Von Stefan Sasse
In meinen Berichten von der Piratenpartei schrieb ich letzthin, dass es den Piraten gelingen könnte, einen dritten Weg aufzuzeigen, der aus den derzeit verhärteten Fronten aus der Krise weisen könnte. Diese Formulierung war zugegebenermaßen etwas unüberlegt, ist doch der "Dritte Weg" mit der Neoliberalisierung der Sozialdemokratien Europas, in besonderer Weise aber Labour und der SPD, verknüpft. Davon soll hier aber keine Rede sein. In der Rückschau, spätestens, ist klar geworden dass dieser "dritte Weg" niemals einer war. Von einer Verknüpfung von Kapitalismus und Sozialismus, was der selbst gestellte Anspruch irgendwie war, ist effektiv nichts geblieben als ein sozialstaatlich verbrämter Reformkurs nach dem neoliberalen Glaubensbuch, mitsamt seinen Kürzungen, Anreizen, Streichungen und Förderungen. Das aktuelle Problem der Politik, das direkt mit ihrer eigenen Unbeliebtheit korreliert, scheint aber genau das Fehlen eines Dritten Weges zu sein. Weder die so genannten "Bürgerlichen" um CDU und FDP noch die so genannten "Linken" um SPD, Grüne oder LINKE scheinen eine überzeugende Antwort, eine Art gesellschaftlicher Vision zu haben. Das ist merkwürdig, denn eigentlich sollte in einer globalen Kapitalismuskrise doch eigentlich die LINKE gerade solche Antworten haben. Eine Antwort fand ich jüngst im Spiegel 45/2011 in einem Porträt Sahra Wagenknechts, in dem der Autor schrieb, dass die Menschen zwar die zerstörerischen Ziele der LINKEn teilten - also die Entmachtung von Banken, die Regulierung der Wirtschaft, stärkere Besteuerung der Reichen usw. - aber nicht das, was sie konstruktiv erreichen wollte, also eine Art gemäßigten Sozialismus. Und ich glaube, genau da liegt der Hase im Pfeffer.
Die SPD, soviel sei vorangestellt, können wir für diese Diskussion vollständig ausklammern. Sie hat nichts, das sie zu der Debatte beitragen kann. Sie ist der CDU mal einen halben Schritt voraus, mal einen halben Schritt hintendrein, aber letztlich hat sie keine Antworten, keine Vision, keinen Entwurf. Sie steht immer noch mit einem Fuß im Sumpf der scheinbaren "Mitte", in den sie sich manövriert hat, immer noch nicht erkennend, dass es die überhaupt nicht gibt. Die Grünen haben im Berliner Landtagswahlkampf einen vorzeitigen Dämpfer bekommen und mussten erkennen, dass auch sie mit der Überwindung von Inhalten nach dem Muster der Schröder-SPD nicht werden punkten können. Sie waren bislang auch die einzigen, die mit dem "Green New Deal" wenigstens eine Alternative im Gepäck hatten. Die aber wird von den so genannten "Realos" der Partei, etwa Özdemir, auf dem Altar einer eingebildeten Regierungsfähigkeit und Strahlkraft zur "Mitte" hin geopfert.
Zwischen den fanatisch gläubigen Ideologen der alten Stabilitätsdoktrin auf der einen den romatisch-sozialistischen Revolutionären auf der anderen Seite aber lavieren die Parteien derzeit in einem merkwürdigen, unsicheren Niemandsland umher. Sie sind sich unsicher darüber, was sie eigentlich wollen, laufen den Wählertrends nach und fahren die Politik des geringsten Risikos. Das ist nicht einmal per se verwerflich. In einer der tiefgreifendsten Krisen der Geschichte der BRD sind kleine Schritte vielleicht sogar besser als große, die in völlig ungewisse Gefilde führen. Würde ich als politischer Entscheidungsträger derzeit die Verantwortung dafür tragen, dass jeder Schritt die Welt, wie wir sie kennen, potenziell aus den Angeln heben könnte - ich denke, mir wäre auch nicht wohl dabei. Zum Glück bin ich kein politischer Entscheidungsträger, und deswegen kann ich hemmungslos kritisieren und fantasieren. Unter dem Eindruck der aktuellen Diskussion Schirrmacher, Habermas und andere stellt sich für mich folgende Diagnose:
Der Glaube an den Markt als heilender Kraft hat ausgedient. Zwar sind die alten Ideologen und Fanatisch-Gläubigen immer noch alive and kicking, wie etwa das FAZ-Wirtschaftsblog "Fazit" eindrucksvoll unter Beweis stellt. Aber auf der anderen Seite verliert auch der Glaube an den heilsamen Einfluss des Staates rapide an Einfluss. Denn eines muss man Steingart und vielen anderen von neoliberaler Seite herkommenden Kritikern zugestehen: der Staat war nicht Opfer, sondern Komplize in dem gewaltigen Spiel, das durch die Finanzkrise weniger zum Stehen gebracht als zu einer hyperventilierten Beschleunigung gebracht wurde. Damit keine Missverständnisse auftauchen: die LINKE, besonders Lafontaine und Wagenknecht, hatten in praktisch allen Analysen über die Missstände Recht, und hätte man besonders auf Lafontaine gehört, hätten sich viele katastrophale Fehlentscheidungen wohl vermeiden lassen. Das soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden. Nur, genauso wie der Staat Gutes und Schlechtes bewirken kann, so können marktwirtschaftliche Kräfte Gutes und Schlechtes bewirken. Es gibt keinen Automatismus, der bei einem Zurückdrängen von Marktmacht (die, wie Crouch überzeugend dargestellt hat, eher die Macht von Großkonzernen ist) und Stärkung des Staates positive Effekte hervorruft. Es gibt auch keinen Automatismus, der mit einem Zurückdängen staatlicher Macht und Stärkung von Marktmacht positive Effekte hervorruft. "Richtig" und "falsch" sind nicht auf den zwei Seiten einer so eindimensionalen Skala zu finden.
Herauszufinden, wie die Skala eigentlich aussieht und festzulegen, wie sie in Zukunft aussehen soll ist eine Aufgabe, die über die tagesaktuellen Herausforderungen der Krise hinausreicht. Bislang hat noch niemand eine kohärente Antwort darauf gegeben. Das wird so schnell auch nicht passieren. Wichtig ist es, dass eine lebendige, intellektuell fruchtbare Debatte darüber entsteht, die über die engen Grenzen festgezogener Glaubensbilder hinausgeht. Zu lange wurde Hans-Olaf Henkel und Seinesgleichen ein Status des Debattenmachers zugestanden, den er schlicht von der intellektuellen Tiefe seiner Beiträge nicht besitzt, den er nicht besitzen darf. Gleiches gilt auch für andere, die sich als Relikte einer vergangenen Epoche outen und nicht in der Lage sind, über den Tellerrand hinauszusehen, ob von links oder rechts. Wir müssen offen sein für neue Impulse und uns überlegen, wie unsere Gesellschaft in den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren eigentlich aussehen soll. Bisher erfahren wir darüber wenig. Gesagt wird hauptsächlich, wie sie nach Meinung einiger Lautsprecher bisher hätte aussehen sollen. Hilfreich ist das nicht. Deswegen müssen wir nach einem dritten Weg suchen, einer Alternative aus dem Debakel, die die besten Elemente bestehender Wege vereint und zu neuen Ufern aufbricht. Wo diese Ufer liegen und wie sie aussehen wissen wir nicht. Die Reise wird sich trotzdem lohnen, selbst wenn wir irgendwann wieder reumütig zu bekannten Gestaden zurückkehren sollten.
In meinen Berichten von der Piratenpartei schrieb ich letzthin, dass es den Piraten gelingen könnte, einen dritten Weg aufzuzeigen, der aus den derzeit verhärteten Fronten aus der Krise weisen könnte. Diese Formulierung war zugegebenermaßen etwas unüberlegt, ist doch der "Dritte Weg" mit der Neoliberalisierung der Sozialdemokratien Europas, in besonderer Weise aber Labour und der SPD, verknüpft. Davon soll hier aber keine Rede sein. In der Rückschau, spätestens, ist klar geworden dass dieser "dritte Weg" niemals einer war. Von einer Verknüpfung von Kapitalismus und Sozialismus, was der selbst gestellte Anspruch irgendwie war, ist effektiv nichts geblieben als ein sozialstaatlich verbrämter Reformkurs nach dem neoliberalen Glaubensbuch, mitsamt seinen Kürzungen, Anreizen, Streichungen und Förderungen. Das aktuelle Problem der Politik, das direkt mit ihrer eigenen Unbeliebtheit korreliert, scheint aber genau das Fehlen eines Dritten Weges zu sein. Weder die so genannten "Bürgerlichen" um CDU und FDP noch die so genannten "Linken" um SPD, Grüne oder LINKE scheinen eine überzeugende Antwort, eine Art gesellschaftlicher Vision zu haben. Das ist merkwürdig, denn eigentlich sollte in einer globalen Kapitalismuskrise doch eigentlich die LINKE gerade solche Antworten haben. Eine Antwort fand ich jüngst im Spiegel 45/2011 in einem Porträt Sahra Wagenknechts, in dem der Autor schrieb, dass die Menschen zwar die zerstörerischen Ziele der LINKEn teilten - also die Entmachtung von Banken, die Regulierung der Wirtschaft, stärkere Besteuerung der Reichen usw. - aber nicht das, was sie konstruktiv erreichen wollte, also eine Art gemäßigten Sozialismus. Und ich glaube, genau da liegt der Hase im Pfeffer.
Die SPD, soviel sei vorangestellt, können wir für diese Diskussion vollständig ausklammern. Sie hat nichts, das sie zu der Debatte beitragen kann. Sie ist der CDU mal einen halben Schritt voraus, mal einen halben Schritt hintendrein, aber letztlich hat sie keine Antworten, keine Vision, keinen Entwurf. Sie steht immer noch mit einem Fuß im Sumpf der scheinbaren "Mitte", in den sie sich manövriert hat, immer noch nicht erkennend, dass es die überhaupt nicht gibt. Die Grünen haben im Berliner Landtagswahlkampf einen vorzeitigen Dämpfer bekommen und mussten erkennen, dass auch sie mit der Überwindung von Inhalten nach dem Muster der Schröder-SPD nicht werden punkten können. Sie waren bislang auch die einzigen, die mit dem "Green New Deal" wenigstens eine Alternative im Gepäck hatten. Die aber wird von den so genannten "Realos" der Partei, etwa Özdemir, auf dem Altar einer eingebildeten Regierungsfähigkeit und Strahlkraft zur "Mitte" hin geopfert.
Zwischen den fanatisch gläubigen Ideologen der alten Stabilitätsdoktrin auf der einen den romatisch-sozialistischen Revolutionären auf der anderen Seite aber lavieren die Parteien derzeit in einem merkwürdigen, unsicheren Niemandsland umher. Sie sind sich unsicher darüber, was sie eigentlich wollen, laufen den Wählertrends nach und fahren die Politik des geringsten Risikos. Das ist nicht einmal per se verwerflich. In einer der tiefgreifendsten Krisen der Geschichte der BRD sind kleine Schritte vielleicht sogar besser als große, die in völlig ungewisse Gefilde führen. Würde ich als politischer Entscheidungsträger derzeit die Verantwortung dafür tragen, dass jeder Schritt die Welt, wie wir sie kennen, potenziell aus den Angeln heben könnte - ich denke, mir wäre auch nicht wohl dabei. Zum Glück bin ich kein politischer Entscheidungsträger, und deswegen kann ich hemmungslos kritisieren und fantasieren. Unter dem Eindruck der aktuellen Diskussion Schirrmacher, Habermas und andere stellt sich für mich folgende Diagnose:
Der Glaube an den Markt als heilender Kraft hat ausgedient. Zwar sind die alten Ideologen und Fanatisch-Gläubigen immer noch alive and kicking, wie etwa das FAZ-Wirtschaftsblog "Fazit" eindrucksvoll unter Beweis stellt. Aber auf der anderen Seite verliert auch der Glaube an den heilsamen Einfluss des Staates rapide an Einfluss. Denn eines muss man Steingart und vielen anderen von neoliberaler Seite herkommenden Kritikern zugestehen: der Staat war nicht Opfer, sondern Komplize in dem gewaltigen Spiel, das durch die Finanzkrise weniger zum Stehen gebracht als zu einer hyperventilierten Beschleunigung gebracht wurde. Damit keine Missverständnisse auftauchen: die LINKE, besonders Lafontaine und Wagenknecht, hatten in praktisch allen Analysen über die Missstände Recht, und hätte man besonders auf Lafontaine gehört, hätten sich viele katastrophale Fehlentscheidungen wohl vermeiden lassen. Das soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden. Nur, genauso wie der Staat Gutes und Schlechtes bewirken kann, so können marktwirtschaftliche Kräfte Gutes und Schlechtes bewirken. Es gibt keinen Automatismus, der bei einem Zurückdrängen von Marktmacht (die, wie Crouch überzeugend dargestellt hat, eher die Macht von Großkonzernen ist) und Stärkung des Staates positive Effekte hervorruft. Es gibt auch keinen Automatismus, der mit einem Zurückdängen staatlicher Macht und Stärkung von Marktmacht positive Effekte hervorruft. "Richtig" und "falsch" sind nicht auf den zwei Seiten einer so eindimensionalen Skala zu finden.
Herauszufinden, wie die Skala eigentlich aussieht und festzulegen, wie sie in Zukunft aussehen soll ist eine Aufgabe, die über die tagesaktuellen Herausforderungen der Krise hinausreicht. Bislang hat noch niemand eine kohärente Antwort darauf gegeben. Das wird so schnell auch nicht passieren. Wichtig ist es, dass eine lebendige, intellektuell fruchtbare Debatte darüber entsteht, die über die engen Grenzen festgezogener Glaubensbilder hinausgeht. Zu lange wurde Hans-Olaf Henkel und Seinesgleichen ein Status des Debattenmachers zugestanden, den er schlicht von der intellektuellen Tiefe seiner Beiträge nicht besitzt, den er nicht besitzen darf. Gleiches gilt auch für andere, die sich als Relikte einer vergangenen Epoche outen und nicht in der Lage sind, über den Tellerrand hinauszusehen, ob von links oder rechts. Wir müssen offen sein für neue Impulse und uns überlegen, wie unsere Gesellschaft in den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren eigentlich aussehen soll. Bisher erfahren wir darüber wenig. Gesagt wird hauptsächlich, wie sie nach Meinung einiger Lautsprecher bisher hätte aussehen sollen. Hilfreich ist das nicht. Deswegen müssen wir nach einem dritten Weg suchen, einer Alternative aus dem Debakel, die die besten Elemente bestehender Wege vereint und zu neuen Ufern aufbricht. Wo diese Ufer liegen und wie sie aussehen wissen wir nicht. Die Reise wird sich trotzdem lohnen, selbst wenn wir irgendwann wieder reumütig zu bekannten Gestaden zurückkehren sollten.