“Berberian Sound Studio” von Peter Strickland

Erstellt am 21. Juni 2013 von Denis Sasse @filmtogo

© Rapid Eye Movies HE GmbH / Toby Jones im “Berberian Sound Studio”

Es gibt Momente im Kino, in denen das Bild vor den eigenen Augen verschwimmt. Der Film rückt in den Hintergrund, der Blick läuft ins Leere. Umso mehr lauschen die Ohren. Sie lauschen der imposanten Musik, den krachenden Klängen oder sanften Melodien. Neben der musikalischen Begleitung des Visuellen besticht ein Film durch zahlreiche Geräusche, die der Geräuschemacher in der Postproduktion einfügen darf. Von eben einem solchen Geräuschemacher erzählt Regisseur Peter Strickland in seinem „Berberian Sound Studio“. Er erzählt aber nicht nur in Bildern, seine Handlung spielt sich gleichsam auf der Tonebene ab. Das ununterbrochene Tippen von Fingern auf einer Schreibmaschine. Das Freizeichen eines Telefons. Die Schritte einer Frau in Stöckelschuhen verwandeln sich in ein kleines Erdbeben. So arbeitet Strickland auch auf struktureller Ebene die Motive und Thematiken des Films auf.

Mittendrin begegnen wir Darsteller Toby Jones als Neuankömmling im Sound Studio. Eine kleine Figur in den großen und leeren Fluren, wo er schlicht verloren wirkt. Erst wenn er das eigentliche Sound Studio betritt, eines der billigsten und schäbigsten Studios im Italien der 1970er Jahre, wo ebenso billige Horrorstreifen ihre Geräuschunterlegung erhalten, fühlt er sich in seinem Element. Hier muss er „Il Vortice Equestre“ vertonen, das neueste Werk des italienischen Horrormeisters Santini (Antonio Mancino). Dem leicht naiven und gutherzigen britischen Tonmeister begegnet mit Santini ein hitzköpfiger Geselle, der hervorhebt, dass es sich nicht nur um irgendeinen Horrorfilm handeln würde, sondern eben um ‚einen Santini‘. Toby Jones blickt auf Ton-Regiepläne und sieht dabei zu, wie eine alte Diva dazu dirigiert wird, mit Krächzen und Gurgeln die Qualen einer sterbenden Hexe zu erzeugen. Je länger er sich jedoch mit seinen Filmrollen und Mikrophonen, mit den Hexen und gottlosen Morden des Films beschäftigt, desto mehr wirken sich das Kreischen und die gurgelnden Geräusche, die suggerierte Gewalt der er tagtäglich ausgesetzt wird, auf seine Psyche aus.

Ansonsten bleibt der Film kurios dem Ton verpflichtet. Den Horrorfilm, an dem Gilderoy (Toby Jones) arbeiten soll, bekommt man nur selten bis gar nicht zu Gesicht. Die Kamera traut sich nicht zur Leinwand, wird immer wieder von ihr weg befehligt. So entsteht der schöne Effekt, dass man immer nur das Flimmern vernimmt, das von der Bildfläche ausgestrahlt wird. Das Licht fällt dann durch den ganzen Raum, oftmals auf die adretten Damen, die in der Sprecherkabine stehen um hier fleißig angsterfüllte Schreie auszustoßen. Die Zuschauer werden mit Bildern belohnt, die uns zeigen wie Sounds produziert werden – oftmals durch das Zerhacken von Obst und Gemüse – und wie sie ihren Weg in den Film finden. Wir sehen ihren Ursprung, nicht aber ihre Verwendung. Hierfür begibt sich Strickland dann eben wieder auf die Ebene seines eigenen Filmmaterials, bei dem markante Töne in den Vordergrund gezogen werden.

Es macht jedes Mal aufs neue Spaß, Toby Jones dabei zuzusehen, wie er mit einer Machete ausgerüstet auf Wassermelonen eindrischt, die Schmatz- und Platschgeräusche erzeugen, als würde in diesem Moment ein menschlicher Körper zerstückelt werden. Man wird Splatterfilme nie wieder mit dem unschuldigen Auge ansehen können, „Berberian Sound Studio“ brennt die Wassermelone in jede Zerstückelungssequenz. Dasselbe gilt für Radieschen, die von ihrer Blattstaude getrennt werden. Ein harmloses Unterfangen aus vielerlei Küchen bekannt, wird hier zum Knochenbrechen umfunktioniert. Immer wieder lässt Nicholas D. Knowland seine Kamera abschweifen, führt damit den Zuschauern zuerst die Schlachtung des Gemüses vor, dann die Wirkung auf der reinen Tonebene. Daraus entsteht allerbestes Kopfkino.

Nach der HBO-Produktion „The Girl“, in der Toby Jones als Suspense-Regisseur Alfred Hitchcock agierte, darf er sich nun noch ein weiteres Mal als filmverliebter Brite zeigen, der den filmischen Schritt hinter die Kulissen des Mediums wagt. Vom Meisterregisseur zum Tonmeister. Durch Jones‘ ruhige und zurückgenommene Darstellung macht er uns den Kontrast sichtbar, der zwischen dieser in sich gekehrten Person und seiner Arbeit liegt, bei der er zum mörderischen Schlächter von Lebensmitteln wird. Hier steigt eine manische Wut in ihm auf, die Augen verwandeln sich in psychopathische Killer, die mit dem bloßen Blick zu töten versuchen. „Berberian Sound Studio“ ist eine kleine Liebeserklärung an das Filmemachen und an einen viel zu selten beleuchteten Aspekt des technischen Ablaufs. Diese Collage aus Sounds beweist, dass der Ton zu den wichtigsten Elementen des fertigen Produkts gehört.


“Berberian Sound Studio“

Originaltitel: Berberian Sound Studio
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: GB, 2012
Länge: ca. 92 Minuten
Regie: Peter Strickland
Darsteller: Toby Jones, Antonio Mancino, Tonia Sotiropoulou, Susanna Cappellaro, Cosimo Fusco, Layla Amir, Hilda Péter, Chiara D’Anna, Eugenia Caruso, Lara Parmiani

Deutschlandstart: 13. Juni 2013
Im Netz: rapideyemovies.de/berberian-sound-studio