Beiläufig klassenkämpferisch

Von Robertodelapuente @adsinistram
Wer fleißig gearbeitet hat, darf nicht so wenig Rente bekommen, sagte sie. Betonung auf fleißig. So läßt sie sich in Interviews zitieren, so sagte sie es selbst in Mikrofone. Fleißig gearbeitet oder Variation: Wer fleißig gearbeitet und in die Rentenkasse einbezahlt hat ... Braucht es denn unbedingt Fleiß, um in die Rentenkasse einzahlen zu dürfen? Ist sie am Ende gar eine Fleißkasse? Warum diese Hervorhebung des Fleißes, wo er doch gar nicht wesentlich wäre? Letztlich zählen einzig und alleine die Zeiträume, in denen man in die Rentenkasse einbezahlt hat; letztlich zählt nur, ob jemand möglichst viele Jahre mit einem gültigen Arbeitsvertrag abdecken konnte oder nicht - ob er allerdings fleißig war oder nicht, das ist wenn überhaupt lediglich eine zu klärende Frage zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dem Rententräger ist das einerlei.
Warum dieser fleißige Umgang mit einem Fleiß, der ohne Not hervorgehoben wird? Die Arbeitsministerin betreibt sprachliche Abschottung zu jenem Bodensatz der Gesellschaft, der angeblich geschlossen nicht arbeiten will und nichts mit Fleiß am Hut hat, vulgo Unterschicht genannt. Der von ihr genannte Fleiß der Arbeitnehmer meint eigentlich die Faulheit der Arbeitslosen. Ein süffisant gesetztes Attribut, wo es nicht sein müsste, sagt oft mehr als ganze Absätze. Man muss die Faulheit gar nicht boulevardesk aufbereiten, sie aufbauschen, sie von einschlägigen Medien für beste Sendezeiten inszenieren, um mit dem Finger auf Niedriglöhner und Arbeitslose deuten zu können. Es reicht, wenn man vom Fleiß arbeitender Menschen spricht, um damit die Faulheit wenig oder gar nicht arbeitender Menschen thematisiert zu haben. Man kann Dinge sagen, ohne sie zu sagen. Man kann das neoliberale Menschenbild deutlich machen, ohne es direkt anzusprechen.

Interessant ist die lapidare Sprachwahl immer; sie sagt viel über Herkunft und Ziel einer Person aus, über Motive und Leitgedanken. Dazu muss man nicht den Soziolekt auswerten, der kultiviert wird und irgendwann zum allgemeinen Sprach- und Metaphernschatz wird; die Analyse der Gruppensprache, die später auch Massensprache werden kann, ist das Offenbare, zeigt das auf, was erst auf der Zunge, hernach auf der Hand liegt. In meinem Essay Worte schreibe ich hierzu: "Dass an dieser Stelle nicht weiter von und über neoliberale Sprache, ihren Neologismen und Euphemismen gesprochen wird, hat [...] einen [...] Grund: es sind nämlich nicht nur so genannte neoliberale Sprachkonstruktionen, Schlagworte oder Parolen, die die hier angemahnte Sprechweise durchpulsen. Es sind vorrangig ordinäre, banale Alltagsvokabeln der Umgangs- und Hochsprache, die in doppelzüngigen, heimtückischen und überaus bedenklichen Zusammenhang gebracht werden. Solche völlig normalen Worte der deutschen Sprache, zweckentfremdet oder in fragwürdige Beziehung geschoben, sind zumeist sogar noch viel gefährlicher und manipulativer als neoliberale Termini."
Vermeintlich nebensächliche Worte in Gebrauch zu nehmen, die doch mehr sagen, als der gesamte inhaltliche Aspekt einer kompletten Abhandlung, verrät mehr als die Anwendung einschlägiger Begriffe. Der Fleiß im Satz der Ministerin ist insofern auch kein Zufallsprodukt. Sprache ist spontan und assoziativ, sie reagiert in Zehntelsekunden, kann Sachverhalte schier synchron zum Geschehen begrifflich verstehbar machen, passende Worte werden in der Regel nicht zäh erdacht, sie kommen einem unüberlegt in den Sinn, fallen einem auf die Zunge. Wenn es einem sprichwörtlich die Sprache verschlägt, ist dieser natürliche Mechanismus menschlicher Kommunikationsfähigkeit kurzfristig abgestellt und gilt eher als Ausnahmefall. Dieser ministerielle Fleiß ist fürwahr kein Produkt von Spontanität, nicht einfach zufällig fallengelassen. Er fiel so zwischen die Worte geschoben viel zu oft, als dass man das glauben könnte. Er ist klar gesetzt, wird gezielt wiederholt und verschlagwortet, wird als unscheinbare Kampagne innerhalb des Satzes geführt. Fleißig gearbeitet klingt für jene bürgerliche Mitte, die in protestantische Arbeitsmoral und neoliberalen Klassismus getunkt wurden, heimelig und kuschelig, klingt belobigend, streichelt diejenigen, die sich angesprochen fühlen, grenzt von denen ab, die man als nicht fleißig wahrnimmt, egal ob sie nicht fleißig sein können, wollen, dürfen oder sollen. Dass Arbeit nicht Fleiß heißt in diesem speziellen Falle, wo es um Renten geht, dass Anwesenheit gemeint wäre, kommt dabei gar nicht mehr in den Sinn. Denn die Ministerin meint Anwesenheit - und die fehlende Anwesenheit von Menschen an irgendeinem Arbeitsplatz, auch Arbeitslosigkeit genannt, die meint das Gegenteil vom ministeriell sprachverordneten Fleiß. Letzteren zu erwähnen, wäre nicht notwendig - er ist es nur, weil damit eine Botschaft transportiert werden soll, nicht zwischen den Zeilen, sondern zwischen den Worten als überflüssiges, jedoch dennoch eingebautes Wort.
Die Ministerin ist Meisterin der unverfänglichen Worte, die sie unscheinbar einknüpft, die jedoch immer anzeigen, für welche Klientel sie die politischen Geschäfte besorgt. Sie ist die stille, die unverfängliche, die beiläufige Klassenkämpferin einer bürgerlichen Mitte, die sich mit aller Macht und mit moralischer Ächtung von denen abgrenzt, die sie Unterschicht nennt. Sie schiebt klassenkämpferisch Worte an Satzstellen, die unnötig wären, die aber trotzdem fallen, um die Abschottung sprachlich, denkerisch und letztlich auch wirklich kenntlich zu machen.