Beethoven als Hoffnungsträger einer besseren Zukunft

Von European-Cultural-News

Von Michaela Preiner

Styriarte – „Fidelio“ (Foto: Werner Kmetitsch)

14.

Juli 2018

Konzert
Styriarte

Mit der konzertanten Aufführung von Beethovens Fidelio in der List-Halle bekannte das Styriarte-Team seine uneingeschränkte Solidarität mit Flüchtlingen in unserem Land.

„Historische Musik aufzuführen macht nur dann Sinn, wenn es einen aktuellen Bezug dafür gibt“, erklärte der Dramaturg Thomas Höft vor dem Konzert und verwies damit nicht zuletzt auch auf Nikolaus Harnoncourts Kunstverständnis.

Doch nicht nur die Aktualität, die Höft bei diesem Fidelio herstellen wollte, war ausschlaggebend für die multimediale Aufführung. Vielmehr auch das Gebot des Saales, in dem das gesprochene Wort wesentlich schlechter wahrgenommen wird als der Gesang mit einer Nachhallzeit von 3 Sekunden. Aus diesen Gründen war nach einer Möglichkeit gesucht worden, die Dialoge zwischen den Hauptcharakteren zu vermeiden. So machte man sich auf die Suche, ob es ähnliche Geschichten, wie jene von Leonore, der Ehefrau des eingekerkerten Florestans aus dem Libretto, gibt, die sich in unserer Zeit ereignen. Geschichten von Mut und Flucht, von Befreiung und Standhaftigkeit.

Fündig wurde man bei verschiedenen Flüchtlingshilfsorganisationen. Männer und Frauen, die es nach Österreich geschafft haben und sich in unterschiedlichen rechtlichen Flüchtlingsstadien befinden, vom anerkannten Flüchtling bis zu solchen, die vor der Abschiebung stehen, erzählten dafür kurz ihre Odysseen und Leidenswege. Diese Aufzeichnungen wurden zwischen die musikalischen Nummern eingebaut. Thomas Höfts Stimme aus dem Off gab vor jeder Videoeinspielung kurze Infos über die Menschen und ihre Schicksale und schuf so nachvollziehbare Überleitungen vom Geschehen auf der Bühne zu den jeweiligen Kurzfilmen.

Für so manch eine und einen im Publikum war dies schwer verdauliche Kost. Andere wiederum, wie in der Pause zu erfahren war, lehnten die Vorgangsweise aus ästhetischen Gründen ab. Glücklicherweise jedoch war beim Endapplaus von dieser Einstellung überhaupt nichts mehr zu spüren. Denn sonst hätte man die Erkenntnis zitieren müssen, dass Kulturkonsum, Menschlichkeit und Intelligenz nicht zwangsläufig Hand in Hand einhergehen.

Die Bühnen- und Kostümbildnerin Lilli Hartmann schuf sowohl für den Chor als auch für die Solistinnen und Solisten eine Bekleidungsvariante mit Jeans und blauen Hemden. Ein Bezug zu autoritären Regimen, in welchen alle gleichgeschaltet werden, zugleich aber auch die Einladung, diese Oper niederschwelliger zu transportieren, als dies normalerweise der Fall ist. Auch das Orchester inklusive seines Dirigenten – dem unglaublich stilsicher und lebhaft agierenden Andrés Orozco-Estrada – hielt sich an den Dresscode und spielte ebenfalls in Jeans und blauen Oberteilen.

Styriarte – „Fidelio“ (Foto: Werner Kmetitsch)

Styriarte – „Fidelio“ (Foto: Werner Kmetitsch)

Berückend gleich von Beginn an war die ausgefeilte Dynamik, die der Dirigent seinen Musikerinnen und Musikern entlocken konnte. Der rasche Wechsel zwischen laut und leise innerhalb weniger Takte brachte Beethovens Partitur so richtig zum Schillern. Auch der Einsatz von historischen Instrumentennachbauten war deutlich hörbar. Neben den mit Darmsaiten bespannten Streichern war dies am meisten wohl bei den samtigen Hörnern der Fall. An einer der kritischsten Stellen, an der eine kurze Bläser-Trio-Passage erklang, lieferte eine der Stimmen eine unüberhörbare Schieflage ab. Dieses musikalische Hoppala machte die Schwierigkeit der Spielbarkeit, die sich bei Naturhörnern gänzlich anders gestaltet als bei modernen Instrumenten, deutlich und zugleich den Musikgenuss zu einem höchst menschlichen. Einem, der so nur live im Konzertsaal zu erleben ist und klar macht, dass auch die Musikerinnen und Musiker bei ihrer Berufsausübung fehlbare Menschen sein können, wie wir alle es sind.

Als ein herausragendes Merkmal der Styriarte-Produktionen ist die treffsichere Besetzung zu nennen. Es ist immer wieder eine große Freude, derart gute Stimmen in Graz hören zu können. Mit Tetiana Miyus gelang eine fantastische Besetzung für Marzelline, deren glockenheller, klarer Sopran heftig umjubelt wurde. Johanna Winkel beeindruckte als Leonore nicht nur stimmlich, sondern auch optisch in der Verwandlung zu einem schlanken, großen Fidelio. Ausgezeichnet auch die Herren, unter anderen Johannes Chum als höchst zerbrechlich wirkender Florestan, Adrian Eröd als Minister, der die politisch motivierte Befreiung des Inhaftierten medienwirksam via Handy sofort verbreitete, Jochen Kupfer als Don Pizarro, welcher seine schauspielerischen Fähigkeiten als gewissenloser Mörder unter Beweis stellte und Thomas Stimmel als Rocco, der trotz einer Verletzung mit ruhig gestelltem Arm seine Partie herausragend sang.

Wie sehr das Konzept der Verschränkung zwischen aktuellem Geschehen und Beethovens Ideen von einer hoffnungsfrohen, besseren Welt funktionierte, konnte man bei jener Chorpassage mehr als deutlich spüren, in welcher die Gefangenen des Fidelio-Chors singen: „Oh welche Lust in freier Luft den Atem leicht zu heben.“ Denn mit der Personalisierung von Fluchtgeschichten war zuvor deutlich geworden, was es bedeutet, in einem freien Land leben zu dürfen, in welchem wir wahrlich alle genug Luft zum Atmen und genügend Ressourcen haben, Verfolgten ein neues Zuhause anzubieten. Zusammengesetzt war der Chor aus Profi-Stimmen verschiedener Grazer Chöre und sangesfreudigen Migrantinnen und Migranten, sodass in ihm 14 Nationen vertreten waren.

Styriarte – „Fidelio“ (Foto: Werner Kmetitsch)

Ein berührender, intensiver Opernabend, der auch verdeutlichte, dass wir dringend Kulturinstitutionen wie die Styriarte brauchen. Denn diese lassen sich weder mundtot machen, noch biedern sie sich dem jeweiligen Regierungsstil an. Vielmehr sorgen sie immer wieder aufs Neue dafür, um dem Versteinern der Herzen unserer Gesellschaft, die sich permanent auf humanitär höchst fragliche Gesetze beruft, die unabdingbar seien, ein wirksames Mittel entgegenzusetzen.

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