Von diesem Buch hörte ich in einem Büchermarkt-Podcast des Deutschlandradio, gekauft habe ich das Buch auf einem realen Büchermarkt, nämlich in der VHS Wien-Hietzing, zum halben Preis.
Wenn Hitler gewonnen hätte
Es handelt sich um eine Art Science-fiction-Roman, eine Anti-Utopie: Basil beschreibt Geschehnisse von etwa 1965, in einer Welt, in der Deutschland den zweiten Weltkrieg gewonnen und die halbe Welt unterworfen hat. Der jämmerliche “Held” des Romans ist ein gewisser Albin Totila Höllriegl, Strahlungsspürer und Rutengänger aus dem kleinen Ort Heydrich am Fuß des Kyffhäuser. Braver NS-Parteigänger, Durchschnittsmensch.
Doch es trifft gerade ihn, man erfährt nie, warum: Der große Schriftsteller von Schwerdtfeger (Heimito von Doderer nachgebildet) übermittelt ihm einen Rutengang-Auftrag in Berlin. Samt Marschbefehl.
Schwüle Verhältnisse
Bevor er dorthin aufbricht, wird er noch zu der von ihm angebeteten Amazone Ulla von Ecken berufen, um deren Schlafzimmer auszupendeln. Er ist von diesem amazonenhaften Weib hingerissen, schnüffelt in ihrer Abwesenheit in ihrer Unterwäsche – und wird dann, als sie plötzlich erscheint, mit brutalen Peitschenhieben gestraft, nachdem er sie wild umschlungen hat.
In dem Roman gibt es neben einer zum Teil ermüdend minutiösen Schilderung der Zustände im Reich, vor allem der Wiedergabe unzähliger Radiomeldungen, eine starke erotische Strömung, die Höllriegl umtreibt.
In Berlin trifft er sich mit Ullas Schwägerin Anselma, kann sie verführen – und erfährt dann, dass in Wirklichkeit sie sich seiner bedient hat, um ihren Freunden, die versteckt zusahen, ein Vergnügen zu bereiten (sie tun das häufig).
Den eigentlichen Auftrag kann er in Berlin nicht durchführen, da der Kontaktmann verschwunden ist. Im Reich geht es nämlich drunter und drüber, da Hitler gerade gestorben ist. Ein gewisser Köpfler hat die Macht an sich gerissen. In aller Welt sind Aufstände gegen die deutschen Besatzer ausgebrochen, die Japaner (“Japsen”) lassen Atombomben auf Deutschland regnen.
Hitlers Begräbnis am Kyffhäuser
Auf der Rückfahrt nach Heydrich wird Höllriegl zu einem unterirdischen Versteck von Anhängern der verbotenen Psychanalyse gebracht, weiters besucht er den Philosophen Gundlfinger (= Heidegger), gerät immer wieder ins Chaos von Militär und Flüchtlingen, kann sich bis Heydrich zurück durchschlagen, wo am Kyffhäuser Hitlers Begräbnis (dessen Tod sich als gewaltsam herausgestellt hat, Köpfler steckte dahinter) ein ungeheures Massenaufgebot verursacht.
Nun will er sich an Ulla rächen und sie demütigen, fährt auf abenteuerlichen Wegen zu ihrem Landgut, wo sie gerade von Aufständischen (auch in Deutschland selbst kämpfen unterschiedliche Gruppierungen gegeneinander) gefoltert wird. Höllriegl knallt die Folterer nieder und rettet die halb wahnsinnig gewordene Ulla. Sie gelangen in ein Lager, dort ermordet Ulla ihren Ehemann und lässt fortan Höllriegl dessen Stelle einnehmen. Vom Lager werden sie per Flugzeug nach Kanada evakuiert, müssen dort mitten in der Tundra bei einem kleinen Außenposten notlanden, wollen sich per Hundeschlitten zu ihrem eigentlichen Zielflughafen durchschlagen und geraten unter Feindbeschuss. Höllriegl gibt Ulla, die an der Strahlenkrankheit dahinsiecht, den Gnadenschuss, erschießt den selbsternannten Anführer der Schlittenkarawane, der ihm Ulla ausgespannt hatte, und läuft dann ins gegnerische Gewehrfeuer.
Muffiger Sumpf pseudo-altnordischer Esoterik
Der Roman ist gut geschrieben, vor allem die Verwendung oft äußerst einprägsamer Adjektive fällt positiv auf (man ist an Hans Lebert erinnert). Die politische Botschaft des Buchs soll wohl sein: Seht her, so wäre es gewesen, wenn Hitler gesiegt hätte: Deutschland wäre ein muffiger Sumpf pseudo-altnordischer Esoterik geworden, die Deutschen ein dumpfköpfiges Volk eingebildeter “Herrenmenschen”, die nicht das geringste schlechte Gewissen haben, während sie alle Nichtdeutschen in “UmL” (Untermenschen-Lager) stecken und als Sklaven für sich arbeiten lassen, und gleichzeitig wären sie in einer geradezu lachhaften Nazi-Bürokratie mit einer Vorliebe für groteske Abkürzungen (davon strotzt der Roman, und nicht alle werden aufgeklärt), Straßenkontrollen und einen Papierkrieg aus Genehmigungen, Bestätigungen, Befehlen und Ausweisen erstickt.
Basil scheint mit größter Lust pseudo-nationalsozialistische Ämter, Begriffe, Bezeichnungen, Meldungen, Dienstgrade, Dienststellen, etc. erfunden zu haben, und er lässt die Bezeichnungen wie ein Tropengewitter auf dem Leser einprasseln. Auch die oft seitenlangen, bruchstückhaften Radiomeldungen müssen so einer Formulierungslust entsprungen sein, wobei sinnvolle Fragmente mit verschlüsselten Mitteilungen à la “Wilhelm isst seinen Grießbrei erst morgen früh, wenn Tante Emma nach Hause gekommen ist” abwechseln.
Mutterdeutsch
Ein besonderes Gustostückerl Basilscher Fabulierlust ist das “Mutterdeutsch”, in dem er den knabenhaften, musterhaft arisch aussehenden (aber gar kein Arier seienden) Assistenten Gundlfingers sprechen lässt. Hier kann der Leser nur noch erahnen, was jeweils gemeint ist.
Übrigens kommt auch ein alter Jude an zentraler Stelle vor. Er liegt in Berlin im Sterben, Höllriegl kommt zu ihm und muss sozusagen seine Lebensbeichte anhören, in der er bekennt, dass gerade er eine Unzahl von Juden den Nazis ausgeliefert hat und sein eigenes Judesein verheimlicht hat, um in Deutschland zu Einfluss zu kommen. Doch des Alten Gerede ist dermaßen wirr, dass weder Höllriegl noch der Leser es bis zum Ende ertragen können.
Um dem Skandal-Potenzial, das gerade in dieser Stelle liegt, von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, sagt Basil vor dem Beginn des Buchs, alle Personen des Buchs seien “negative Figuren” – der Autor eingeschlossen.
Basil: Otto: Wenn das der Führer wüßte. Roman. Milena-Verlag, Wien, 2010. Reihe Revisited, Band 6. 383 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai: Flusslandschaft. Aquarell, 1990.
Diese Rezension schrieb ich 2011.