Beim Sterben helfen darf jeder, nur kein Arzt

Von Nicsbloghaus @_nbh

von Harald Stücker

„Damit auch das Lebensende mensch­lich bleibt“, so lau­tete der Titel eines Vortrags von Elke Baezner, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), den sie auf Einladung des Bundes für Geistesfreiheit (BfG) Erlangen am 9.11.2011 gehal­ten hat. Die DGHS wurde 1980 aus dem Umfeld des BfG Bayern her­aus gegrün­det.

„Wir haben gehol­fen!“ Eine sol­che Kampagne würde sich die DGHS in einer gro­ßen Zeitschrift wün­schen, ganz ana­log der legen­dä­ren Kampagne „Wir haben abge­trie­ben!“ im Stern 1971. Es soll­ten sich mög­lichst viele Ärzte öffent­lich dazu beken­nen, dass sie Menschen beim Sterben gehol­fen haben. Eine sol­che Kampagne würde hel­fen, die unwür­dige Doppelmoral zu been­den, in der wir Erst-Später-Sterbenden es uns bequem gemacht haben. Sie würde das Bewusstsein dafür schär­fen, dass ein selbst­be­stimm­tes Sterben in Deutschland oft nur sehr schwer mög­lich ist. Ebenso wie im Falle der Abtreibung brau­chen wir eine umfas­sende gesetz­li­che Regelung, um Leid zu ver­rin­gern, das aller­erst durch die Verdrängung und Tabuisierung des Themas ent­steht.

Es gilt auch, einem gro­tes­ken Sterbetourismus in unsere Nachbarländer ein Ende zu berei­ten; Länder wie die Niederlande oder die Schweiz, die sich der Aufgabe schon gestellt haben, eine gesetz­li­che Lösung zu fin­den. Ein Tourismus übri­gens, der noch unzu­mut­ba­rer, noch ent­wür­di­gen­der und für uns alle noch beschä­men­der ist als der Abtreibungstourismus.

Eine sol­che gesetz­li­che Regelung müsste gleich­zei­tig den viel­be­schwo­re­nen Missbrauch eines Rechts auf selbst­be­stimm­ten Tod effek­tiv ver­hin­dern hel­fen. Wer das Argument der schie­fen Bahn bemüht, wird zuge­ben müs­sen, dass eine sol­che Bahn in einer recht­li­chen Grauzone nicht fla­cher ist.

Frau Baezner betonte, wie wich­tig eine detail­lierte Patientenverfügung sei. Das Instrument der Patientenverfügung wurde von der DGHS, unter Beteiligung des Bundes für Geistesfreiheit, maß­geb­lich ent­wi­ckelt. Formulare für eine Patientenverfügung kön­nen auf der Webseite der DGHS her­un­ter­ge­la­den wer­den (www.dghs.de). Neuerdings bie­tet die DGHS auch einen Notfallausweis im Scheckkartenformat an. Die Patientenverfügung ist dabei online hin­ter­legt und kann im Notfall über die­sen Notfallausweis vom medi­zi­ni­schen Personal abge­ru­fen wer­den. Es emp­fiehlt sich, die­sen Ausweis zusam­men mit der Krankenversicherungskarte – und even­tu­ell dem Organspendeausweis – bei sich zu tra­gen.

Es komme zwar immer wie­der vor, dass Ärzte eine sol­che Patientenverfügung igno­rie­ren oder mit den Worten „Das geht mich nichts an“ abtun, aber man sollte wis­sen, dass sie sich damit straf­bar machen. Da Menschen, die im Sterben lie­gen, sich im Allgemeinen gegen eine sol­che kri­mi­nelle Arroganz nicht weh­ren kön­nen, komme es ganz ent­schei­dend auf den Bevollmächtigten an, der eine sol­che Patientenverfügung im Ernstfall durch­set­zen muss.

Gerade erst hat der Deutsche Ärzte­tag den Ärzten in Deutschland ver­bo­ten, Hilfe zum Freitod zu leis­ten, ent­ge­gen gel­ten­dem Recht, denn eine sol­che pas­sive Sterbehilfe ist durch­aus erlaubt, weil näm­lich Selbsttötung keine Straftat ist und darum auch die Beihilfe dazu nicht. Somit haben wir die absurde Situation, dass jeder beim Sterben hel­fen darf, es sei denn, es han­delt sich um einen Arzt.

Ein Zuhörer, selbst Arzt, wies auf die trau­rige Tatsache hin, dass es wie immer in der Politik nicht die Besten seien, die ihre Zeit in Gremien ver­brin­gen. Die Besten wür­den in den Krankenhäusern hart arbei­ten und alles Menschenmögliche tun. Frau Baezner ant­wor­tete, dass das unbe­nom­men sei, aber solange die Funktionäre eben nicht die recht­li­chen Rahmenbedingungen schaf­fen wür­den, solange sei das Menschenmögliche und Menschenwürdige unter Umständen straf­be­wehrt. Humanes Sterben sollte aber nicht im Verborgenen statt­fin­den müs­sen.

Auf die auch moral­phi­lo­so­phisch inter­es­sante Frage, warum sich die DGHS nicht auch für die aktive Sterbehilfe ein­setze, die ja für viele Menschen die ein­zige Möglichkeit für einen men­schen­wür­di­gen und schmerz­freien Tod dar­stellt, warum sie sich also in ihren Forderungen auf die pas­sive bis hin zur indi­rek­ten akti­ven Sterbehilfe beschränke, ant­wor­tete Frau Baezner, dass auch sie hier einen Dammbruch befürchte. Sie befür­worte daher ein gene­rel­les Verbot, plä­diere aber für Straffreiheit in begrün­de­ten Ausnahmefällen.

Es scheint tri­vial, aber den­noch nicht über­flüs­sig, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die­ses Thema uns alle angeht, denn wir sind alle Sterbende. Der an Krebs erkrankte Christopher Hitchens wurde ein­mal in einer Diskussionsrunde gefragt, wie es ihm gehe. „Oh, danke, ich sterbe gerade“, gab er zur Antwort, „aber … Sie auch.“

[Erstveröffentlichung: GBS Mittelfranken]

Siehe dazu auch das Interview mit Andreas Dresen beim hpd zu sei­nem neuen Film “Halt auf freier Strecke”!