Beobachtungen aus dem Krankenhaus (Tag 1): Ein kaputtes Herz muss man reparieren (1/3)

Dass ich dieses Jahr so gut wie gar nichts gebloggt habe, ist ja kein Zustand. Kein Urlaubsblog, kein Gespräch mit dem Tod, kein Garnichts. Daher kurz vor Schluss ein retrospektiver Krankenhaus-Blog. Quasi wie Urlaub, nur ohne Urlaub.


Montagmorgen, 4.30 Uhr. Aus dem Radiowecker plärrt laute Musik. Der Radio-DJ findet, Montag halb fünf sei der richtige Zeitpunkt, um Techno zu spielen. Ich dagegen finde, es ist nie der richtige Zeitpunkt, um Techno zu spielen. Vielleicht ist es auch gar kein Techno, sondern Electro. Oder Acid House. Oder irgendetwas anderes, das du nur ertragen kannst, wenn du dir eine Monatsration Ecstasy auf einmal einwirfst. Ich bin da kein Experte. Schon gar nicht um diese Uhrzeit.

So früh geweckt zu werden, ist nie schön, bei uns ist der Grund besonders unschön. Wir fahren heute in eine niedersächsische Uni-Stadt, wo meine Frau sich morgen einer Herzoperation unterziehen muss. Sie hat einen angeborenen Herzfehler, der in ihrer Kindheit schon zweimal operiert wurde. Jetzt muss sie erneut unters Messer und eine neue Herzklappe bekommt sie obendrein dazu. Das sind nur so mittelschöne Aussichten. Falls Sie also denken, Sie haben einen beschissenen Montag: Es geht noch beschissener.

Beobachtungen aus dem Krankenhaus (Tag 1): Ein kaputtes Herz muss man reparieren (1/3)

Als (halbwegs) guter Ehemann begleite ich meine Frau. Die Kinder sind bis Donnerstag auf sich alleine gestellt. Wir sind zuversichtlich, dass das funktionieren wird. Mit 16 und 13 sind sie alt genug, um sich selbst zu versorgen. Und obwohl sie 16 und 13 sind, sind sie auch vernünftig genug dazu. Sie haben eine Einweisung in Wasch- und Spülmaschine bekommen, der Kühlschrank ist gefüllt und in der Küche liegt ein Umschlag mit Notfallgeld. Das muss reichen. Den Rest regelt zur Not die Oma, die um die Ecke wohnt. Oder die Haftpflichtversicherung.

Bei der Verabschiedung habe ich den Eindruck, dass ihnen – abgesehen von dem Anlass – die Aussicht auf ein paar elternfreie Tage nicht allzu viel Kummer bereitet.


Nach einer dreistündigen, ereignislosen Zugfahrt und einem kleinen Fußmarsch erreichen wir die Uni-Klinik. Als erstes müssen wir in das so genannte Ebenen-Büro, denn vor eine OP hat der liebe Krankenhausgott die Verwaltung gesetzt.

Das Büro ist schlicht eingerichtet, das Farbkonzept basiert auf einer Variation unterschiedlicher Grautöne, auf der Fensterbank steht ein verstaubter Gummibaum, der schon bessere Tage gesehen hat, was aber schon ziemlich lange her ist. An den Wänden hängen vergilbte Ausdrucke mit Sprüchen wie „Keine Hektik, ich bin hier auf der Arbeit, nicht auf der Flucht!“, „Die einzig wahre Fee ist die Kaffee!“ und „Nimm Arbeit nur mit nach Hause, wenn du in einer Brauerei arbeitest.“ Loriot hätte den Raum nicht besser in Szene setzen können.

Ein junger Mann namens Wissnerwski erfasst die Daten meiner Frau im Computer. Mit spitzen Zeigefingern hackt er die Informationen in die Tastatur. Wenn er sich vertippt – was bei jedem zweiten Wort der Fall ist –, hält er kurz inne und seufzt „Ach nee!“. Dann drückt er die Backspace-Taste und sucht nach dem richtigen Buchstaben. Seine Tippgeschwindigkeit als Superzeitlupe zu bezeichnen, würde eine Dynamik suggerieren, die nicht der Realität entspricht. Erste Spinnweben bilden sich zwischen seinen Fingerspitzen und der Tastatur.

Kurz bevor ich das Renteneintrittsalter erreicht habe, druckt Herr Wissnerwski Dokumente vom Umfang der Encyclopedia Britannica aus. Wie wir es beim Bestätigen von Nutzungsbedingungen im Internet gelernt haben, unterschreibt die Frau alles, ohne es zu lesen.


Wir sitzen im Zimmer, das meiner Frau dank Herrn Wissnerwski zugewiesen wurde. Es klopft und ein schlaksiger Teenager betritt den Raum. Seine Arme und Beine sind ziemlich lang und wirken, als gehörten sie gar nicht zu seinem Körper. Oder als müsse er sich erst daran gewöhnen, sie richtig zu benutzen. Der Junge trägt blaue Stationskleidung und ich tippe auf einen Schülerpraktikanten. Wahrscheinlich haben die Stationsschwestern ihn geschickt, damit er ihnen aus den Füßen ist.

Ermutigend nicke ich ihm zu. Dann kann er in seinem Praktikumsbericht etwas über die netten Kontakte zu den Patienten und ihren Angehörigen schreiben. Er lächelt freundlich zurück und erklärt, er sei PJler und würde das Aufnahmegespräch durchführen.

Meine Frau und ich schauen uns irritiert an. Erinnern Sie sich an die TV-Serie „Doogie Hauser“? Über ein Wunderkind, das mit zwölf Jahren Medizin studiert und dann im Krankenhaus praktiziert? Doogie Hauser sah deutlich älter aus als der Knabe, der nun mit der Untersuchung beginnt.

Er ist noch ein bisschen unbeholfen, aber durchaus enthusiastisch. Ein bisschen wie unsere Tochter, als sie im Alter von drei Jahren zu Weihnachten ein Arztköfferchen bekam und uns wochenlang mehrmals täglich durchcheckte. Inklusive Abhören, Fieber messen und allem Pipapo. Glücklicherweise rammt der Arzt in spe der Frau aber keine riesige Spritze in den Bauch, wie es das Töchterlein bei uns zu tun pflegte.

Schließlich erklärt der PJler, er sei fertig, und will wissen, ob wir noch Fragen hätten. Meine Frau schüttelt den Kopf, ich verkneife mir die Frage: „Wann kommt denn der richtige Arzt?“

Das wäre auch wirklich unfair und demoralisierend. Immerhin hat er mehr als zehn Semester studiert, sich unzählige Fachbücher ins Kurzzeitgedächtnis geprügelt und noch unzähligere Klausuren geschrieben. Bei irgendwelchen Patienten muss er ja lernen, wie Aufnahmeuntersuchungen durchgeführt werden. Trotzdem hoffe ich, dass er nicht morgen lernt, wie am offenen Herzen operiert wird.


Fortsetzung

Beobachtungen aus dem Krankenhaus (Tag 1): Ein kaputtes Herz muss man reparieren (1/3)

Der virtuelle Spendenhut

" data-orig-size="1024,512" sizes="(max-width: 592px) 100vw, 592px" aperture="aperture" />

wallpaper-1019588
Gemüsebeet in Mai: Diese 10 Gemüse kannst du jetzt pflanzen
wallpaper-1019588
Faszination Las Vegas – Tipps und Reiseempfehlungen
wallpaper-1019588
trapezium: Stream zeigt Anfang des Films
wallpaper-1019588
Dürfen Hunde Kidneybohnen essen?