Im Leben begegnet man vielen Menschen. Manche begleiten Dich viele Jahre und gehen den Weg mit Dir gemeinsam. Einige begleiten Dich nur eine kleine Weile. Und dann gibt es die, denen man nur kurz über den Weg läuft. Menschen, die für Dein Leben eigentlich nicht wichtig sind, und es dennoch bereichern.
Im Moment begegne ich täglich vielen Menschen, wenn ich morgens die kleine Pusteblume im Kinderwagen vor mir her schiebe und mit ihr durch die Natur streife. Manchen sage ich nur kurz Hallo, andere begleiten mich ein Stück. Oder vielleicht ist es auch umgekehrt. Manche Begegnungen bleiben in Erinnerung, so wie eine kleine Geschichte.
Ein paar dieser Geschichten schreibe ich auf. Für Euch. Für mich. Für diejenigen, die mir begegnet sind.
Südostwind
Es war ein kalter Wintertag und ein eisiger Wind wehte. Wir waren noch nicht lange unterwegs, als uns ein Mann mit seinem Hund begegnete. Wir unterhielten uns kurz und er fragte, welchen Weg wir einschlagen würden. Als ich sagte, wir würden die kleine Runde durch den Wald drehen, riet er mir genau andersherum zu gehen, denn dann hätte ich auf dem Weg durchs offene Feld den eisigen Südostwind im Rücken und würde auf dem Rückweg am Wald entlang besser vor dem Wind geschützt sein. Ich sagte ihm jedoch, dass ich Gewohnheitstier vermutlich den üblichen Weg gehen werde. „Dann werden Sie auf dem Rückweg an mich denken!“, sagte er zum Abschied. Und er behielt Recht. Der kalte Wind schnitt uns ins Gesicht und ich dachte schließlich, dass ich doch besser auf ihn hätte hören sollen. Es soll mir eine Lehre sein, falls mir der Wind wieder einmal ins Gesicht weht.
Unwegsames Norwegen
An einem kalten, sonnigen Januarmorgen führte uns unser Weg durch die Schwalmauen. Ich schob meine Kleine im Kinderwagen vor mir her, als uns eine junge Frau mit ihrem kleinen Sohn vor sich in der Bauchtrage begegnete. Der Kleine reagierte mit strahlenden Augen auf meine Tochter und zeigte freudig auf sie. Wir kamen ins Gespräch, während die Kinder sich beäugten. Urlaub machten sie bei uns im Ort. Sie erzählte mir vom rauen Norwegen, wo sie mit ihrer Familie lebte und wie schön es dort sei, aber dass es dort in der Natur nur selten befestigte Wege gibt, die zu langen Spaziergängen einladen würden. Mir gefiel diese Vorstellung, gehe ich doch gern abseits der vorgeschrieben Wege. Als wir uns verabschiedet hatten, streifte ich in Gedanken durch das unwegsame Norwegen und dachte mir, dass ich es mir irgendwann einmal ansehen möchte.
Der einsame Mann
Am gleichen Ort, jedoch an einem anderen Tag, lief uns ein freundlicher, älter Herr über den Weg. Er sagte: „Nutzen Sie auch noch schnell das trockene Wetter, bevor morgen der Schnee kommen soll?“ Wir sprachen eine Weile, bis ich mich verabschiedete und gewohnt schnellen Schrittes weiter ging. Ich hielt jedoch später an, um ein paar Fotos zu machen und der Mann holte uns wieder ein. Den Rest des Weges am Wasser entlang gingen wir gemeinsam und er erzählte mir von seiner verstorbenen Frau, von seiner Tochter, die weit weg am Bodensee wohnt, von seinem Enkel, der bei uns im Nachbarort lebte, nun aber auch wegziehen würde. Mir wurde ein wenig schwer ums Herz, denn so allein zu sein ist sicher nicht einfach. Und ich hatte das Gefühl, er war froh, es einfach mal jemandem erzählen zu können. Als wir uns der Straße näherten, verabschiedeten wir uns ein zweites Mal. Ich lief durch die Fußgängerzone, kam noch kurz mit einer Bekannten ins Gespräch, als uns der Herr erneut einholte. Wieder liefen wir ein Stück gemeinsam, unterhielten uns über Gott und die Welt, bis sich unsere Wege entgültig trennten. Manchmal bei unseren morgendlichen Spaziergängen denke ich an ihn und hoffe ihm irgendwann wieder zu begegnen, um ihm ein wenig Gesellschaft leisten zu können.
Das gehäkelte Deckchen
Es gibt auch ältere Geschichten, die mir nicht aus dem Kopf gehen. So erinnere ich mich heute noch an eine Geschichte, die etwa 30 Jahre her ist. Ich machte mit meiner Familie Urlaub in Kroatien. Ich vermute, damals war ich 7 Jahre alt. Wir liefen abends durch die Altstadt von Poreç, als dort auf dem Boden an einer Hauswand eine kleine, uralte Dame saß. Sie verkaufte selbst gehäkelte Deckchen. Meine Mutter schaute die Deckchen interessiert an und ich schloss in dieser Zeit die alte Dame in mein Herz. Nun hatte meine Mutter aber kein Geld mehr in der Tasche, ich hingegen hatte noch ein bisschen Taschengeld. Mama fragte mich, ob ich ihr etwas Geld geben würde, damit sie ein Deckchen kaufen könne. Ich jedoch wollte mein Geld lieber behalten, verstand ich doch nicht, dass ich es zuhause wieder zurück bekommen würde. So ließen wir die Frau zurück, ohne etwas zu kaufen. Hinterher habe ich das zutiefst bereut. Die Dame ging mir nicht aus dem Kopf, sogar heute noch sehe ich ihr Gesicht klar vor meinen Augen.
Jahre später – ich war 19 – reiste ich ein letztes Mal mit meinen Eltern nach Kroatien und wieder saß eine alte Frau an der Straße und verkaufte Deckchen. Als kleine Wiedergutmachung kauften wir etwas bei ihr. Aber so ganz ausgesöhnt hat mich das nicht.
Der alte Mann auf der Bank
Als ich noch ein Kind war spielte ich oft mit meinen Freunden in der Fußgängerzone. Zum Stadtbild gehörte ein alter Mann, der bei uns in der Nähe wohnte. Er saß immer auf einer Bank, manchmal in Gesellschaft, aber auch oft allein. Ich hatte ihn in mein Herz geschlossen. Nicht selten setzte ich mich neben ihn und unterhielt mich mit ihm. Viele Jahre lang. Irgendwann war er nicht mehr da, der Platz auf der Bank leer. Manchmal, wenn ich durch die Fußgängerzone laufe, dann gucke ich auf diesen Platz und erinnere mich daran. Er gehörte irgendwie zu meiner Kindheit dazu.
Halloween
Ich halte nichts von Halloween. Ich bin kein Freund von solchen Trends, die irgendwann mal in unser Land rübergeschwappt sind. Deswegen hatte ich vor ein paar Jahren im Supermarkt auch gar nicht im Sinn, dass Halloween vor der Tür steht. Ein alter Herr stand vor mir an der Kasse mit rund 30 Tafeln Schokolade. „Da haben Sie sich aber einiges vorgenommen!“, sagte ich zu ihm. Er lachte und sagte, dass er die nicht alle essen wolle. „Die Kinder kommen doch morgen wieder klingeln!“ Ich war überrascht und auch wenn ich mit Halloween echt nichts an der Mütze habe, fand ich es doch total süß, dass der Mann daran gedacht hat und für den Tag gut gewappnet war.
Der kleine Retter
Es war vor ein paar Jahren im Urlaub. Wir waren gerade frisch verheiratet und wollten unser Mittagessen in der Strandbar genießen. Ich hatte meinen Teller vollgepackt mit lauter leckeren Sachen. Dabei unterschätzte ich jedoch die Heimtücke einer niedlichen, kleinen Paprikaschote. Dass diese sich als ultra scharfe Peperoni entpuppen würde, habe ich echt nicht geahnt. Also biss ich einfach hinein – und es brannte. Es brannte so dermaßen. So etwas scharfes hatte ich nie zuvor gegessen. Ich wusste gar nicht wohin mit meinem Schmerz, als plötzlich ein kleiner Junge vor mir stand, und mir einen Eiswürfel hin hielt. Damit kühlte ich meine brennenden Lippen. Und der süße kleine Kerl? War von da an mein Held. Nach ihm haben wir dann sogar unseren Sohn benannt.
Das Leben schreibt viele Geschichten. Manche davon sind nur klein. Aber oft sind es eben die Kleinigkeiten, die in ihrer Summe zu etwas Großem werden.