Baum der Seelen 2.0

Von Trurl

Ross Douthat hält den Film Avatar in der New York Times für eine Apologie des Pantheismus. Tatsächlich scheint das auf den ersten Blick einleuchtend: Natur ist allgegenwärtig, im Leben und Denken des außerirdischen Volks der Na’vi spielt sie eine übergeordnete Rolle. Auch der Held lernt sie schließlich schätzen und wird bekehrt; wer sich ihr entgegenstellt, wird letztlich vernichtet. Vielleicht aber ist die These vom Pantheismus auch nur ein grundlegendes Missverständnis. Genau genommen spielt im Film Religion gar keine und Natur nur eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich ist Avatar eher eine weitgehend areligiöse Metapher auf die zeitgenössische Mediengesellschaft.

Die Schlüsselszene ist wohl jene, in der auch die Handlung die entscheidende Wendung nimmt: Nachdem die böse Aktiengesellschaft in Gestalt des schmierigen Executives und des vernarbten Söldners genügend Informationen gesammelt hat, zeichnet sich ab, dass es zu einer gewaltsamen Vertreibung der Eingeborenen kommen wird. Daraufhin stürmt die aufgeschlossene Wissenschafterin in den Raum, um zu retten, was nach allen Regeln der Dramaturgie nicht mehr zu retten ist, und verlangt den Abbruch der gewalttätigen Pläne. Bemerkenswert daran ist, mit welchen Argumenten: Nachdem klar ist, dass mit Empathie nicht zu punkten ist, bringt sie das stärkste Argument vor, das ihr (und Cameron) einfällt – der ganze Planet sei ein Netzwerk, eine Art Supercomputer von ungeahnter Rechenleistung.

Schützenswert ist der Wald also nicht etwa, weil er den Eingeborenen heilig wäre oder weil ihre Traditionen und ihr natürlicher Lebensraum zu respektieren wären, weil die Natur an sich ein Wert wäre. Schützenswert macht den Wald samt Bewohnern, dass er ein äußerst komplexes Netzwerk ist – eine verblüffend pragmatische Argumentation. Tatsächlich spielt der Glaube auch für die Na’vi kaum eine Rolle: Sie glauben ja nicht bloß an die Verbundenheit mit der Natur, sie wissen darum; immerhin haben sie den Anschluss schon eingebaut. Ihre Reittiere zähmen sie nicht durch ein mystisches spirituelles Band, sondern per Zopf. Sie glauben nicht nur, ihre Ahnen an heiligen Orten zu hören – die Altvorderen sind tatsächlich da. Wenn man ein menschliches Bewusstsein hochlädt, dann kann das Netzwerk diese neue Information verarbeiten und entsprechend reagieren. Der durchschnittliche Na’vi verhält sich zur Natur nicht wie ein Gläubiger zu seiner Gottheit, sondern wie ein Client zu seinem Server.

Die Bruchlinie im Denken von Eingeborenen und Menschen verläuft auch nicht entlang des Gegensatzpaars Glaube/Wissen, sondern lediglich auf der Ebene Halbwissen/Wissenschaft: Beide wissen um das Netzwerk, das sie umgibt, nur kann es die Wissenschafterin in den fachlich korrekten termini technici beschreiben. Durch diese Differenz entsteht der Anschein von Spiritualität: Da die Na’vi nur wissen, dass das Netzwerk funktioniert, aber nicht genau wie, müssen sie sich notgedrungen einer einfacheren Sprache bedienen und nehmen die Bits und Bytes um sie herum als Mysterium wahr. Damit verhalten sie sich aber nicht anders als der durchschnittliche Internetnutzer, der ja auch keine Ahnung hat, nach welchen wundersamen Gesetzen die Datenpakete verschoben werden – der deswegen allerdings auch noch nicht zwingend an das Göttliche im Router glaubt.

Mit Glaubensfragen beschäftigt sich der Film daher nicht – die Natur besitzt keine verehrungswürdige Göttlichkeit; interessant ist sie dadurch, dass sie eine organische Rechenmaschine ist. Eine höhere Instanz ist sie nicht deswegen, weil jemand das glauben würde, sondern weil es ein technisches Faktum ist. Konsequent weitergedacht bedeutet das: Die böse Aktiengesellschaft begeht kein Sakrileg wider eine göttliche Macht, wenn sie die Natur zerstört – moralisch ließe sich ihr allenfalls qualifizierte Sachbeschädigung vorwerfen. Sie macht vielmehr den Fehler, an ihrem veralteten Geschäftsmodell (Erzabbau) festzuhalten und in dessen Namen die “Bürgerrechte” der Eingeborenen mit Füßen zu treten. Klug wäre es, das planetare Intranet zu erforschen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln; idealerweise in Harmonie mit den Eingeborenen, die als Teil des Ganzen wohl zur Rechenleistung beitragen – humanoid resources.


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