen Instituitionen sein, die den Wandel der Nachbarschaft kontinuierlich begleitet haben und die veränderte Zusammensetzung der Bewohnerschaft spiegeln. So wie wir in den Schulen mehr Gymnasialempfehlungen erwarten können und bei der Polizei ein verändertes Anzeigeverhalten untersuchen könnten, geben uns auch die Kirchgemeinden einen tiefen Einblick in die Nachbarschaft.
Eine kürzlich bei Facebook gepostete Taufliste jedenfalls liest sich, als würden viele der Getauften aus besserem Hause kommen. Oder zumindest aus Elternhäusern, die großen Wert auf wohlklingende Namen legen. Mit Blick auf die von ZeitOnline (“Das geteilte Land“) ausgegrabene Ronny-Häufigkeit in Ostdeutschland lassen sich zwei Vermutungen formulieren: 1: Ostdeutschen lassen sich seltener taufen. 2. Prenzlauer Berg und Mitte sind nicht mehr Ostdeutschland.
Die Taufliste der Evangelischen Gemeinde am Weinbergsweg (an der Schnittstelle von Mitte und Prenzlauer Berg) liest sich wie eine Mischung aus FDP-Wahlliste für das Europaparlament und dem Verzeichnis der höheren Beamten des Diplomatischen Dienstes. Der Wortsinn der Gentrification – der ja auf die Wiederkehr des niederen Landadels (der Gentry) in den Städten anspielt – bekommt hier jedenfalls einen unerwarteten Realitätsgehalt.
Das war nicht immer so. Noch 2007 veröffentlichte ein Ge
Gleichwohl wurde schon damals im “Zustrom westlich sozialisierter Christen (im) Gemeindebereich eine spürbare Belebung” des Gemeindelebens gesehen (Gemeindebrief 2007, Seite 20). Auch verschiedenen Medien berichteten damals über die Neuentdeckung der Religion in den Kreisen der Zugezogenen. Zur Zionskirche etwa hieß es:
Während sich draußen allmählich die Cafés und Lokale rund um Kastanienallee und Kollwitzplatz zum Brunch und zum Latte Macchiato mit sonntäglichen Müßiggängern füllen, sind auch die Kirchenreihen dich gedrängt mit mit Jungvolk. Es sind meist zugezogene Akademiker aus dem Westen, aus dem Schwäbischen, dem Rheinland oder aus Bayern, die es samt Nachwuchs und Kinderwagen in die Kirchen zieht.
Gehen wir der Zeitreise noch ein paar Jahre zurück in den Beginn der 1990er Jahre, dann waren die Kirchgemeinden aktiver Teil der Mobilisierungen gegen Mietsteigerungen und Verdrängung. So stellten die Gemeinde z.B. ihre Räume für die großen Kiezversammlungen der WBA (Wir Bleiben Alle) Proteste gegen die Mietsteigerungen zur Verfügung und die Gethsemanekirche wurde 1995 zum Ort einer legendären Protestveranstaltung gegen die verfehlte Mietenpolitik der Bundesregierung. Auch damals also haben steigende Mieten die Kirchen gefüllt.
Auch vor und während der Wende 1989 waren die Kirchen in Mitte und Prenzlauer Berg eine Heimstatt von Protest und Opposition. Die Kerzen vor der Gehtsemanekirche sind zu Ikonen des Wendeherbstes geworden und die Zionskirche mit Umweltbibliothek und Skinhead-Überfall war zu DDR-Zeiten ein Symbol der Widerständigkeit. Die von der Stasi damals festgenommenen Mitarbeiter der Umweltbibliothek hießen übrigens Andreas, Bert, Bodo, Till, Tim, Uta und Wolfgang. (Dass der damalige Hauptangeklagte des Überfalls Ronny (Busse) hieß, soll die Veränderungen in Prenzlauer Berg und Mitte keineswegs rechtfertigen.)
Flyer zum legendären Konzert 1987 in der Zionskirche, das von rechten Skinheads ohne Eingreifen der anwesenden Polizei überfallen wurde. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft (http://www.jugendopposition.de/index.php?id=4413)
Gut 25 Jahre Veränderung im Stadtteil haben die Kirchgemeinden in Mitte und Prenzlauer Berg ebenso stark verändert wie die Umgebung selbst. Von den Orten des Widerstandes und des Stadtteilprotestes ist nicht viel geblieben. Statt Punkkonzerte und Kiezversammlungen gibt es heute Babypsalmgesang und Adventsbrunch. Und auch die Trinker vom Helmi, die noch an den alten Prenzlauer Berg erinnern, sollen nun endgültig aus der Gegend verschwinden. Der zuständige Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) jedenfalls begründete – so ein Beitrag in den Prenzlauer Berg Nachrichten – seine Kündigung der Nutzungsverträge am Platzhaus mit der veränderten Bevölkerungszusammensetzung im Kiez.
„Wie Ihnen sicherlich nicht entgangen sein wird, haben sich der Helmholtzplatz und die schon immer existierenden Nutzungskonflikte im Laufe der vergangenen zehn Jahre verändert (…) Um dem Rechnung zu tragen, ist neben baulichen Veränderungen ein neues Nutzungskonzept für das Platzhaus angedacht.“
Na dann, allen ein besinnliches Fest!