Benzin & Koffein

Von Andre

Bohnen:

Espresso

  • “Küferweg Espresso”. Arabicamischung aus Brasilien & Ecuador.
  • Single-Origin Kaffee aus Brasilien. Fazenda Santa Ines, pulped natural.

Filter

  • Santa Ines (pulped natural) aus Brasilien
  • Changaimina (washed) aus Ecuador

Röster: Gipfelstürmer Kaffee, Unterlunkhofen

Maschine: La Marzocco GB/5 (Siebträger)

Wo: Aemtlerstrasse 48, Zürich

Bericht:

Auf gewisse Ideen muss man ja erst einmal kommen. Kaffee und Bücher sind irgendwie noch naheliegend, weshalb heute ein Café in einer Buchhandlung schon fast zum erwarteten Angebot gehört. Bei anderen Fusionen sind die Synergien schon wesentlich schwieriger zu erkennen, oder wer hätte wohl jemals gedacht, dass es tatsächlich Leute gibt, die beim Schuhmacher gerade noch spontan einen neuen Hausschlüssel anfertigen lassen? Wie dem auch sei, in Zürich kann man jetzt Motorräder bestaunen und dazu Kaffee trinken, oder vielleicht eher Kaffee trinken und nebenbei Motorrad Accessoires kaufen, denn ersteres tönt etwas gar nach Kenny’s Autocenter, wo es ja angeblich ein „feines Käfeli“ geben soll. Hier erkennt man nämlich schnell, dass der Kaffee nicht bloss ein Marketinginstrument ist, um Motorradliebhaber bei Laune zu halten: Erstklassige Ausrüstung und detaillierte Beschreibungen zu den Bohnen zeigen, dass hier Kaffee ernst genommen wird. Hinter dem Lokal steht nämlich „Gipfelstürmer Kaffee“, eine kleine Rösterei aus Unterlunkhofen. Abgesehen von den hübschen blauen Tassen, freut mich am meisten die Tatsache, dass mit Benzin & Koffein ein weiteres Lokal mit Filterkaffee im Angebot die Stadt bereichert. Eine Portion „Drip Coffee“ wird auf Bestellung mit der Chemex Filterkanne zubereitet, was jedoch fast drei Tassen Kaffee entspricht und deshalb idealerweise zu Zweit getrunken wird. Aber klar, Filterkaffee ist auch kein Getränk, dass an einer Eröffnungsfeier stehend an der Bar getrunken werden sollte, sondern gemütlich sitzend mit viel Zeit. Da eignet sich natürlich ein Espresso schon viel eher, und auch den habe ich mir obendrauf noch genehmigt. Viele der anwesenden Gäste mögen wohl sprichwörtlich Benzin im Blut haben, aber ich verliess das Lokal definitiv mit einer Überdosis Koffein im Blut. Doch was natürlich am meisten interessiert, ist die Frage, wie der Kaffee denn so war. Als Filterzubereitung trank ich einen Kaffee aus Ecuador, der gemäss Beschreibung nach Schokolade, Caramel, Bergamotte und Citrus schmecken soll. Zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass ich relativ wenig Chemex Referenzerfahrung habe, da ich selber keine Besitze und V60 nach wie vor das gängigere „Gastronomieangebot“ ist – wenn man denn aufgrund der spärlichen Anzahl in Zürich überhaupt von einem solchen sprechen kann. Der Kaffee ist zu Beginn äusserst mild und ausgewogen, so sehr, dass es fast schon schwierig scheint überhaupt Aromen ausfindig zu machen, aber mit zunehmendem Abkühlen, kommt dann zumindest der beschriebene florale Bergamotte Geschmack immer deutlicher zum Vorschein. Sicherlich kein schlechter Kaffee, aber ich könnte mir vorstellen, dass eine Bohne mit etwas exzentrischerem Charakter oder allenfalls eine stärkere Zubereitung das zum Grossteil wohl noch Filter-ungeeichte Publikum eher in seinen Bann ziehen würde. Schon während ich Tasse für Tasse Filterkaffee hinunterkippe kann ich der Barista beim Handwerk zusehen, und da gibt es wahrlich nichts zu beanstanden. Der Single-Origin Espresso aus Brasilien hat einen extrem cremigen Körper und für meinen Geschmack etwas zu viel Röstaromen, aber wer trinkt überhaupt noch Espresso, wenn es schonmal Filterkaffee gibt? Eben. Somit Ende der Nörgelei, und weiter zur Bewertung, womit wir bei der Frage ankommen, mit was man denn nun vergleichen soll. Bei nicht mal einer ganzen Hand voll Lokalen mit Filterkaffee im Angebot, scheint der Menü Punkt „Drip Coffee“ alleine schon die volle Punktzahl zu rechtfertigen. Vergleicht man aber untereinander, vermag der Bikerschuppen unter den Kaffees meiner Meinung nach noch nicht voll und ganz mit den etablierten Angeboten gleichziehen, weshalb ich schweren Herzens 4 von 5 Zürich-Bohnen verteile, auch wenn sie mich mit den blauen Tassen schon im Sack hatten.