Der Freitag, der so entspannt für den Dorfpolizisten von Chiesanuova begann, entwickelte sich für ihn bei Einbruch der Dunkelheit zu einem regelrechten Albtraum. Eigentlich wollte der Mittfünfziger im beschaulichen San Marino seinen von Streß, Hektik und Lärm geprägten Dienstalltag, wie er ihn in der Großstadt seit Jahrzehnten ertragen musste, hinter sich lassen. Dass die “Rallye Legend” die kleine Republik vor den Toren Riminis jedoch einmal im Jahr in ein Motorsport-Tollhaus erster Güte verwandelt, schien ihm niemand vorher verraten zu haben. Doch auch er lässt sich an diesem Wochenende vom Enthusiasmus der rund 60 000 Rallye-Fans anstecken und sieht mit einem zwinkernden Auge über den Lärm und die überall im Halteverbot geparkten Autos der Rallye-Touristen hinweg.
Die Rallye Legend lässt zum elften Mal jene Epoche aufleben, als der Rallye-Sport in seiner Blüte stand. Es waren die 1970er und 1980er-Jahre in denen tausende Fans und Zuschauer ihren Fahrer-Helden an abgesperrten Landstraßen auf den Wertungsprüfungen zujubelten und beim brachialen, ungedämpften Klang der Boxermotoren im Porsche, dem Gebrüll der Lancia Stratos oder dem wilden Turbo-Fauchen der Audi S1-Sportquattro in Extase gerieten. Diese alten Rallye-Autos – eigentlich Museumsstücke und Unikate – werden in San Marino von ihren legendären Star-Piloten in härtester Gangart über die Pisten getrieben.
Der reaktivierte VW Golf G60 Rallye aus dem Jahr 1989 des Teams Volkswagen Classic ist einer der Stars im illustren Feld der Rallye-Veteranen. Denn er wird von keinem geringeren pilotiert als Per Eklund, jenem Rallye-As aus Schweden, der bis heute noch in der Rallye-Cross-Szene aktiv ist. Mit rüstigen 67 Jahren hat Eklund noch immer seinen Speed von damals. Nichts hindert ihn daran, gemeinsam mit seinem Co-Piloten Jan-Olof Bohlin mit einer spektakulären Staubfahne auf den Spezialprüfungen um gute Zeiten zu kämpfen. „Bellissima! Bravo!“ Alte Männer krächzen „Bella-Machina“. Die Begeisterung ist überall groß. Auf San Marinos Schotterpisten, ist der Schwede dann auch nicht zimperlich mit seinem Auto. „Der fährt engagiert und kämpferisch wie früher. Dafür lieben wir ihn noch heute“, sagt Giuseppe Frioli, Rallye-Fan seit 1970.
Richtig laut werden die Fans bei den Sport Quattro S1. Und das müssen sie auch, denn der Lärm, den die 700-PS-Monster der Gruppe-B machen, ist ohrenbetäubend. Der Markenname Audi ist Programm: Vor mehr als 30 Jahren stiegen die Ingolstädter in den professionellen Rallyesport ein. Zunächst belächelt von der Konkurrenz entwickelten sie den Allradantrieb.
In den folgenden Jahren gewannen die Quattros nahezu jedes Rennen. Die Dominanz des Vierradantriebes und der damit verbundene Erfolg starteten ihren Siegeszug. Heute sind allradgetriebene Fahrzeuge im normalen Straßenverkehr nichts Ungewöhnliches mehr. Die Entwicklung im Motorsport hat hier, wie so oft, direkten Einfluss auf die Serienfertigung gehabt. Das kommt auch dem aktuellen Polo R WRC des Teams Volkswagen Motorsport zu Gute. Mit dem Auftritt auf der Rallye Legend genoss das Auto, mit dem Sébastien Ogier vergangene Woche seinen ersten Weltmeistertitel in der WRC gewann, hohe Sympathiewerte. Große Menschentrauben rund um den Serviceplatz zeugten davon.
Luca Pedersoli konnte in diesem Jahr seinen Titel nicht verteidigen. Er fuhr stark, begeisterte seine Fans, aber Altstar Marku Alén aus Finnland war am Ende knapp vorn. Den meisten Zuschauern ist es nach der Rallye Legend aber auch egal, wer die schnellste Zeit gefahren ist. Hier zählt in erster Linie ein spektakulärer Fahrstil und die Tatsache, dass alle Autos mit ihren Besatzungen unbeschadet ins Ziel kommen.