Beabsichtigte Neufassung der Sanktionen: Die Medien sind voll von Falschinformationen

An und für sich war zu erwarten, dass die Blöd-Medien das Thema Sanktionen für Hartz-4-Empfänger aufgreifen, weil damit einmal mehr die “Volksseele” von den eigentlichen Problemen in der Gesellschaft abgelenkt werden kann.

Was da seit einigen Tagen in der Presse zu lesen ist, schlägt dem sprichwörtlichen Fass den Boden aus. Die Blöd-Journalisten sind mit der Thematik völlig überfordert; sie verbreiten nicht nur Halbwahrheiten, sondern häufig einfach nur Unsinn. Und das ist schlimm genug, weil möglicherweise am Ende den Betroffenen weiteres Unrecht zugemutet werden könnte.

Zunächst wäre klarzustellen, dass die Sanktionen gegen junge Erwachsene unter 25 Jahren, die überwiegend bei den Eltern leben müssen (es gibt nur wenige Ausnahmen), mit den Grundrechten bzw. dem Grundgesetz (Gleichheit vor dem Gesetz) nicht in Einklang zu bringen sind. Der Gesetzgeber hatte seinerzeit insbesondere die junge Erwachsene mit Sanktionen “gefügig” machen wollen, indem bereits in der ersten Sanktionsstufe (vgl. § 31a Abs. 2 SGB II) der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 20 SGB II) und Mehrbedarfe nach § 21 SGB II, zum Beispiel aufgrund schwerer Krankheiten, entzogen werden. Lediglich die (anteiligen) Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) werden nach der ersten Sanktion noch gewährt.

Heftig umstritten in Literatur und Fachwelt ist, ob die Behörden so ohne weiteres den jungen Erwachsenen das Existenzminimum (=Regelbedarf für Ernährung, Kleidung, Hygiene-Artikel usw. nach § 20 SGB II) vollständig entziehen können/dürfen. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass das BVerfG in seinem Hartz-IV-Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09) in den ersten Leitsätzen folgendes ausführte:

1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

2. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.

Dass der Gesetzgeber bereits bei dem ersten Pflichtverstoß nach § 31a Abs. 2 SGB II den vollen Regelbedarf entziehen will, kann nur als grober Verstoß gegen das Übermaßverbot aufgefasst werden.

Da die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft den jungen Erwachsenen bezogen auf Lebensmittel usw. selbstverständlich auffangen, führt die weit überzogene Regelung des Gesetzgebers zu einer klar rechtswidrigen Sippenhaft, auch weil sich die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Unterstützung des jungen Erwachsenen real nicht entziehen können und wollen.

Offenbar waren bei der Abfassung der Vorschriften ein paar merkwürdige Zeitgenossen unterwegs (Bertelsmann-Stiftung oder andere Berater?), die nahtlos an den “Arbeitsdienst” und die Behördenwillkür der 30er Jahre anknüpfen wollten.

Vorschnell werden selbst von Zeitschriften wie der SZ Umschreibungen wie

“Keiner soll sich straffrei drücken dürfen. Wer Termine schwänzt…”

gewählt, die eine Art “calvinistischer Schuldzuweisung” nahelegen. Dabei wird geflissentlich übersehen, auch wenn zuweilen auf die vielen Verfahren vor den Sozialgerichten knapp hingewiesen wird, die zu Gunsten der Leistungsberechtigten nach SGB II mit mindestens 50 % anzunehmen sind – inklusive der Rückzieher der Verwaltung im Verfahren –, dass jeder Einzelfall anders gelagert ist und die selbst für Fachleute komplizierte Gesetzeslage viele “Sachbearbeiter” in den Behörden überfordert, auch aufgrund unzureichender Schulungen.

Die einseitige “Berichterstattung” in einer Reihe von Zeitschriften soll offensichtlich den Normalbürgern Sand in die Augen streuen. Es soll der Eindruck erweckt werden, als wären gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland massenhaft vorhanden und die jungen Erwachsenen würden sich drücken und in der “sozialen Hängematte” ausruhen.

Aber genau das Gegenteil ist richtig. Junge Erwachsene unter 25 Jahren, die aufgrund mittelmäßiger oder schlechter oder gar fehlender Schulabschlüsse keine Lehrstelle finden konnten, geraten vielmehr in einen Teufelskreis, weil die Bundesregierungen die Leistungen zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, darunter auch die Unterstützung bei der Nachholung von Abschlüssen, drastisch gekürzt haben. Und das Angebot von 1-Euro-Jobs und ähnlichen Beschäftigungsmaßnahmen wird nicht selten abgelehnt, weil der dauerhafte Verbleib in diesem Teufelskreis von den jungen Erwachsenen gefürchtet wird.

Der Gesetzgeber kodifizierte sogar in § 31a Abs. 2 Satz 2 SGB II, dass nach wiederholter  Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Arbeitslosengeld II vollständig entfällt. Das betrifft die sog. “Kosten der Unterkunft” nach § 22 SGB II.

Das “Fehlverhalten” der jungen Erwachsenen sollte offensichtlich nach dem Willen des Gesetzgebers bzw. der zweifelhaften Autoren dazu führen, dass die Bedarfsgemeinschaft, in der der junge Erwachsene lebt, “gesetzlich” in die “Sippenhaft” genommen wird. Die Nähe zu dem damaligen faschistoiden Gedankengut der 30er Jahre wird alleine durch diese Regelung offenkundig.

Erst nachdem massive Proteste der Erwerbsloseninitiativen, der Sozialanwälte und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und anderer Verbände, der Professoren an den Lehrstühlen für Recht und Sozialrecht usw. unüberhörbar wurden, lenkte die Bundesregierung ein. Die Bundesanstalt für Arbeit wurde angewiesen klarzustellen, dass die “Sippenhaft-Vorschrift” nicht angewandt werden sollte. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine Reihe von sozialgerichtlichen Verfahren auf den Weg gebracht wurden, um im Zweifel letztinstanzlich vor dem BVerfG die “Sippenhaft” zu Fall zu bringen.

Es geht in der “Nahes-Vorlage” also darum, nicht unnötige Härten zu beseitigen, wie es die SZ schreibt, es geht vielmehr um die Aufhebung unhaltbarer bzw. grundgesetzwidriger Gesetzestexte im SGB II.

Auch die Darstellung in der SZ, dass die “strengeren Sonderregeln für unter 25-Jährige ganz entfallen sollen, verzichtet auf die Feststellung, dass der Gesetzgeber gegen das “Gleichheitsgebot” verstoßen hatte, um insbesondere junge Erwachsene zu disziplinieren. Dass es den unter 25-Jährigen nahezu verboten ist, eine eigene Wohnung in einer anderen Stadt zu suchen, um ihre Chancen zu verbessern, fällt anscheinend wie selbstverständlich auch unter den Tisch. Nur wer von den jungen Erwachsenen den Weg zu einer “Erwerbsloseninitiative” oder “Sozialanwälten” finden, verbessern sich ihre Chancen.

Die SZ behauptet in ihrem Artikel folgendes:

“Wer Termine bei der Agentur für Arbeit unentschuldigt platzen lässt, verliert schnell seinen Anspruch auf Hartz IV. Das soll nun etwas gelockert werden.”

Die Aussage ist schlicht falsch. Denn für Terminversäumnisse wurde eine gesonderte Vorschrift in das SGB II aufgenommen (siehe § 32 SGB II).

Bei jedem Meldeversäumnis wird nach § 32 Abs. 1 Satz 1 der Regelbedarf nach § 20 SGB II um 10 % gekürzt. Rein rechnerisch wird deutlich, dass der Anspruch auf Hartz IV nicht so schnell verlorengeht, wie bei Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II. Die Autoren der SZ haben offenbar übersehen oder nicht bemerkt, dass es sich hier um eine gesonderte Regelung handelt. Es reicht auch keineswegs eine “Entschuldigung”, um der Kürzung zu entgehen, vielmehr muss ein wichtiger Grund dargelegt bzw. nachgewiesen werden, und zwar im Rahmen einer Anhörung nach § 24 SGB X.

Mangels Aufklärung der Behörden, vergleiche insbesondere §§ 14 bis 16 SGB I, geraten viele Betroffene in “Anhörungsgespräche”, ohne hinreichend darüber aufgeklärt zu sein, was ein wichtiger Grund sein kann. Nicht selten entstehen Meldeversäumnisse durch Krankheiten der Betroffenen, weil sie beispielsweise nach einer Zahnbehandlung und Einnahme von Schmerzmitteln den Termin verschlafen haben oder weil nach einem Todesfall der unter 25-Jährige “psychisch” nicht in der Lage ist, die Wohnung zu verlassen.

Die Möglichkeit der Behörden, Sanktionen zu verhängen, ist weitaus schwieriger, als sich viele Betroffene vorstellen können. Voraussetzung für Sanktionen ist ganz allgemein eine rechtsverbindliche Eingliederungsvereinbarung (15 SGB II); ein weites Feld von zu beachtenden Spezialvorschriften, Verwaltungsanweisungen und der einschlägigen Rechtsprechung. Sofern die Eingliederungsvereinbarung fehlerhaft bzw. in Teilen rechtswidrig ist, kommen diesbezügliche Sanktionen nicht in Betracht. Das können allerdings aufgrund der Kompliziertheit der Vorschriften nur Fachleute erkennen, wie Sozialanwälte und fachkundige Mitarbeiter von Erwerbsloseninitiativen. Die Erfahrung lehrt, dass Sanktionen bereits aufgrund unzureichender Eingliederungsvereinbarungen scheitern.

Deshalb ist die Eingliederungsvereinbarung, die auch den Betroffenen rechtlich bindet, ein wichtiges Dokument, in das der Betroffene auch eigene Vorstellungen einbringen kann. Jeder hat das Recht, die noch nicht gegengezeichnete Eingliederungsvereinbarung mitzunehmen und sich fachkundig beraten zu lassen. Im Zweifel sollte die Eingliederungsvereinbarung “Unter Vorbehalt” gegengezeichnet werden. Sie ist dann solange wirksam, bis ein Widerspruch zu Protokoll gegeben wird oder schriftlich eingereicht wird.

Bleibt noch zu erwähnen, dass auf einmal der oben angegebene LINK zum SZ-Artikel nicht mehr funktioniert, aus welchen Gründen auch immer.

Hinzuweisen wäre noch auf die beabsichtige “Pauschalierung” der Sanktionen auf 50 Euro bzw. 100 Euro bei Wiederholung.

Wenn die Ministerin beabsichtigt, § 32 SGB II (Meldeversäumnis; 10 % vom Regelbedarf = derzeit 39,10 Euro) zu verändern, um auch hier die Pauschale von 50 Euro wirksam werden zu lassen, dann handelt es sich um eine Verschärfung der Sanktionen, nicht um eine Entschärfung.

Es bleibt abzuwarten, was von den Neuerungen übrig bleibt.

Jedenfalls kann ganz allgemein festgehalten werden, dass die Mainstream-Zeitschriften und Zeitungen derzeit viel Unsinn und Fehlinformation verbreiten, was dem Zeitgeist entspricht und zu erwarten war.



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