Beobachtungen aus dem Krankenhaus (Tag 4): Every beat of her heart (1/3)

Dass ich dieses Jahr so gut wie gar nichts gebloggt habe, ist ja kein Zustand. Kein Urlaubsblog, kein Gespräch mit dem Tod, kein Garnichts. Daher kurz vor Schluss ein retrospektiver Krankenhaus-Blog. Quasi wie Urlaub, nur ohne Urlaub.


Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
Tag 2: Don’t go breaking her heart
Tag 3: Her heart will go on


Donnerstag, 7.00 Uhr. Ich schreibe eine Gute-Morgen-Nachricht an die Kinder. Sie bleibt wie immer unbeantwortet. Es geht ihnen also gut. Ich sitze auf dem Bett meiner Hotel-Box und suche am Laptop nach einer neuen Unterkunft. Ich hatte nur bis heute das Zimmer gebucht, weil ich vollkommen naiv dachte, ich könnte zwei Tage nach der OP wieder zurückzufahren. (Wahrscheinlich habe ich gar nicht nachgedacht.) Meine Frau hat die Operation zwar sehr gut überstanden und macht täglich Fortschritte, aber ich habe das Gefühl, es wäre besser, zu bleiben, bis sie auf die normale Station verlegt wird. Laut den Ärzten morgen oder Samstag.

Als ich den Kindern gestern Abend mitgeteilt habe, dass ich noch ein paar Tage länger weg bin, hielt sich ihr Kummer in Grenzen. Sie meinten, ich könne auch ruhig bis Sonntag bleiben, das würde ihnen wirklich gar nichts ausmachen. Wirklich überhaupt nichts. Ich müsse mir keine Sorgen um sie machen. Aha!

Beobachtungen aus dem Krankenhaus (Tag 4): Every beat of her heart (1/3)Reaktion der Kinder, als sie erfahren, dass ihr Vater zwei Tage länger wegbleibt (Symbolbild)

Für die nächsten zwei Nächte möchte ich mir ein etwas geräumigeres Zimmer gönnen. Das Box-Hotel ist zwar vollkommen ausreichend, aber es wäre doch mal schön, morgens aus einem Fenster schauen zu können und beim Aufstehen nicht direkt mit dem Gesicht in der Wand zu landen.

Bei meiner Recherche stelle ich fest, dass günstige Zimmer für die nächsten Tage rar sind. Um präzise zu sein: Es gibt gar keine. Überhaupt sind freie Zimmer Mangelware. In Hannover findet gerade eine Messe statt. Obwohl Hannover mehr als 120 Kilometer entfernt ist, ist der Hotelmarkt hier vor Ort wie leergefegt.

In der örtlichen Jugendherberge gibt es noch ein freies Bett. In einem Vierer-Zimmer. Für 30 Euro. Mit Mitte 40 möchte ich aber nicht mehr in Jugendherbergs-Schlafräumen übernachten und mir das Zimmer mit betrunkenen Erstsemestern teilen, die es beim WG-Casting nicht in den Recall geschafft haben. Daher müsste ich alle vier Betten buchen und das würde mich dann 120 Euro kosten. Mit Dusche auf dem Gang! Darauf kann ich mit Mitte 40 auch verzichten.

Schließlich finde ich doch noch ein Zimmer. Normalerweise kostet es 75 Euro pro Nacht, für die nächsten beiden Nächte aber jeweils 130 Euro. Das sind auch nur 10 Euro mehr als in der Jugendherberge, belüge ich mich selbst.

Da ich nicht auf einer Bank im Stadtpark übernachten will, buche ich wohl oder übel das Zimmer. Die Kreditkarte wimmert leise, als ich auf den Bestätigungsknopf drücke.


Im Krankenhaus befolge ich mein morgendliches Ritual und kaufe mir einen großen Kaffee im Kiosk, bevor ich auf die Intensivstation gehe. Meine Frau wirkt heute schon wieder ein bisschen fitter als noch gestern Abend. Aber sie ist ziemlich aufgeregt. Heute früh werden die Bauch-Drainagen gezogen. Daran hat sie von ihren OPs im Kinderalter schlechte Erinnerungen. Sehr schlechte sogar. Es sei zwar nicht wirklich schmerzhaft, fühle sich aber so an, als würden einem die Gedärme aus dem Körper gezogen, erklärt sie. Ich bedanke mich für ihre anschauliche Beschreibung und tätschle ihre Hand.

Dem Professor hatte sie bei den diversen Vorgesprächen auch mehrfach und immer sehr detailliert erzählt, wie furchtbar das Ziehen der Drainagen immer war und dass das im Prinzip das Allerschlimmste an den OPs gewesen sei. Eine bemerkenswerte Einschätzung angesichts der Tatsache, dass ihr bei den OPs das Brustbein zersägt, der Brustkorb aufgestemmt und das Herz für mehrere Stunden abgestellt wurde.

Der Professor steht neben dem Bett und wirkt nicht weniger nervös als sie. Mit einer Handbewegung bedeutet er der Krankenschwester, die Schmerzmitteldosis zu erhöhen. Würde mich nicht wundern, wenn er sich zur Beruhigung auch ein paar Pillen einwirft.

„Ich werde mich bemühen, Ihre schlechten Erfahrungen von vor 32 Jahren nicht zu wiederholen“, erklärt der Professor. Mir scheint das nach den Schilderungen meiner Frau keine außergewöhnlich ambitionierte Messlatte zu sein, aber ich muss ja auch nicht die Drainagen ziehen.

Dann redet der Professor über die Narbe, die Lage der Schläuche und was er bei der OP alles gemacht hat, um meine Frau etwas abzulenken. Die Schmerzmittel wirken bei ihr schon und sie schaut so abwesend, dass er auch Rilke-Gedichte vortragen könnte. Während er redet, drückt er leicht auf die Ausgangsstelle der ersten Drainage und zieht sie mit einer schnellen Bewegung heraus. Ein bisschen Blut spritzt auf seinen Arztkittel. Das gleiche macht er bei den beiden anderen Schläuchen. Weitere Blutspritzer landen auf seiner Brust. Eigentlich sah das gar nicht so wild aus. Eine Einschätzung, die von meiner Frau möglicherweise nicht uneingeschränkt geteilt wird. Zugegebenermaßen sagt sich das auch recht leicht, wenn du nur neben dem Bett stehst und eine Hand hältst und nicht im Bett liegst und dir fingerdicke Schläuche aus dem Bauch ziehen lässt.

Der Professor wirkt erleichtert. Obwohl sein Kittel rohrschach-mäßig mit Blut verziert ist und er aussieht, als hätte er an einem Chainsaw-Massacre-Live-Rollenspiel teilgenommen.


Fortsetzung (Tag 4, 2/3)


Alle Folgen des Krankenhaus-Blogs:

  • Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
  • Tag 2: Don’t go breaking her heart
  • Tag 3: Her heart will go on
  • Tag 4: Every beat of her heart
Beobachtungen aus dem Krankenhaus (Tag 4): Every beat of her heart (1/3)

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