Benjamin

Von Privatkino

Titel:  Benjamin
Autor: Valentin Zahrnt
Genre: Belletristik
Seiten: 182 Seiten
ASIN: B00I40ILNQ

Erste Sätze:
Wolken, Sandsteinfassaden und Schaufenster zittern im Gewirr der winzigen Wellen. Der Springbrunnen ist stumm, vereinzelt klatschen Regentropfen aufs Wasser. Die Dämmerung naht. Plötzlich – Benjamin starrt auf die spiegelnde Oberfläche und weiß nicht, was er gesehen hat.

Inhalt:
Benjamin ist ein erfolgreicher Unternehmensberater, seine Karriere geht ihm über alles, was zählt sind Gewinne. Auf den ersten Blick, scheint er sich glücklich in seinem Leben eingerichtet zu haben, doch seine Fassade bricht langsam auf, seine Seele zerfällt. Ein schwerer Verlust überschattet sein Leben, ein Verlust, den er nicht viel Platz einräumen möchte, der sich aber seinen Weg an die Oberfläche sucht, wohl oder übel. Stellt er sich der Wahrheit oder versucht er weiter in einer Scheinwelt zu leben?

Meine Meinung:
Nach der Inhaltsbeschreibung, da konnte ich mir eigentlich kein konkretes Bild darüber machen, worüber das Buch nun eigentlich handelt. Eine Beschreibung sagte: „Das Psychogramm eines Menschen in der Krise.“ – dieser Hinweis reichte mir, um es mit der Geschichte aufzunehmen und ich muss sagen, jede Seite davon hat sich gelohnt.

Die ersten Seiten lesen sich widerspenstig, man mag Benjamin einfach nicht, aalglatt kommt er daher, Erfolge gehen ihm über alles, Menschlichkeit hat kaum einen Platz, so mag man diesen Mann einfach nicht, der nur auf Gewinnmaximierung aus ist. Unwillkürlich fragt man sich aber doch, wie er so werden konnte, wieso er sich so von seinen Gefühlen distanziert und mehr Bestätigung im Beruf sucht. Relativ zügig bekommt man auf die Frage eine Antwort geliefert: seine jüngere Schwester ist verstorben, die Umstände schrecklich, doch die Familie schweigt darüber. Der Tod ist präsent, doch man redet aneinander vorbei, niemals miteinander.

Alle lernte man kennen: Den Vater, der als Patriarchen auftritt. Die Mutter, die alle Eigenschaften ihres Ehemannes hinnimmt, sie sogar verteidigt. Die ältere Schwester, Daniela, die beinahe an der Familiensituation zerbrochen wäre. Die jüngere Schwester Nicky, die tatsächlich daran zerbrach und dann Benjamin, der zwischen den Stühlen steht, gegen den innerlichen Bruch kämpft und oft genug doch kurz davor steht. Sie alle werden beleuchtet, man nimmt ihre Eigenheiten auf, beurteiltet und stellt irgendwann fest – nichts ist so wie es scheint. Besonders für Daniela trifft es zu, kalt und herzlos wirkte sie unter ihrer harten Schale, doch diese hat sie sich aus guten Gründen zugelegt, welche auch langsam und behutsam aufgedeckt werden.

Letztlich geht es jedoch um Benjamin, der sich in seinem Leben eingerichtet hat und doch merkt, irgendwas stimmt so gar nicht und der Tod seiner kleinen Schwester lässt in diesen Zustand überdeutlich spüren. Er sucht Antworten, findet aber immer nur neue Fragen. Gefühle kann man betäuben, doch sie wollen gespürt werden und Benjamin lernt es auf die schmerzhafte Weise. Sein Prozess ist wunderbar gezeichnet: vom verachtenswerten Karrieremenschen, verwandelt er sich in ein Wesen voller Selbstzweifel und Sehnsüchte. An seiner Seite geht man den Weg, stolpert oft, steht auf, klopft sich den Staub aus der Kleidung und geht weiter. Wie es im Leben aber nun einmal ist, nicht immer findet man, wonach man gesucht hat und so bleibt der Schluss offen, was mich zuerst sehr gestört hat, aber ist es nicht so, dass es eben nicht auf alles gleich eine Antwort gibt, sich manche Dinge entwickeln müssen? Der Leser wird aufgefordert, sich selbst Gedanken zu machen – nicht einfach nur eine Geschichte zu lesen, sondern mutig genug zu sein, auch sein eigenes Leben zu betrachten und zu bewerten. Was besitzt Wichtigkeit? Wonach lohnt sich streben?

Fazit:
Benjamin zeigt auf, wie sehr man sich täuschen kann, dass es immer einen zweiten Blick braucht, um ein Bild vollkommen aufzunehmen. Bricht eine knallharte Fassade auf und ist man mutig genug, sich den Gefühlen zu stellen, dann ist es ein schmerzhafter Weg, doch lohnenswerter als jede Ignoranz.