aus: "Eine verhängnisvolle Nacht"/
Copyright: ZDF und Christoph Assauer
Beate: "Der Film wirkt sehr authentisch. Wie sind Sie auf die Idee gekommen? Haben Sie sich an Fällen aus dem wirklichen Leben orientiert?"
M. Alexandre: "Ja, Jutta Lieck-Klenke (die Produzentin, Anmerkung der Redaktion) und ich haben unabhängig voneinander einen Artikel über einen wahren Fall im Spiegel gelesen, der sich so ähnlich zugetragen hat. Sie sprach mich und den Drehbuch-Autor Harald Göckeritz dann ein paar Monate später darauf an, und ich erinnerte mich, dass ich den Artikel auch gelesen hatte. Damals beim Lesen hatte ich schon den Gedanken: ‚Oh, das könnte ja eine Filmgeschichte sein‘. Und dann schauten wir uns in die Augen und dachten ‘Bingo, that´s it: Wir haben eine starke Geschichte‘. Die Überlegung, uns an diese reale Geschichte anzulehnen, haben wir schnell verworfen. Wir waren uns einig, dass wir viel größere inhaltliche Freiheiten haben, wenn wir uns nicht auf diesen Fall ‚draufsetzen‘, sondern ihn lediglich als Inspiration nutzen. Wir haben recherchiert und festgestellt, wie oft so etwas passiert. Bei dem im Spiegel geschilderten Fall war es besonders dramatisch, da die allein erziehende Mutter sogar ins Zeugenschutzprogramm gegangen ist. Das fanden wir aber für einen Fernsehfilm in Deutschland eine Spur zu übertrieben. Deswegen haben wir in unserem Film darauf verzichtet."
Beate: "Die eigentliche Szene um die es geht, die Schlüsselszene, nämlich die Vergewaltigung, wird erst im nach hinein gezeigt und dann auch nur bruchstückhaft, durch Flashbacks der Protagonistin. Wie wichtig ist beim Filmemachen die Kunst des Weglassens?"
M. Alexandre: "Ich glaube, dass das Weglassen fast am Wichtigsten ist, weil auf diese Weise die Fantasie des Zuschauers angeregt wird. Die andere Überlegung war, durch die epische Streckung der Geschichte eine Ambivalenz entstehen zu lassen. Es soll die Frage im Raum stehen können: Was ist denn nun wirklich passiert? Hat die Protagonistin sich da in irgendetwas reingesteigert, was vielleicht gar nicht so stattgefunden hat? Stimmt es wirklich, was sie sagt? Dieses Misstrauen erfasst sogar die Tochter, was zu dem dramatischen Wendepunkt der Geschichte führt. Die Tochter wirft der Mutter vor, dass es ja vielleicht gar nicht so weit her mit dieser Vergewaltigung sein könnte, dieser angeblichen. Am Ende begreifen wir aber, dass man es ernst nehmen muss, wenn jemand sagt, er sei vergewaltigt worden. Man muss hinhören und ich hoffe, dass diese Erkenntnis am Ende des Filmes dann hoffentlich beim Zuschauer übrig bleibt."
aus: "Eine verhängnisvolle Nacht"/
Copyright: ZDF und Christoph Assauer
Beate: "Was würden Sie Ihrer besten Freundin raten, wenn ihr so was passiert? Meinen Sie persönlich, es hilft in eine andere Stadt zu ziehen wie die Protagonistin? Letzten Endes hat ihr das ja auch nicht geholfen…"
M. Alexandre: "Na gut, wir haben es natürlich dramatisiert. Das schwache Glied in unserer Geschichte ist die Tochter, die weiter Kontakt zu ihrem Freund aufrecht hält. So kann Bernd ihnen auf die Spur kommen. Bei der Recherche zu diesem Film ist mir klargeworden: Wenn man so massiv bedrängt wird und keinerlei Handhabe hat, sollte man tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt komplett ändern. Gerade wenn man Kinder hat, durch die man ja nochmal verletzlicher ist."
Beate: "Die Hauptrolle spielt Silke Bodenbender. Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?"
M. Alexandre: Es war bereits unsere zweite Zusammenarbeit und das aus gutem Grund. Ich wollte unbedingt wieder mit ihr zusammenarbeiten, weil Silke einfach eine ganz tolle Schauspielerin ist. Sie ist, wie man so schön sagt, in the moment, d.h. in dem Moment, wo man die Szene dreht, ist sie wirklich diese Figur und lässt sich ganz hineinfallen, ist durchlässig und kann diese Durchlässigkeit als Schauspielerin gut herstellen. Gleichzeitig ist sie aber auch eine sehr intelligente Person, eine tolle Partnerin in der Zusammenarbeit. Mit ihr kann man wirklich sehr gut über die Psychologie der Figur reden. Sie bereitet sich auch immer sehr gut vor. In der Arbeit dagegen lässt sie sich dann wieder fallen und das finde ich sehr angenehm."
Beate: "In Ihren Werken spielen oft starke Frauen die Hauptrolle, die oftmals um ihre Kinder kämpfen, wie in Die Frau am Check-Point-Charly oder Schicksalsjahre. Was fasziniert Sie so an Frauenschicksalen?"
M. Alexandre: "(lacht) Im Prinzip habe ich diese Geschichten nicht bewusst gesucht, sondern sie sind mir zugefallen. Bei Die Frau vom Checkpoint Charlie war das Element, das mich angezogen hat, die Tatsache, dass Mutter und Kinder voneinander getrennt werden. Das habe ich selber als Kind auch erlebt. Ich bin in Portugal geboren, habe portugiesische Eltern. Sie sind Anfang der 70er-Jahre nach Deutschland ausgewandert und für drei Jahre meines Lebens war ich von ihnen getrennt. Das war eine ganz furchtbare Zeit für mich, weil meine Eltern sich noch nicht ganz entschieden hatten, ob sie bleiben oder wieder zurückgehen. Dieses Gefühl der Trennung – zwischen meinem siebten und zehnten Lebensjahr – hat sich ganz tief in mir eingebrannt. Ich habe aber erst begriffen, weshalb mich diese Geschichte so berührt, als ich mitten in den Dreharbeiten von Die Frau vom Checkpoint Charlie war. Das war wie ein Erweckungsmoment. Dass die Hauptfigur eine Frau ist, macht es umso spannender, weil Frauen in den 80er- Jahren noch nicht so emanzipiert und selbständig waren wie heute. Dadurch sind diese Figuren natürlich fragiler. Gleichzeitig haben Frauen – daran glaube ich ganz fest – eine viel stärkere Intuition und können Menschen viel besser lesen. Das macht sie als Figuren so interessant und spannend. Bei dem Zweiteiler Schicksalsjahre – auch dieser basierte auf einer wahren Geschichte, die mir in den Schoß gefallen ist – hat es mich fasziniert zu sehen, wie eine Frau, gespielt von Maria Furtwängler, es in den 40er-Jahren tatsächlich schafft, stark zu sein und ihre Kinder durch den Krieg zu bringen – als ja vermeintlich schwächeres Glied der Gesellschaft. Das fand ich schon sehr eindrücklich."
aus: "Eine verhängnisvolle Nacht"/
Copyright: ZDF und Christoph Assauer
M. Alexandre: "Die Geschichten müssen berühren. Der Zuschauer muss das Gefühl haben: Was ich dort sehe, kann ich nachvollziehen. Ich nenne es eine gewisse Form von „psychologischem Realismus“. Die Nachvollziehbarkeit und Emotionalität der Figur ist wichtig. Und das Thema des Film: Es dauert ja lange, einen Film zu entwickeln und zu drehen. "Eine verhängnisvolle Nacht" ist seit einigen Monaten fertig und wird jetzt ausgestrahlt, da kann man schnell von der Aktualität der Ereignisse überrollt werden. Was vor einem Jahr aktuell war, ist es jetzt vielleicht nicht mehr. Ich glaube, man muss aufpassen, dass man nicht so sehr auf irgendwelche Modewellen setzt, sondern Themen sucht, die eine Allgemeingültigkeit haben. Wie schon erwähnt: Themen, in denen sich der Mensch an sich wiederfindet, mit seinen Ängsten und auch Freuden."
Beate: "Ist Regisseur ein Traumberuf?"
M. Alexandre: "Für mich ist er das, weil ich seit meiner Kindheit nichts anderes machen wollte. Ich hatte als Kind das Glück, dass mein Vater mir zu meinem zehnten Geburtstag eine Super 8 Kamera schenkte. Ich fing an, kleine Familienfilmchen zu drehen, die dann ganz schnell zu kleinen Spielfilmen wurden. Insofern wollte ich es machen, seit ich denken kann, und empfinde es heute noch als großes Glück. Wenn ich am Set stehe, gibt es heute noch Momente, in denen ich mich kneife, um mir klar zu machen, dass ich meinen Traum tatsächlich leben darf. Ich glaube, es ist für jeden Menschen wichtig das zu finden, womit man sich wohlfühlt und womit man sich ausdrücken kann. Und dass man das, was man macht, nicht als Arbeit empfindet, sondern als Teil vom Selbst."
Beate: "Sie sind gebürtiger Portugiese und leben in Hamburg bzw. vor den Toren Hamburgs. Was haben die Hamburger und die Portugiesen gemeinsam?"
M. Alexandre: "(lacht) Die Sehnsucht nach dem Meer! Als Hamburgerin kennen Sie sicher auch das Portugiesen-Viertel in Hamburg und die kleinen leckeren Teilchen, die man dort essen kann. Und den guten Espresso."