Name: Sabrina
Alter: 31
Kinder: 1 Sohn
Sabrina wohnt mit ihrem Mann und ihrem Sohn ländlich in der Nähe von Mönchengladbach. Er ist frühkindlicher Autist mit globaler Entwicklungsverzögerung, Wahrnehmungsstörung und hat eine massive Sprachentwicklungsverzögerung. Weiterhin hat er eine generalisierte Muskelhypotonie und ist in vielen Gelenken über beweglich. Es besteht bei ihm der Verdacht auf Hyperaktivität und er hat einen Reflux und eine Alpha-Delta-Storage-Pool-Erkrankung (eine Blutgerinnungsstörung).
Wie sah dein Leben vor der Geburt deines Kindes aus?
Vor der Geburt unseres Sohnes, haben mein Mann und ich auch mal spontan Besuch empfangen oder etwas unternommen. Wir haben zwar auch da schon Unternehmungen gemacht, sind dafür aber nicht weiter weg gefahren (was wir jetzt aber tun). Wir haben weniger auf gesunde Ernährung geachtet: Wir sind öfter mal abends weg gegangen und haben uns mit unseren Freunden getroffen. Wir sind beide arbeiten gegangen und hatten viele gemeinsame Freunde. Wir sind aber vor der Geburt unseres Sohnes auch mal zu Hause geblieben und waren faul, was es jetzt nur sehr selten gibt. Allerdings sind wir erst nach der Geburt unseres Sohnes zum ersten mal zusammen schwimmen gefahren und in einen gemeinsamen Urlaub😀.
Wann hast du von der Behinderung deines Kindes erfahren und was hat sich durch die Diagnose verändert?
Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Wir haben ziemlich zeitnah nach der Geburt unseres Schatzes von seinem Reflux erfahren. Er sprach lange nicht, zeigte auch andere kleine Auffälligkeiten, aber ernst genommen wurde das erst, nachdem er wegen einer Zungenverletzung ins Krankenhaus kam, da dann in ein anderes verlegt wurde, weil ein Verdacht auf Epilepsie im Raum stand (der sich aber nicht bestätigte) und dort der Verdacht auf eine Entwicklungsverzögerung angesprochen wurde und wir den Kinderarzt wechselten. Unser Sohn war zu diesem Zeitpunkt 2,5 Jahre alt und wurde in einem SPZ getestet, wo man die Entwicklungsverzögerung und die Wahrnehmungsstörung feststellte und den Verdacht auf Autismus äußerte was zur Diagnostik in einer kinder-und jugendpsychologischen Ambulanz führte, wo der Verdacht bestätigt wurde. Wegen der Zungenverletzung, die die Autismusdiagnostik einleitete und bei der die Blutwerte auffällig waren begann dann auch eine sehr aufwändige Untersuchung des Blutes, die aber erst nach zwei Jahren zur Diagnose Alpha-Delta-Storage-Pool-Erkrankung führte. Da war unser Schatz 4,5 Jahre alt. Die sprachlichen Einschränkungen und die Auffälligkeiten in der Motorik wurden dann im Kindergarten von seinen Therapeuten formuliert, als er 5,5 Jahre alt war.
In wie fern sich dadurch etwas geändert hat, schreibe ich auch detaillierter:
Durch den Reflux müssen wir etwas mehr darauf achten, dass unser Schatz nichts zu fettiges und nichts zu stark gewürztes isst, sowie darauf, dass er selten Stress ausgesetzt wird, da auch dadurch ein Refluxschub ausgelöst werden kann.
Die Entwicklungsverzögerung und die Wahrnehmungsstörung haben zu keinerlei Veränderungen geführt.
Durch seine Blutgerinnungsstörung achten wir mehr darauf, wenn er sich so verletzt, dass er blutet, da er, wenn die Verletzung nicht aufhört zu bluten unter Umständen ins Krankenhaus muss.
Durch die Diagnose Autismus haben sich einige dinge verändert. Wir haben zu ehemligen „Freunden“ den Kontakt abgebrochen, andere zu uns, aber auch den Kontakt zu Familienmitgliedern verloren, weil und gesagt wurde man käme mit der Behinderung nicht zurecht. Wir haben aber auch neue Kontakte durch die Diagnose geknüpft. Wir achten mehr darauf keine Redewendungen, Ironie,.. zu nutzen und sind bei Aussagen möglichst genau (nicht „gleich“, sondern eine Minutenangabe zum Beispiel). Wenn wir Ausflüge vor haben, achten wir mehr auf die Tagesform unseres Schatzes und Veränderungen werden kleinschrittig angekündigt.
Wie ging es dann weiter? Hattest du Hilfen? Wie hast du die erste Zeit nach der Diagnose erlebt?
Nein wir hatten keine Hilfen. Wir wurden über die Diagnose in Kenntnis gesetzt und es wurden uns zwei Bücher empfohlen; damit wurden wir dann nach Hause geschickt. Ich suchte mir dann Informationen im Internet und wurde auf verschieden Blogs von erwachsenen Autisten aufmerksam, suchte mir in einem sozialen Netzwerk Gruppen, die zum Austausch über Autismus dienen und fand so Hilfe. Wir suchten uns auch eine Autismustherapeutin, die uns viel beriet und bei alltäglichen Schwierigkeiten half. Mittlerweile bin ich mit Angehörigen und erwachsenen Autisten im regelmäßigen Austausch, habe Kontakte zur kinder-und jugendpsychiatrischen Ambulanz, eine Fachkraft, die ich jederzeit bei Fragen anschreiben kann und privaten Kontakt zu Angehörigen und erwachsenen Autisten.
Gibt es einen Gegenstand deines Kindes, was du auf ewig aufheben wirst? Wenn ja, was ist es und was ist die Bedeutung?
Wir haben das Geburts-T-Shirt mit seinen Daten behalten und das hat auch einen Ehrenplatz in einem Bilderrahmen gefunden, da die Geburt unseres Schatze nach unserer Hochzeit der schönste Tag in unseren Leben war.
Welche sind die Glücklichsten und welche die anstrengensten Momente in deinem Leben?
Meine glücklichen Momente sind die, in denen ich Zeit mit meiner Familie verbringen kann, wenn es da natürlich auch anstrengendere Tage wie in den Ferien gibt, wenn es weniger Routine gibt, aber dabei sind es oft vor allem die kleinen Momente, wenn ich einen Kuss von unserem Schatz bekomme, er mich umarmt, mit mir kuschelt oder mit meinem Mann tobt, die mich besonders glücklich machen. Ich genieße aber auch die Zeit, die ich „nur“ mit meinem Mann oder alleine verbringen kann. Anstrengende Momente sind die, wenn ich für Hilfen wie die Weiterführung der Autismustherapie kämpfen muss, wenn mit unterstellt wird unser Schatz sei kein Autist, sondern nur schlecht erzogen oder ich mit menschen Zeit verbringen muss, die „nicht mit der Behinderung“ unseres Schatzes zurecht kommen, weil ein Geburtstag (zum Beispiel) mit allen Verwandten gefeiert wird.
Habt ihr eine eigene Seite oder Blog? Wenn ja, Über welche Themen schreibst du alles?
Ich habe einen Blog Sunnys Space, auf dem ich über verschieden Themen, die mich zu dem Zeitpunkt beschäftigen, schreibe. Diese umfassen Autismus, Erfahrungen mit unserem Sohn, Missbrauch, Nachdenkliches, aber auch Texte über die Familie im weitesten Sinne.
Wieviel Zeit hast du für dich? Und wie entspannst du dann?
Ich habe täglich Zeit für mich, da ich bis nachmittags alleine bin, den mein Mann macht eine Umschulung und unser Wirbelwind ist bis nachmittags in der Schule und abends, wenn die beiden im Bett sind, habe ich nochmal ein paar Stunden für mich. Am Wochenende und in den Ferien sind es „nur“ die Abende, die ich für mich habe. Ab und zu habe ich aber auch dann mal ein paar Stunden für mich, wenn meine Oma oder meine Mutter unseren Schatz nehmen, der FUD (familienunterstützender Dienst) kommt oder mein Mann mit unserem Schatz alleine unterwegs ist, wobei ich ihm diese Zeit genauso gönne. Ich lese sehr gerne, fotografiere, blogge, zeichne (sehr selten) oder bin in sozialen Netzwerken unterwegs, wo ich auch Admin zweier Gruppen bin, für die ich auch immer mal wieder Dokumente erstelle. Außerdem gibt es ein paar Fernsehserien, die ich gerne schaue.
Gibt es noch Paarzeit?
Ja die gibt es bei uns. Wir haben abends, wenn unser Wirbelwind im Bett liegt immer noch ein bisschen Zeit als Paar, aber auch jede zweite Woche, wenn wir den FUD in Anspruch nehmen.
Kannst du noch Zeit aufbringen um auszugehen und jemanden kennen zu lernen? Und wie gestaltet sich das dann?
Theoretisch könnte ich sicher auch dafür den FUD nutzen, aber bisher haben wir das noch nicht getan. Es ist allerdings eine Überlegung, ob wir dies für unseren 10 jährigen Hochzeitstag dieses Jahr nutzen werden.
Fühlst du dich als Familie ausreichend von Politik und Gesellschaft unterstützt? Wo siehst du Verbesserungsvorschläge?
Nein. Denn wegen des Inklusionsgedanken sollte zum Beispiel der Kindergarten, den unser Wirbelwind geschlossen werden, da dieser aber mehrere Träger hat, durfte er bestehen bleiben. Ich finde es fatal heilpädagogische Kindergärten und Förderschulen wegen des Inklusionsgedanken zu schließen, da es einige Kinder mit Behinderungen gibt, die nie in der Lage sein werden einen Regelkindergarten/eine Regelschule zu besuchen.
Von der Gesellschaft fühle ich mich auch nicht ausreichend unterstützt – eher im Gegenteil, denn bei sichtbaren Behinderungen wird vielleicht Hilfe angeboten, aber bei unsichtbaren Behinderungen wird geguckt, getuschelt oder es werden Dinge wie schlechte Erziehung oder Überforderung der Eltern unterstellt.
Inklusion?! Was bedeutet das für dich?
An sich ein schöner Gedanke, der aber noch lange nicht in unserer Gesellschaft angekommen ist. Kinder mit Behinderungen werden Regelschulplätze verweigert, die Eltern werden angegriffen, die Kinder oft ausgeschlossen. Viele Pädagogen sind auch nicht ausreichend geschult und es gibt immer noch bei diversen Behinderungen zu viele Vorurteile. Im Zuge des Inklusionsgedanken würde ich mir aber auch wünschen, dass sich Fachleute auch mehr mit Betroffenen austauschen würden.
Als Elternteil eines behinderten oder kranken Kindes lernt man eine neue Welt kenne, wie empfindest du diese?
Ich bin durch die Behinderung unseres Wirbelwindes erwachsener, reifer geworden, bin kritischer und bin im Umgang mit meinem Mitmenschen vorsichtiger geworden – ich muss einen Menschen erst recht gut kennen lernen, bevor ich Dinge von mir preis gebe, die sehr persönlich sind. Ich bin aber auch selbstkritischer geworden und habe gelernt wer wirklich ein Freund ist und wer nur ein Bekannter.
Ich erfreue mich an der Welt unseres Schatzes, weil es mich gelehrt hat wieder auch kleine, scheinbar unbedeutende Dinge wahrzunehmen, zu schätzen. Es ist eine bunte, interessante Welt, die vielen Menschen mit dem Eintritt in das Erwachsensein verschlossen ist, mir aber durch unseren Wirbelwind wieder neu geöffnet wurde.