Beau Brummel – Glück und Ende des englischen Casanova

Erstellt am 11. Mai 2014 von Michael

BEAU BRUMMEL
USA 1924
Mit John Barrymore, Mary Astor, Willard Louis, Alec B. Francis, Carmel Myers u.a.
Drehbuch: Dorothy Farnum
Regie: Harry Beaumont
Studio: Warner Bros.
Deutschsprachige Kinoauswertung: nur in Österreich, dort lief der Film 1925 in den Kinos, unter dem ebenso pompösen wie irreführenden Titel Beau Brummel – Glück und Ende des englischen Casanova
Dauer: 125 min

Ein Film mit John Barrymore ist eigentlich immer ein Fest. Der Akteur, der als jugendlicher Liebhaber bekannt war und oft im selben Atemzug mit Rudolf Valentino genannt wurde, konnte mehr als nur schöne Frauen anschmachten. Viel mehr! Für mich ist er einer der grössten Filmschauspieler aller Zeiten. Dieser Stummfilm zeigt exemplarisch, was Barrymore so draufhatte.
Als George Bryan “Beau” Brummel darf er sein schauspielerisches Spektrum so richtig ausbreiten. Es ist eine Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er sich vom verzweifelten Liebhaber zur Karikatur des modebewussten Dandys wandelt, von dort zum verbitterten Alten, um zuletzt als irrer Greis zu verblüffen.
Schon die Vorlage, ein 1889 verfasstes Bühnenstück des amerikanischen Dramatikers Clyde Fitch, ist als schauspielerisches Schaustück angelegt. Fitch schrieb es dem damals in den USA gefeierten deutsch-britischen Akteur Richard Mansfield auf den Leib, der in der Rolle des affektierten Dandys Furore machte. Wie Barrymore glänzte auch Mansfield als Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll And Mr. Hyde – allerdings im Theater. Zur Zeit der Dreharbeiten an diesem Film waren Mansfield und sein Brummel zumindest im Showbusiness noch immer ein Begriff. Einige der Kostüme, die im Film vorkommen, soll Mansfield in der Bühnenfassung getragen haben.

George Bryan Brummel war ein Emporkömmling niederer Herkunft. Im Film fasst er den Entschluss, sich über die Adeligen seiner Zeit zu erheben, weil ihm ein solcher durch eine arrangierte Ehe seine Geliebte wegschnappt. Dank seiner (erschlichenen) Freundschaft mit dem Prinzen of Wales, dem späteren König George IV., gelangt er mittels dreistem Gebahren und kluger Ränkeschmiede am Hof zu Ruhm und Einfluss. Sein Mode-Diktat gilt in der feinen gesellschaft als höchstes Gebot; Brummel schafft die Puder-Perücken ab, führt lange Hosen und die Kravatte ein. Dem pompösen Königsanwärter klopft er auf die Schulter und erlaubt sich ihm gegenüber einige Respektlosigkeiten.

Ungestraft – bis er eines Tages zu weit geht. Und da sieht eine fallengelassene Geliebte die Gelegenheit zur Rache an dem Beau: Zusammen mit anderen betrogenen Adligen bringt sie den Prince of Wales gegen den Dandy auf und leitet dessen tiefen Fall ein. Brummel wird als englischer Konsul nach Frankreich “starfversetzt”, wo er isoliert zunehmender Armut anheim fällt. Er stirbt schliesslich mittellos und in geistiger Umnachtung in einem Armenhaus.

Eine Paraderolle in der Tat! Doch nicht nur Barrymore glänzt, auch seine Mitstreiter spielen hervorragend, und sie sind hervorragend besetzt. Der heute vergessene Willard Louis als Prince of Wales könnte das Schauspieler-Vorbild Peter Ustinovs gewesen sein. In der Rolle des Prince of Wales erinnert er – so paradox das klingt -  an den späteren Star, der zudem in der Neuverfilmung des Stoffes 1954 tatsächlich die Rolle des Prinz of Wales besetzte. Auch kleine Nebenrollen, Brummels Diener, oder dessen adelige Entourage sind glänzend besetzt und prägen sich dank ihrer prägnanten Physiognomien beim Zuschauer ein.

Und dann die Regie: Formal wenig spektakulär, doch in Konzept und Ausstattung grandios. Mit dicker Schminke und lächerlichen Accessoirs nimmt Harry Beaumont Fellini vorweg. Er zeigt den höfischen Adel als eine Bande eitler, äffischer, bisweilen hässlicher Popanzen, deren einzige Themen die neuste Mode und ihre Vorreiter darstellen. Beaumont lässt die Akteure hier bewusst übertreiben, ohne allzu heftiges Chargieren zuzulassen. Barrymore ist in diesen Sequenzen von einer wahrhaft grandiosen Lächerlichkeit – erhaben und zugleich aufs Höchste affektiert. Ein schauspielerisches Meisterstück, das ihm so schnell keiner nachmacht!
So ist dieser Beau Brummel in erster Linie ein Fest der Schauspielkunst und der Karikatur – filmisch kein grosses Werk, doch eins, das dank seinem Hauptdarsteller in bester Erinnerung bleiben wird.
9/10

Vorher-nachher:
Regisseur Harry Beaumont drehte vor Beau Brummel die Komödie Don’t Doubt Your Husband (1924) und nachher Babbitt (1924, nach Sinclair Lewis) mit Willard Louis in der Hauptrolle. Seine Regiearbeiten sind heute weitgehend unbekannt.
John Barrymore stand zu jener Zeit hauptsächlich auf der Bühne; der Film, den er vor Beau Brummel drehte, war Sherlock Holmes (1922). Seine nächste Filmrolle hatte er im Folgejahr: Er war ganz kurz in Fred Niblos Ben Hur zu sehen – als Zuschauer beim Wagenrennen. Sein berühmtester Film war wohl Grand Hotel (dt.: Menschen im Hotel, Regie: Edmund Goulding), wo er an der Seite von Greta Garbo auftrat, und die Howard Hawks-Komödie Twentieth Century (dt.: Napoleon vom Broadway), den er an der Seite von Carole Lombard drehte.
Mary Astor spielte im selben Jahr in nicht weniger als sechs Filmen die weibliche Hauptrolle – mit erst siebzehn Jahren. Vor Beau Brummel war sie in The Fighting Coward (Regie: James Cruze) an der Seite von Ernest Torrence und Noah Beery zu sehen, danach in The Fighting American (Regie: Tom Forman) an der Seite von Pat O’Brien. Ihre bekanntesten Filme sind The Maltese Falcon, wo sie 1941 an Bogarts Seite die weibliche Hauptrolle spielte (dt.: Der Malteser Falke; Regie: John Huston), und an der Seite von Bette Davis und Olivia DeHavilland in Hush, Hush, Sweet Charlotte (dt.: Wiegenlied für eine Leiche; Regie: Robert Aldrich; 1964).
Willard Louis, Schauspieler und Regisseur, verstarb bereits 1926, im Alter von 44 Jahren an Typhus – das erklärt seinen geringen Bekanntheitsgrad. 1924 war er in elf Filmen zu sehen; vor Beau Brummel im bereits erwähnten Don’t Doubt Your Husband (Regie: Harry Beaumont), danach in Broadway After Dark (Regie: Monta Bell).
Dorothy Farnum hörte 1934 mit dem Verfassen von Drehbüchern auf. 1924 abeitete sie an nicht weniger als acht Filmen mit. Vor Beau Brummel schrieb sie die Story zur Bebe Daniels-Komödie Daring Youth (Regie: William Beaudine), danach drehte Harry Beaumont nach ihrem Drehbuch Babitt. Der bekannteste Film aus ihrer Feder dürfte Bardelys the Magnificant mit John Gilbert sein.