In diesem Fall, wie im gesamten Verlauf von Baraks politischer Laufbahn, neigen Analysten dazu, den persönlichkeitsbedingten Aspekt von Baraks verräterischem Verhalten zu sehr zu betonen: nachdem seine Führerrolle in Labor bedroht war, habe Barak gefürchtet, seine Partei könnte ihn zwingen, die Koalition zu verlassen und seinen Posten als Verteidigungsminister aufzugeben. Ich möchte behaupten, dass Baraks letzter Zug, wie so viele seiner bisherigen, besser erklärt werden kann als eine politische Äußerung, die durch seine weit rechts stehende militaristische Überzeugung und seine Einstellung für die Okkupation motiviert ist.
Das Friedenslager zerbrechen
Seit seinem Eintritt in die Politik habe ich Barak für einen der gefährlichsten Politiker im Nahen Osten gehalten. Seine größte Errungenschaft war die Zerstörung des israelischen Friedenslagers im Jahr 2000, von der die israelische Linke sich immer noch nicht erholt hat. Traditionell war die Position des rechten Flügels in Israel: „Wir vertrauen den Arabern (oder Palästinensern, Nichtjuden, Antisemiten) nicht, daher können wir keinen Frieden mit ihnen schließen,“ während der linke Flügel bereit war, Risiken einzugehen (besonders einen Rückzug aus okkupiertem Land), um die Friedensoption zu versuchen.
Barak wurde 1999 vom israelischen Friedenslager zum Premierminister gewählt. Der Berufskrieger und ehemalige Chef des Generalsstabs war jedoch in Wirklichkeit ein weit rechts stehendes Trojanisches Pferd innerhalb der israelischen Linken. Die Tatsache, dass er konsequent gegen den Oslo-Prozess opponiert hatte, wurde verschwiegen und vergessen, so dass die rasche Beendigung dieses Prozesses durch die blutige Intifada im Jahr 2000 als große Überraschung hingestellt werden konnte, nicht als vorsätzlicher Plan, und die Schuld den Palästinensern zugeschoben werden konnte. Für zuhause und weltweit erfand Barak die Legende, dass er den Palästinensern großzügig das Ende der Okkupation angeboten habe, was diese aber ablehnten. Diese Lüge wurde von den unkritischen israelischen Medien propagiert und als wahre Tatsache hingestellt – als hätte Barak wirklich angeboten, die Okkupation zu beenden; später dann als wahre Geschichte – als hätte Barak tatsächlich die Okkupation beendet. Die israelische Linke – verwirrt durch den Verrat ihres eigenen Anführers und unter dem Eindruck der Schrecken der Intifada – führte sich auf, als hätte Barak tatsächlich den Rückzug aus den palästinensischen Territorien durchgeführt und die Siedlungen aufgelöst, die Palästinenser hingegen das Existenzrecht Israels abgestritten und mit rücksichtsloser Gewalt reagiert und damit die Thesen des rechten Flügels bestätigt. Unter dem Anführer Barak gab das israelische Friedenslager der Ideologie des rechten Flügels klein bei, und löste sich auf.
Übergabe der Fackel an Sharon
Nachdem Barak seine eigenen Wähler in den ideologischen Bankrott geführt hatte, war der Sieg des rechten Flügels leicht absehbar. Warum sollte jemand die Linke wählen, wenn sogar deren Anführer sagt, dass die Rechte recht hat? Baraks Albtraum war allerdings nicht, er könne die Wahlen verlieren, sondern sein Nachfolger könne ein nicht-militaristischer Premierminister werden wie Netanyahu, der einigen Pragmatismus gezeigt und Druck von außen nachgeben hätte können, um zum Friedensprozess zurückzukehren oder zumindest ein Ende des Blutvergießens zu erreichen. Barak trat deshalb von seinem Amt als Premierminister nach einem ausgeklügelten Zeitplan und in einer Weise zurück, die Netanyahus Weg zurück an die Macht blockierte, und bereitete den Weg für den erwarteten Erdrutschsieg seines „ideologischen Gegners“ (tatsächlich aber engen Freundes und ideologischen Mentors) Sharon im Jahr 2001, von dem man sicher sein konnte, dass er die Intifada noch weiter anheizen und an Israels Ablehnungshaltung festhalten würde. Barak opferte in der Tat seine Position, um sicher zu stellen, dass der Pate des israelischen Kolonialismus an die Macht zurückkehrte, und nicht Netanyahu, der kein Armeegeneral war und daher nicht vertrauenswürdig.
Solange Sharon an der Macht war, konnte Barak gut schlafen: die Gefahr eines Endes der Okkupation war vom Tisch. Barak nutzte die blutigen Jahre nach seiner Wahlniederlage, um Geld zu machen, indem er seine Beziehungen zum „Sicherheits“-Geschäft in aller Welt ausnutzte. Damals kaufte und bezog der ehemalige (und zukünftige) Anführer der Sozialdemokratischen Partei Israels ein $ 2,5 Millionen teures Luxusappartement in Tel Aviv, das von einer illegal beschäftigten philippinischen Arbeiterin betreut wurde.
Im Januar 2006 fiel Sharon nach einem Schlaganfall ins Koma. Ehud Olmert, der nicht zu der militaristischen Junta gehörte, wurde Premierminister. Barak musste alarmiert gewesen sein und kehrte fast umgehend in die politische Arena zurück. Er brauchte eineinhalb Jahre, um Olmerts Verteidigungsminister zu werden.
Netanyahus rechte Hand
In den Wahlen im Februar 2009 führte Barak Labor in eine noch nie da gewesene Niederlage. Mit nur 13 Sitzen in der Knesset erreichte die Partei, die den Staat Israel geschaffen und drei Jahrzehnte lang regiert hatte, weniger als die Hälfte der Mandate von Kadima oder Likud und blieb sogar hinter Liebermans Partei zurück. Mutig übernahm Barak die Verantwortung für seine historische Niederlage und sagte, er würde jetzt der Nation von der Oppositionsbank aus dienen.
Er überlegte es sich natürlich am nächsten Tag und begann mit Koalitionsverhandlungen. Mit Livni von Kadima und Netanyahu vom Likud, die beide in der Lage waren, die Regierung zu bilden, waren alle Karten offen – Livni mit einer Mitte-Rechts-Koalition, Netanyahu mit einer weit rechts stehenden. Wieder folgte der Führer von Labor seiner politischen Überzeugung. Indem er sinnlose Forderungen stellte und auf Zeit spielte, stellte er sicher, dass Livni nicht Premierministerin wurde. Dann stürmte er in Netanyahus weit rechts stehende Koalition als Verteidigungsminister, um sicher zu stellen, dass seine natürlichen Verbündeten – der rechte Premierminister und sein faschistischer Stellvertreter Lieberman – auf dem weit rechten Weg blieben. Barak gesellte sich zu diesen ungeachtet heftiger Opposition innerhalb seiner eigenen Laborpartei, die er in seiner typisch antidemokratischen Weise ignorierte und dadurch den Keim für die derzeitige Spaltung setzte.
Baraks Ausrede für seine Beteiligung an der Rechtskoalition war, er würde Lieberman ausgleichen und “Netanyahu auf die Linke ziehen.” In dieser Phase von Baraks Laufbahn musste man schon extrem naiv oder völlig uninformiert sein, um sein angebliches Bekenntnis zu irgendeinem Friedensprozess ernst zu nehmen. Eine derartige Naivität und/oder Uninformiertheit fand sich – in Obamas Regierung. Der amerikanische Präsident, seine Außenministerin Hillary Clinton und ihre Berater brauchten fast zwei Jahre, um zu der Erkenntnis zu kommen, die von Anfang an auf der Hand lag, nämlich:
über eineinhalb Jahre lang führte Barak sie an der Nase mit seiner Überzeugungskraft gegenüber Premierminister Benjamin Netanyahu in Hinblick auf den Friedensprozess. […] „Wir setzten unser ganzes Geld vor eineinhalb Jahren auf ihn,“ zitierte der israelische Funktionär seinen amerikanischen Kollegen. „Die gesamte Administration wettete auf Barak, weil der sagte, er könne Netanyahu zu einem Abkommen mit den Palästinensern hin bugsieren, aber er täuschte uns und führte uns auf den Holzweg.“ […] „Er beeindruckte uns mit seinen intelligenten Analysen; der Präsident hörte auf Barak wie ein Student auf seinen Lehrer und vertraute ihm, aber er hielt keines seiner Versprechen zum Friedensprozess und zum Baustopp,“ sagte der Funktionär dem Israeli; […] „ganz schockiert … ich brach fast in Tränen aus.“ (Ha’aretz, 2. Januar 2011)Barak führt an der Nase?! Was für eine Überraschung. In der Tat gab sogar der Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika zu, dass
Baraks enttäuschendes Verhalten in Washington den Eindruck eines Deja Vus hervorrief, besonders im Außenministerium, wo man sich seines Versagens als Premierminister bei den Friedensgesprächen in Shepherdstown und Camp David [im Jahr 2000 - rh] erinnerte.
Wie der alte Witz über den Vorteil der Demenz – man trifft immer wieder neue Menschen.
Offene Missachtung?
Die Tatsache, dass Washington letztendlich Barak als Mann des Krieges und der Täuschung entlarvte, nicht als Mann des Friedens, der zu sein er vorgibt, könnte der Hauptgrund für seinen politischen Schritt sein. Indem er Labor verließ, stärkte Barak Netanyahus Koalition, die dadurch zwar kleiner, aber stärker wurde: Baraks kleine Fraktion ist jetzt ihrem Führer treu ergeben, welcher seinerseits in Abhängigkeit von Netanyahu steht und wahrscheinlich irgendwann einmal dem Likud beitreten wird. Baraks „neue“ politische Linie wurde offenkundig in seiner Abschiedsrede, in der er den Rest der Laborpartei einer „Abdrift nach links und noch weiter links“ bezichtigte, sowie eines „Post-Modernismus“ und „Post-Zionismus.“ Offensichtlich strebt Barak nach weit, weit rechts.
Das könnte ein Zeichen für einen Wechsel der Politik Israels sein. Entlarvt von Washington wird Barak nicht länger den falschen Mann des Friedens spielen, sondern die weit rechte/faschistische Regierung stärken in ihrer offenen Missachtung der Vereinigten Staaten von Amerika und des Restes der internationalen Gemeinschaft. Netanyahu benutzte Baraks Schritt bereits, um sich noch tiefer in seine Ablehnungshaltung einzugraben; er tat das, indem er erklärte, dass unter den gemäßigten Labor-Ministern die Palästinenser sturer in ihren Forderungen waren; jetzt, wo diese Minister gegangen seien – sie alle traten zurück, nachdem Barak Labor verlassen hatte – wären die Palästinenser gezwungen, ihre Positionen aufzuweichen, und der Friedensprozess wäre wieder auf Schiene, so sagte Netanyahu voraus. Alles gebongt.
Der demaskierte Barak darf jetzt Netanyahu und Lieberman helfen, aus Israel einen Schurkenstaat zu machen, der sich offen den Vereinigten Staaten von Amerika, den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft widersetzt. Langfristig wird sich das wohl gleichermaßen positiv auf Israelis wie auf Palästinenser auswirken. Kurzfristig wird das wahrscheinlich in eine Katastrophe führen. Nicht überraschend wird schon über einen kommenden Krieg mit Libanon und Syrien gesprochen.
Ein Artikel von Ran HaCohen