Am Dienstag Abend haben wir also unser temporäres Zuhause gezügelt. Abends im Stossverkehr, schon dunkel und bald auch mit Regen. In Barcelonas Zentrum gibt es viele, meist recht brauchbare Velowege, die auch rege genutzt werden. So kurvten wir also zwischen anderen Ciclistas, Fussgängern und zwischendrin auch Autofahrern herum. Ein rotes Katzenauge für hinten habe ich seit Beginn der Reise dabei (wenn auch kaum je benutzt), an die Lenkertasche ran kam die Stirnlampe und so waren wir auch ganz legal beleuchtet. Dass 7 km Stadtverkehr mehr Zeit in Anspruch nehmen als dieselbe Distanz draussen „auf dem Feld“ war klar, Spass machte die Aktion aber nicht wirklich. Besonders als der Regen so richtig aufdrehte und wir rausfanden, dass wir die Abzweigung verpasst hatten, weil die Strassennamen auf Google Maps nicht immer zu 100 % mit der Realität übereinstimmt, fanden wir das Ganze nicht mehr so lustig. Ziemlich nass fanden wir dann die richtige Adresse aber doch und stellten auch schnell fest, dass wir uns einen krassen Upgrade ausgehandelt hatten. Der Holländer Marsel, der seit zehn Jahren in Barcelona lebt, wohnt äusserst zentral in einer umgebauten alten Wohnung mit interessantem Mix aus aus alten Elementen, wie z.B. Bodenplättli, und modernen Möbeln und Installationen. Ein eigenes Zimmer haben wir zwar nicht mehr, dafür zwei Sofas im grossen Wohnzimmer. Trotzdem, José, muchas gracias por dejarnos dormir en tu habitacion, era mucho mejor que una tienda de campo fria y mojada.Auch unser zweite Tag in Barcelona verbrachten wir ohne Aktivitätswahn. Am Morgen regnete es immer noch, am Nachmittag wanderten wir etwas durch die Strassen, sassen einige Zeit im McDonald’s (Marsel hat kein Wifi) und gingen im Carrefour einkaufen. Nichtstun ist bei mir immer hoch im Kurs, auf Sofa sitzen und in „Climbing“ Zeitschriften rumzustöbern, war da also genau richtig. Für den 1. November war dann Sightseeing geplant, in Spanien ein ungeschicktes Datum wie sich herausstellte. Der 1. November ist hier ein Feiertag und entsprechend viele Leute sind unterwegs. Anders ging das nun mal aber nicht, und so kauften wir uns ein Metro Ticket und machten uns auf in Richtung Park Güell. Dahin führte uns eine richtige Bergwanderung, der Park liegt nämlich auf einem steilen Hügel. Dort angekommen waren wir trotzt mentaler Vorbereitung einigermassen schockiert über die Touristen-Herden, die den Gnu-Wanderungen in Afrika locker Konkurrenz machen könnten. Wir bezeichnen das Gefühl inzwischen als Athabasca Falls-Effekt. Das war einer jener Orte in den kanadischen Rocky Mountains, wo wir alle (auch der Biciclown) jenen Fluchtimpuls verspürten als wir die Menschenmassen sahen und da auch noch rein mussten bzw "wollten".
Menschenmassen im Park Güell.
Als ziemlich krass hätte man das auch hier bezeichnen können. Wir waren aber faszinierenderweise auch in der Lage, die eine oder andere Foto ohne oder fast ohne Leute zu schiessen. Teilweise hing das natürlich damit zusammen, dass die Decke das Ziel des Interessens war und da hängen Menschen nun mal eher selten rum.Einsamer Junge im Park Güell.
Decke im Park Güell.
Populäre Eidechse, ebenfalls Park Güell.
Auf dem Rückweg aus dem Park heraus verirrten wir uns erst mal. Die Beschilderung ist unserer Meinung nach eher schlecht und die Tatsache, dass alles nur auf katalanisch angeschrieben ist, half auch nicht. Grundsätzlich unterstütze ich es ja, wenn Minderheiten an ihren eigenen Sprachen festhalten, aber den Touris zuliebe könnte man gewisse Orte ja auch mit Infos auf Englisch versehen. Ok, schlussendlich fanden wir unsere Metrostation aber wieder und gingen erst mal „nach Hause“ um etwas zu essen und uns vor all den Leuten zu verstecken. Am Nachmittag wagten wir uns nochmals in die Strassen und Gassen, schauten uns die Kathedrale (von aussen) an und fanden auch sonst einige hübsche Orte, die jedoch auch fast ausnahmslos immer voller Leute waren.Am Freitag war dann die zweite Stadt-Anschau-Tour geplant und zwar standen die Sagrada Familia und ein oder zwei Gaudí-Gebäude auf dem Programm. Wobei wir offen gelassen hatten, ob wir die nur von aussen oder allenfalls auch von innen bestaunen wollten. Als wir aber zur Sagrada Familia kamen und die Warteschlange sahen, die kurzerhand einmal um die gesamte Kirche herumreichte, verging uns sehr schnell die Lust, auch nur an ein Anstehen zu denken. No way, absolutely not! Auch von aussen beeindruckte uns die berühmte Kirche nur beschränkt, sie war nämlich fast zur Hälfte in Gerüste und Plastik eingepackt und zwei Kranen machten den Türmen da oben Konkurrenz. Schade, ist aber wohl so, wenn sich ein Gebäude noch im Bau befindet und da die Sagrada Familia nur von Spendengeldern finanziert wird, könnte es wohl auch noch eine Weile dauern, bis die fertiggestellt ist. Geplant ist das angeblich auf das Jahr 2026, ziemlich lange, wenn man bedenkt, dass im Jahr 1882 mit dem Bau begonnen wurde.
Sagrada Familie, moderne Seite.
Sagrada Familia, ältere Seite.
Heilige Familie meiner Gallions-Figur.
Interessant ist, dass es bei dieser Kirche nicht wirklich ein hinten und vorne gibt, sondern zwei total verschiedene Stiltypen, offensichtlich die eine Seite bedeutend älter, die andere modern und schon fast futuristisch. Nach einer Umrundung der heiligen Familie sind wir dann aber eben weitergewandert auf der Suche nach weiteren Gaudí-Gebäuden. Was wir vorfanden als wir zur Casa Milá (La Pedrera) kamen, war als erstes wieder eine Warteschlange. Ok, ok, wir hatten verstanden. Wir würden all die hübschen Sachen eben von aussen begutachten, uns da anzustellen und uns dann wie Schweine in Massentierhaltung zu fühlen, kam aber nicht in Frage. Noch schöner als La Pedrera fand ich die Casa Batlló. Aber auch da drängten sich viel zu viele Leute um/in den Eingang.La Pedrera.
Casa Batlló.
So spazierten wir halt zurück zur Rambla (grosse Touri-Strasse), gingen für die nähsten Tage einkaufen und zogen uns dann zurück, wohin uns niemand hin folgen konnte. Unterwegs kauften wir noch Bretzel, die aber nicht ganz so fein waren wie sie aussahen. Um das Mittagessen zu vervollständigen, gingen wir danach wieder raus und assen im Cafe Valor vermutlich die letzten Churros con Chocolate in Spanien. Nun sitzen wir (wegen Wifi) wieder im McDonald’s neben einer einheitlich überfetteten Familie mit quengelnden, plärenden Goofen. Angesichts dieses Ameisenhaufens wird die Vorstellung von einsamen, wilden Camps wieder sehr verführerisch. Es ist eindeutig Zeit, Barcelona wieder zu verlassen.
Touris überall, sogar in den Schaufenstern.
Catalunya, Espanya, Barcelona.
Hier noch eine Bemerkung zu Catalunya. Wie wir in Pamplona schon erfahren hatten, sind die Katalanen ebenso patriotisch mit Hang zur Unabhängigkeit von Spanien wie die Basken. Sie sind deswegen weniger in den Schlagzeilen, weil sie diplomatischer sind und subtiler vorgehen. Schlussendlich haben sie aber die gleichen Absichten und Ziele. Auffällig wird diese Haltung, wenn man sich hier in Barcelona umschaut und kaum spanische Beschriftungen findet. Weder Strassenschilder, noch Restaurants oder Läden. Selbst Ge- und Verbote sind konsequent katalanisch, wenn Touristen angesprochen werden sollen, lässt man sich dazu herab, englisch, evtl. gar französisch oder deutsch zu sprechen (bzw. schreiben), spanisch scheint jedoch tabu zu sein.