Ich habe mich ja schon einige male mit Definitionsfragen zum Begriff “Islamophobie” auseinander gesetzt. Auch wenn das dem Einen oder Anderen sehr theoretisch und unsinnig vorkommt; ich lege Wert darauf, zu versuchen, mich so klar auszudrücken, dass ich unmissverständlich verstanden werde. Denn gerade beim Thema Islam und den damit zusammenhängenden Befindlichkeiten der Bevölkerung kann man nicht deutlich und klar genug sein. Weder möchte ich in den Ruf eines Relativisten kommen, noch Beifall aus einer Ecke bekommen, die mir nicht behagt.
Ganz aktuell beschäftigt sich Alan Posener mit diesem Thema. Auslöser dafür war dieser Essay von Pascal Bruckner, der im perlentaucher erschien.
Bruckner schreibt:
Ende der siebziger Jahre haben iranische Fundamentalisten den Begriff der Islamophobie erfunden, den sie sich von der “Xenophobie” abgepaust haben. Sein Ziel ist, den Islam zu etwas Unberührbarem zu erklären. Wer diese neu gesetzte Grenze überschreitet, gilt als Rassist. Diese einer totalitären Propaganda würdige Begriff lässt absichtlich offen, ob er auf eine Religion zielt, ein Glaubenssystem, oder auf die Gläubigen aller Herren Länder, die ihr angehören.
Diese Entstehungsgeschichte des Begriffes “Islamophobie” brachte auch Armin Pfahl-Traughber dazu, über einen neuen Begriff nachzudenken, der ausdrückt, dass man sich sehr wohl religionskritisch (gegen den Islam) äußern darf und muss, ohne jedoch Gefahr zu laufen, sich der Diffamierung der Gläubigen schuldig zu machen.
Für mich ist es ebenfalls sehr wichtig, eine Unterscheidung zu machen: in etlichen Veröffentlichungen, auch von säkularer Seite, wird es sich zu einfach gemacht. Es wird die Gleichung Moslem=Islam=Islamismus=Terrorismus aufgemacht. Nichts könnte falscher sein. (Aber es ist halt einfach, nach diesem Schema zu verfahren, die Medien machen es vor und es scheint Konsens in der Gesellschaft zu sein, dem zu folgen.)
So wenig wie jeder Christ Inquisitor genannt werden kann, so wenig kann jeder Moslem als Islamist oder Terrorist bezeichnet werden.
Doch zurück zu Alan Posener.
Das Argument, Islamisten hätten den Begriff erfunden, um die Kritik am Islam in die krankhafte Ecke (eine Phobie ist eine irrationale Angst) zu drängen, mag richtig oder falsch sein. Es ist irrelevant. Der Begriff „Antisemitismus“ ist ja auch von Reaktionären erfunden worden, um ihrem vom christlichen Antijudaismus übernommenen Judenhass einen „wissenschaftlichen“ Anstrich zu geben.
Es scheint mir eben nicht irrelevant zu sein, welche Worte wir nutzen, um gesellschaftliche Zustände zu schreiben. An unserer Sprache kann man uns erkennen. Und ich meine eben doch, dass es wichtig ist, dass wir uns schon anhand unseres Vokabulares unterscheiden.
Richtig ist jedoch, wenn Posener schreibt:
Der Rassist greift Menschen an nicht für das, was sie sind, sondern für das, was sie seiner Meinung nach sind. (Hervorhebung von mir)
Er formuliert – vielleicht ohne es zu merken – einen der wichtigsten Gründe für genaue Definitionen. Rassismus, auch Antisemitismus zieht keine genaue Grenze zwischen Volk, Nation und Wertegemeinschaft (Religion), eher im Gegenteil wird diese diffus gelassen. Der Rassist passt diese Grenzen seinen Bedürfnissen an und bestimmt, wer “seiner Meinung nach” in diese auszugrenzende Gruppe gehört. Notfalls wird die Religionszugehörigkeit zu einer “Rasse” umgewertet; oder – aktuell – eine örtliche Herkunft nur über Religion definiert; völlig unabhängig davon, was der einzelne (ausgegrenzte) Mensch fühlt und wozu (und ob) er sich bekennt.
Beifall für Posener, wenn er schreibt:
Die Behauptung, der „wissenschaftliche“ Rassismus habe mit herkömmlichen Vorurteilen, besonders religiösen, nichts zu tun, wird von den Rassisten selbst in die Welt gesetzt, wie erwähnt, um ihrer kruden Ideologie die Weihe des Wissenschaftlichen (Schädelmessungen, Statistiken) zu verleihen. Sie wird dankbar von der Kirche aufgegriffen, die ihren zweitausendjährigen Antijudaismus dadurch entschuldigt sieht.
allerdings keinen, wenn er – wie in dem Artikel – zwar gut begründet, was an Kritiknotwendigem im Bruckner-Essay zu sagen ist, dann aber selbst nicht Konsequenzen ziehen mag:
Der Vorwurf der „Islamophobie“ wird von islamischer Seite fast ausschließlich gegen Nicht-Muslime (und, zugegeben, auch gegen radikale Kemalisten) erhoben; ich benutze ihn zur Kennzeichnung einer religiös verbrämten Fremdenangst.
Aber gut, wenn sich Alan Posener zu diesem Begriff bekennt und ihn auch aus seiner Sicht definiert, dann ist das zu akzeptieren.
Die letzten Sätze seines Artikels sind dann an Deutlichkeit nicht mehr zu übertreffen und ich übernehme sie hier (fast) in Gänze:
…Gegen den Kommunismus zu sein war in den 1950er Jahren nicht nur ehrenhaft; der Antikommunismus war als Ergänzung des Antifaschismus die einzig mögliche aufrechte Haltung für kritische Intellektuelle. McCarthy und seinesgleichen machten aber daraus eine Hysterie und die Begründung für eine Hexenjagd.
Ähnliches wird heute mit dem Islam und dem Islamismus versucht, und hier verläuft die Grenze zwischen Religionskritik und Islamophobie. Ich mache aus meinem Atheismus keinen Hehl. Ich habe zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Anlässen Christentum, Islam und Judentum kritisiert. Wenn aber jemand behauptet, zwischen meiner – wie ich hoffe – begründeten, wenn auch teilweise unfairen und polemischen Kritik an Ideen und Einrichtungen und der Herabsetzung ganzer Volksgruppen etwa durch Thilo Sarrazin gebe es keinen Unterschied, das sei alles Religionskritik, dann zweifle ich an den Ergebnissen der PISA-Studie, der zufolge sich auch Frankreich, was die Lesefähigkeit betrifft, im Mittelfeld der Industrieländer befindet.
Nennen wir das Kind, wie wir wollen: Es gibt eine Form der Islam-Kritik, die über den Begriff der „islamischen Kultur“ oder „islamisch geprägten Kultur“ und ihrer Abgrenzung von der „christlich-jüdischen Leitkultur“ dabei ist, die Vorstellung von Bürgern verschiedener Güteklasse zu etablieren. Getrieben wird sie von einer der McCarthy’schen Kommunisten-Hysterie vergleichbaren irrationalen Angst, die ich „Islamophobie“ nenne.
[...] Wer aber leugnet, dass ein solcher Prozess der Ab- und Ausgrenzung überhaupt im Gange ist, der leidet offenkundig unter Realitätsverlust. Da ist es nur logisch, auch die Worte verbieten zu wollen, die ihn an jene Realität erinnern.
Nic
Artikel zum Thema:
Eine Ablehnung des Islam beinhaltet noch keine Ablehnung von Muslimen
Begriffe: Islamophobie vs. Antimuslimismus
Wie hältst Du es mit dem Islam und den Muslimen?