Mit Spannung darf man den Start des neuen Batman-Films The Dark Knight Rises erwarten, der Abschluss von Christopher Nolans höchst erfolgreicher Trilogie, mit der der Comic-Superheld im Kino neu etabliert worden ist. Dabei kann man gerade den epischen Abschluss, der demnächst startet und in den USA nicht zuletzt deshalb Aufsehen erregt hat, weil ein Amokschütze in Denver die Filmpremiere für seine Bluttat auserkor, auch als Auseinandersetzung mit den Befindlichkeiten in den Post-9/11-USA betrachten – und vielleicht auch kritisieren. Teil 2, The Dark Knight, gibt dazu jedenfalls Anlass.
Aber der Reihe nach.
Der erste der Nolan-Batman-Filme funktionierte aber auch inhaltlich so trefflich, weil die vigilantische Anmaßung des Helden noch einen ideologisch aparten Ausgleich erfuhr. So muss sich Batman nicht nur mit dem Mafiosi Falcone (Tom Wilkinson) auseinandersetzen, dessen Korruptionskrebs sich durch die Ordnungsinstitutionen gefressen hat, sondern auch mit seinem Kampfkunstlehrmeister Ducard / „Ra‘s Al Ghul“ (Liam Neeson). Der hat in Tibet aus Bruce Wayne jeden „Ninja“-Kämpfer gemacht, der er ist, um ihn als Teil seiner Bruderschaft zu gewinnen – eine, die sich als Quasi-Antikörper seit Jahrhunderten einer Art historischen Polit- und Gesellschaftshygiene verschrieben hat: Verrottete, dekadente Systeme und Reiche – hier die Metropole Gotham City – sollen niedergehen, im säubernden Chaos vergehen wie dereinst Rom. Das kann und will der Batman nicht zulassen, und so erfreute man sich an dem Comic-Pathos des Helden samt allen seinen Verwundungen. Es war die überhöhte Gebrochenheit eines Heroen, der für uns Normalsterbliche das Luxusleben ablegt (oder nur als Fassade vorspielte) und dafür das Kreuz des Ausputzers aufnimmt, noch ausbalanciert mit dem stets fragwürdigen immanenten Zug dieser Figur: die des paternalistischen Gutsbesitzers, der nicht nur mit seinem Geld Gutes tut, sondern unter körperlichem und technologischem Einsatz dem Schmutz in der Gosse die Leviten liest und (s)eine Ordnung durchsetzt.
In Nolans zweiten Batman-Film, dem prätentiös zynischen The Dark Knight (2008), der diverse Box-Office-Rekorde knackte, ist das alles anders. Weniger ist Gotham City eine nächtliche dunkelbraune Phantasiemetropolis als ein trist-klinisches Chicago mit Glastürmen im harten, bleich-blauen Tageslicht, und Batman ist wieder (wie bei Burton und Schumacher) zu einem gepanzerten RoboCop geworden, der in seinem Dress – anders noch als in Batman Begins– nicht mal mehr den Kopf drehen kann. Vor allem aber: In The Dark Night schimmert – spricht man dem Film die zugeschriebene Gebrochenheit und Ambivalenz ab, die ihm eifrig beigemessen wurde – der Geist Frank Millers durch, den Nolan in Batman Begins noch gut unter Kontrolle hielt, obwohl der Film sich streckenweise an Millers Batman-Comic-Roman Batman: Year One (1987) orientierte.
Frank Miller ist jener Autor, der zusammen mit Alan Moore (Watchmen) die Gattung der (Superhelden)-Graphic-Novel quasi erfunden hat, zumindest aber die gezeichneten Überhelden in so etwas wie das Ernsthaft-Literarische überführte. Miller tat das mit Batman: The Dark Knight Returns (1986), in dem Batman nicht nur immer mehr zum mörderischen Psychopathen degeneriert, sondern als solcher leider von Miller auch bei aller Ironie gefeiert wird. Hier wie in anderen Miller-Stücken und ihren erfolgreichen Kino-Adaptionen – die Spartaner-„Nibelungen“-Posse 300 oder das ästhetisch faszinierende, inhaltlich widerwärtige Machwerk Sin City – wird eine Geisteshaltung sichtbar, der man faschistoide Züge zusprechen kann. Miller selbst hat zuletzt mit einem bestenfalls als „Camp“ abzutuendenStück Holy Terror Aufmerksamkeit erregt (ein maskierter Held, dem der Verlag DC Comics dann doch nicht das Batman-Cape verleihen wollte, verprügelt sardonische arabische Terroristen). Auch jenseits des Zeichentischs ist Miller mit seinem abstrusen rechten Ansichten zur (undBeschimpfungen der) Occupy-Bewegung unangenehm aufgefallen – Schelte gab es dafürvon diversen Kollegen, darunter auch Watchmen-und V for Vendetta-Großmeister AlanMoore.
Der Joker wird in The Dark Knight vorgestellt (oder behauptet) als zerrspiegelbildlicher Feind des vigilantischen Heroen Batman und – bemerkenswert! – zugleich(oder in diesem Sinne?) als (sozialrevolutionär angehauchte) anarchistische Bedrohung: Er repräsentiert einen willkürlichen, Sinn negierenden und so wahnsinnigen wie (leider erzählerisch und ästhetisch nicht reflektierten) karnevalesken Terrorismus, vergleichbar jener Art, wie ihn Baudrillard Ende der 1970er beschrieb und der damals schon ein philosophisches Hirngespinst ohne Rückbindung an die Realität war [1].
Zum Höhepunkt des Films inszeniert der pseudo-clowneske Schurke ein sadistisches moralisches (und buchstäbliches) „Gefangenendilemma“ (ein Begriff aus der Entscheidungs- und Spieltheorie), das wie die diegetische Umformulierung des Story-Prinzips von Unthinkable anmutet: Auf zwei Fähren werden – hier – brave Bürger und – dort – eine Gruppe Häftlinge vor die Wahl gestellt, die jeweils anderen in die Luft zu jagen oder aber gemeinsam mit ihnen zu sterben. Während allerdings der Fledermausmann und Milliardär Wayne über eine unverzeihliche, aber angesichts der Krise als unumgänglich deklarierte Kurzschaltung und Komplettüberwachung sämtlicher Mobiltelefone dem Schuft auf die Spur kommt (die antiterroristische Grundrechtsverletzung als erfolgreiche Ultima Ratio), entscheiden sich die Geiseln in diesem ansonsten dahingehend pessimistischen Film für die Menschlichkeit: Selbst die Schwerstkriminellen werfen den Zünder für die Gegen-Fähre über Bord, der ihnen das Leben auf Kosten das der Anderen retten könnte.
Je nach Standpunkt kann man The Dark Knight als avanciertes Genre-Biegen begreifen oder als Demonstration der rigiden Antiterrorismus-Logik samt eines autoritären Ethos kritisieren, wobei der Typus des paternalistischen Comic-Helden und seiner narrativen Frames je nach Standpunkt originell demontiert oder lediglich inkonsistent überreizt wird. Batman und seine beiden staatlichen Mitstreiter – ein Staatsanwalt und ein Polizist – beschwören sich selbst als letzte Garanten und Wächter einer von Korruption und Angst bedrohten Zivilordnung in einer Stadt, deren Bewohner ohne die Helden den Verbrechern und Verrückten praktisch hilflos ausgeliefert und, als irrationale Masse, auch willkürlich manipulierbar erscheinen. So droht der Joker, regelmäßig einen beliebigen Bürger zu töten, bis Batmans Identität enthüllt werde – ehe der Bösewicht umschwenkt und den Tod eines Mannes erpresserisch einfordert, der dieses Wissen besitzt. Die Bürger zeigen daraufhin ihre hässliche Seite, vor der es sie zu schützen gilt, ehe die Fähren-Sequenz unvermittelt selbst die Schlimmsten unter ihnen in der Not als edelmütig präsentiert. Die Bevölkerung ist also nach Belieben oder Bedarf entmündigt oder verklärt, auf jeden Falls aber verblendungsbedürftig: Der strahlende Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckart) wird von Batman gescholten, weil er einem geistig minderbemittelten Gangster auf der Flucht die Pistole auf die Brust setzt – nicht, weil sich das nicht gehört, sondern weil das Image des Strahlemanns für die Moral der Einwohnermasse Gothams so wichtig ist. Als Harvey qua Verbrennung und Einflüsterungen des Jokers zum irren Schurken Two-Face verkommen ist, nimmt Batman die Schuld für dessen Morde auf sich.
Das Irrationale des gemeinen Volkes oder sein Schutz (vor dem Joker; vor sich selbst), wahlweise aber auch die Reinigung der Stadt von verbrecherischem Unrat, rechtfertigt bedenkenlos spektakulär-coole extraordinary renditions, so wenn Batman einen chinesischen Mafia-Buchhalter aus einem Hongkonger Wolkenkratzer entführt – und letztendlich eben auch den Großen Lauschangriff. Selbstverständlich nur im Krisenfall und strikt begrenzt: Lediglich der moralisch einwandfreie Haustechniker Batmans, der Erfinder Lucius Fox (Morgan Freeman), hat Zugriffsbefugnis auf den Abhörmaschine und äußert, als integere moralische Instanz, auch die passenden freiheitsrechtlichen und demokratischen Bedenken. Nach dem Erfolg der Überwachungstechnik für „Jack-Bauer“-Batman wird die Technologie von Fox auch prompt und brav kaputt gemacht.
Mit der Figur des Jokers wiederum bricht der Film mit den Comic-Book-Konventionen (und denen ihrer vorherigen Kinoadaptionen), indem die Vorgeschichte des Schurken bzw. seine Entstehung (die Origin Story) als krimineller Irrer nicht nur verschwiegen, sondern eine solche gar von ihm selbst sarkastisch in immer neuen Varianten einer tragischen Backstorywound zum Besten gegeben wird: Mal erklärt er für sein Narben-Grinsen einen brutalen Vater, mal sich selbst verantwortlich (aus Liebe zu einer Frau habe er sich verunstaltet). Freilich lässt sich das sowohl als Spiel mit dem genre-typischen Psychologismus interpretieren wie als Verabschiedung von wenigstens persönlichen legitimatorischen Motivationen: die Reduzierung des Gegners auf den grotesken Anderen, mehr aber noch seine Degradierung zur blanken Gefahr und funktionalem Rechtfertigungsgrund für das „Gute“ im Geiste einer verabsolutierenden Actionfilm- und Auge-um-Auge-Programmatik.
Wie sieht es aber nun mit dem dritten Teil, mit The Dark Knight Rises aus? Am 26. Juli läuft hierzulande der Film an, und wir werden sehen, ob es Nolan gelingt, nicht nur der „Legende“ den passenden Abschluss zu geben (in den USA, wo der Film bereits gestartet ist, ist man – erwartungsgemäß – euphorisch ob der Qualität des Streifens), sondern vielmehr, Batman Begins und The Dark Knightauch ideologisch vernünftig zu kombinieren bzw. sich aus der fragwürdige „Miller“-Sackgasse herauszumanövrieren und zu Ende zu bringen. Was bislang zu hören ist, lässt dahingehend jedenfalls hoffen. Allein schon, weil man nun im Herz des US-Traumas angekommen ist, nicht Batmans, sondern dem der USA nach dem 11. September wie in Folge der Börsen- und Bankenkrise: Gotham ist nun deutlich New York, das vom Schurken „Bane“ (Tom Hardy) und seiner bis zum Tod ergebenen Truppe von einer verheerenden Terrorserie überzogen wird – bis sich schließlich aus Bürgerkriegszuständen heraus ein neues Regime etabliert. Eines, das die Repräsentanten der alten, reichen und korrupte Elite zum Tode verurteilt oder ins Exil schickt. Terrorismus – so verspricht ein solcher Plot – wird damit nicht zum ziel- und inhaltslose Schreckgespenst vereinfacht, selbstzwecklos und zugleich funktional für eine rechtsgerichtete Simplifizierung, sondern mit allen Unbequemlichkeiten auch für das Comic-Erzählen weiterdekliniert. Vom Terrorismus zum Terror.
Wir dürfen gespannt sein.
zyw
[1] Baudrillard, Jean (1978): Unser Theater der Grausamkeit. In: Ders.: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin: Merve, S. 7–18.