Barockes direkt aus dem Dschungel

Askese und überbordende Lebenslust. Religiöser Fanatismus und ungläubiges Kopfschütteln darüber. Barockmusik und schräge, zeitgeistige Klänge. All das ist verpackt in der „Dschungeloper“ „San Ignazio“. Gespielt wird sie im Hundsturm unter der Regie von Markus Kupferblum und die Genese des Stückes ist an sich schon lesenswert.

Der umtriebige Regisseur, der mit den „Schlüterwerken“ in den letzten Jahren permanent rührig arbeitete, reiste 2013 in den Dschungel nach Bolivien, um sich dort auf die Spur von Barockopern zu machen. Wer meint, er respektive sie hätte sich hier verlesen, irrt. Tatsächlich wurde Pater Anton Sepp, geboren in Tirol, als junger Jesuitenpater im 17. Jahrhundert nach Südamerika entsandt, um den Eingeborenen vor Ort die damalige zeitgenössische Musik näher zu bringen. Mit ihr gestaltete er kleine Opern, in welchen das Leben von Heiligen erzählt wurde. Diese Opernproduktionen, die sozusagen „im Auftrag des Herrn“ entstanden, gerieten im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit. Bis zu jenem Tag, als der polnische Priester Piotr Nawrot im Archiv in Bolivien auf sie stieß und Markus Kupferblum die Aufführungserlaubnis hierfür erteilte.

Aber Kupferblum wäre nicht er selbst gewesen, hätte er in diesem Fall nicht radikal umgedacht. Und so wurde Originales umgeschrieben, Neues von Renald Deppe dazu komponiert und der Text von niemand Geringerem als Bodo Hell verfasst. Herausgekommen ist ein Opernderivat, eine augenzwinkernde Satire, ein beinahe schon dadaistisches Kleinod mit historischen Wurzeln und jeder Menge ebensolcher Querverweise. Darin wird das Leben des Begründers des Jesuitenordens, des Hl. Ignazius von Loyola nachgezeichnet und mit asketischer Strenge und zerbrechlicher Figur glaubwürdig von Ingala Fortagne dargestellt. Er/sie durchleidet dabei alle geistesinspirierten Höhenflüge, hat aber auch heftig gegen die Verführungskunst der Fleisch gewordenen Dämonin Ulla Pilz zu kämpfen. Ingrid Leibeszeder sorgt als Kostümbildnerin dafür, dass diese, sowie Andrea Köhler und Julia Schranz als knallbunte und flippige Amazonen, teils mit bunten Federn behangen in ihren flippigen Outfits pralle Lebensfreude auf die Bühne bringen. Wunderbar jene Szene, in welcher die Frauen erstmals auf dem Missionar treffen und der weltentsagenden Lebensweise von Ignazius völlig verständnislos gegenüberstehen.

Béla Bufe und Florian Hackspiel wiederum dürfen pantomimisch hervorragend als christliche Boten allerlei Slapstick aufführen und das Publikum mit einer Geschichte unterhalten, in welcher ein Bootsruder zum Symbol von Macht, Freiheit und schließlich auch Entsendung wird. Mit Bernd Lambauer, der als Bruder Franz Xaver von Ignazius wider Willen schließlich nach Indien zur Missionierung entsandt wird und Theres Cafasso, welche die jungfräuliche Mutter Maria als prozessionserprobte China Diabla darstellt, ist das Ensemble der Schlüterwerke komplettiert.

Aber es ist keine reine historische Nacherzählung, die Kupferblum liefert. Das Spannende an dem Abend sind jene Hinweise, die aufzeigen, was eigentlich aus der Entsendung des Bruders Franz Xaver – der historischen Figur Francisco de Gassu y Javier, einem weiteren Ordensmitbegründer, geworden ist. Geboten wird dabei ein neuer Blick auf die Missionierung durch die Jesuiten, die ohne Weiteres mit den Zielen der Kolonialisierung konkurrieren konnte. Zielte letztere auf die Ausbeutung jeglicher Ressourcen, wollten die Jesuiten nicht weniger als die Bekenntnis Abertausender zu ihrem Glauben und damit die Stärkung der römisch-katholischen Kirche. Bodo Hells Sprachduktus mit vereinzelten herrlichen Wortkaskaden und Deppes geschickte Instrumentierung – zu den drei Streichern gesellt sich anstelle eines Cembalos für den Generalbass ein Hackbrett – bieten Verknüpfungen ins Hier und Jetzt, die den melodieösen Barockarien eine zeitgeistige Aura verpassen. Alles in allem ein kurzweiliger Abend mit „geistiger Erbauung“, der jedoch ganz ohne einschläfernde Belehrungen auskommt. Wer Lust auf „schräge“ Opernaufführungen hat wird hier bestens bedient.


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