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Wie ja hinreichend bekannt, hat die Barmer GEK eine Reihe von Orthopädieschuhtechnikbetrieben mit teilweise sechsstelligen Rückforderungssummen überzogen und wollte diese im Wege der Verrechnung mit laufenden Abrechnungen von den Betrieben einbringen.
Der Zentralverband für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) handelte einen Kompromiss aus, nach dem die Betriebe durch Zahlung eines prozentualen Abschlags die Forderungen der Kasse insgesamt erledigen konnten, doch viele Betriebe haben diesen Kompromiss nicht aufgegriffen.
Insbesondere im Süden der Republik gingen einige Betriebe im Wege der Feststellungklage gegen die Forderungen der Barmer GEK vor den zuständigen Sozialgerichten an, und die dortigen Verfahren werden jetzt nach und nach erstinstanzlich zum Abschluss gebracht.
Das „Orthopädie-Magazin“ (Klick) berichtet nun aktuell über den Ausgang eines der Prozesse, in dem vor dem Sozialgericht Freiburg am 17.08.2010 ein Urteil gefällt worden ist (ohne allerdings die genaue Quelle anzugeben); zusammenfassend ergibt sich dort Folgendes:
1. Die Feststellungsklage war zulässig.
2. Die Ansprüche seien verjährt, wobei das Gericht es offen liess, ob hier eine 3-jährige oder eine 4-jährige Verjährungsfrist gelte.
3. Die Barmer GEK müsse Beanstandungen nach dem zugrundeliegenden Vertrag binnen 6 Monaten geltend machen.
Das Gericht nahm aber keine Stellung zu der inhaltlichen Frage, ob Schaleneinlagen für Erwachsene nun berechtigterweise abgegeben worden waren oder nicht.
Im Ergebnis bedeutet diese Entscheidung, dass alle Ansprüche, die die Barmer GEK bis heute nicht gerichtlich geltend gemacht hat, verjährt sind. Damit ist die gesamte Angelegenheit eigentlich für alle betroffenen Betriebe vom Tisch.
Doch was ist mit der inhaltlichen Frage, ob man an Erwachsene Schaleneinlagen abgeben darf oder nicht?
Hier hilft ein anderes Verfahren, dass sowohl im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes als auch in der Hauptsache in Mecklenburg-Vorpommern geführt wurde; dort war die Barmer GEK zusammen mit einigen anderen Krankenkassen vorgeprescht und hatte gegen einen Betrieb Verrechnungen in einer 6-stelligen Summe durchgeführt.
Am 31.07.2007 entschied die 1. Kammer des Sozialgerichts Rostock zunächst im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dass diese Verrechnung unzulässig sei.
Das Gericht wies darauf hin, dass die Barmer GEK ihre Forderung für jeden Einzelfall hinreichend vortragen und dann auch beweisen müsse, und dies habe die Kasse nicht getan. Schon deswegen könne eine Forderung der Barmer GEK nicht festgestellt werden und so sei die Aufrechnung unzulässig. Darüber hinaus bestreite ja selbst die Barmer GEK nicht, dass die Versorgung aufgrund einer ärztlichen Versorgung erfolgt sei. Und seien Leistungen durch die ärztlichen Verordnungen gedeckt, dann könne das unter Umständen zwar Schadensersatzansprüche gegen die Vertragsärzte auslösen, nicht aber gegen den Leistungserbinger.
Das Sozialgericht beschäftigte sich also mit dem Kernpunkt: der ärztlichen Verordnung. Deckt diese die Abgabe, so bestehen Ansprüche der Krankenkasse jedenfalls nicht gegen den Leistungserbringer. Sind also Schaleneinlagen für Erwachsene vom Vertragsarzt verordnet, dann hat der Leistungserbringer diese auf Kosten der Krankenkasse abzugeben, diese wiederum mag dann Regressansprüche gegen den Arzt haben, nicht jedoch gegen den Leistungserbinger.
Doch die Barmer GEK wollte es genau wissen und rief das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern an, und das LSG erliess darauf hin am 16.04.2008 einen Beschluss.
LSG M-V, Beschluss v. 16.04.2008
Diese Entscheidung ist auch schon in der juristischen Literatur veröffentlich ist (NJOZ 2008, 4915), denn er hat durchaus weitreichende Konsequenzen:
Im Ergebnis entschied das LSG:
1. Keine Aufrechnung mit behaupteten Rückgewähransprüchen aus § 280 BGB, wenn der Orthopädie-Schuhtechniker nichts Anderes abgerechnet als er auch geliefert hat.
2. Soweit der Schuhtechniker auf der Grundlage einer entsprechenden ärztlichen Verordnung seine Leistungen erbracht hat, ist jedenfalls das Vorliegen von Verschulden zweifelhaft.
Und das Gericht beschrieb das Rangverhältnis, dass zwischen Arzt und Leistungserbringer besteht und dass auch die Krankenkasse zu beachten hat, sehr plastisch:
Generell ist zweifelhaft, inwieweit Zahlungsansprüche gegenüber der Ast. als Leistungserbringerin überhaupt in Betracht kommen, sofern wirksame Verordnungen vorgelegen haben. Denn der Vertrag regelt schließlich keine besondere Prüfungspflicht des Leistungserbringers, sondern sieht lediglich vor, dass der Leistungserbringer auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung handelt. Ob und in welchem Umfang dem Leistungserbringer eine Prüfungspflicht zusteht, wenn die ärztliche Verordnung nicht offensichtlich fehlerhaft erscheint – was hier nicht der Fall ist – ist jedenfalls als rechtlich problematisch einzuschätzen. Denn schließlich ist der Vertragsarzt im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung die Schlüsselfigur, die Hilfsmittel verordnet und damit die Verantwortung trägt.
Der Arzt ist also die Schlüsselfigur des Verfahrens, und wenn er keine offensichtlich fehlerhaften Verordnung ausstellt, dann hat der Leistungserbinger nach Massgabe der Verordnung zu leisten. Sollte die Kasse damit nicht einverstanden sein, dann hat sie sich mit dem Arzt und nicht mit dem Leistungserbinger auseinander zu setzen.
Für Schaleneinlagen bedeutet dies im Ergebnis:
Da die Verordnung dieses Hilfsmittels an Erwachsene durchaus medizinisch indiziert sein kann (dazu gibt es diverse Stellungnahmen), ist eine Verordnung von Schaleneinlagen für Erwachsene nicht offensichtlich fehlerhaft und damit vom Leistungserbringer zu erbringen.
Aber natürlich gilt dies auch für andere Heil- und Hilfsmittel: ist die medizinische Verordnung nicht offensichtlich fehlerhaft, dann befindet sich der Leistungserbringer auf der sicheren Seite und die Krankenkasse muss sich mit dem Vertragsarzt auseinandersetzen.
Inzwischen ist auch das Urteil in der Hauptsache ergangen, und zwar erneut durch das Sozialgericht Rostock am 16.06.2010. Die Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wurden bestätigt.
Rechtskraft und Begründung stehen noch aus, aber es darf wohl angenommen werden, dass das Sozialgericht Rostock seine eigene Begründung in Verbindung mit den Ausführungen des LSG seiner Entscheidung zugrunde legen wird. Ob die Barmer GEK dann erneut Rechtsmittel einlegt – zuzutrauen ist es ihr -, bleibt abzuwarten.
Fassen wir den derzeitigen Stand zusammen:
1. Nicht nur im Bereich der Schaleneinlagen ist der Arzt die Schlüsselfigur.
2. Verordnet der Arzt etwas, und ist diese Verordnung nicht offensichtlich fehlerhaft, dann darf der Leistungserbringer nach Massgabe dieser Verordnung handeln.
3. Will die Kasse mit dem Argument, diese Leistung sei nicht auf ihre Kosten zu erbringen, Regress nehmen, dann muss sie dies beim Arzt und nicht beim Leistungserbringer tun.