Mein Nachbar weiß viel über mich. Er weiß, wie ich heiße und wenn er nicht blind ist, weiß er sogar, wie ich aussehe und wo ich wohne. Wenn er ein bisschen googelt findet er heraus, dass ich gerne beim Radio rum hänge und ich mich sehr für Filme interessiere. Er könnte auch herausfinden, wer meine Freunde sind, was für Musik ich höre, dass ich kein Vegetarier bin, wann ich Geburtstag habe, dass ich ohne Kaffee unausstehlich sein kann. Das alles sind Dinge, die man ohne Probleme über mich erfahren kann, weil ich diese Informationen selbst in Umlauf setze. Der gläserne Mensch ist nur so gläsern, wie er das selbst will. Wäre ich ein Street-Art-Künstler, der Nacht für Nacht weltweit unterwegs ist, um Wände zu bemalen, würdest Du es wissen?
Kunst ist alt. Kunst ist in Statuen, altehrwürdigen Gemälden und in Musik. Kunst haftet irgendwie immer etwas staubiges an und etwas, das an die Vergangenheit denken lässt. Wir blicken heute zurück und können sagen: „Ja, das war die Klassik und hier...Die Renaissance. Wie schön!“ Wenn man in hundert Jahren zurück blickt, wird man auch irgendeinen spannenden Begriff finden, der die Kunst im Jetzt anders bezeichnet, als Sachbeschädigung oder Vandalismus. Wie auch immer er lauten wird, Street-Art wird sicher eine große Rolle spielen. Das Spannende daran ist nicht nur die Kunst an sich, sondern die das Abenteuer und der Reiz des Illegalen, der da hinter steckt. Wer sind die ominösen Künstler, die unglaublich viele und große Kunstwerke mitten an öffentlichen Straßen und Plätzen verwirklichen. Thierry Guetta ist einer der vielen Menschen, die das gerne wissen wollen. Also macht er sich auf, um einen Film über Street-Art zu drehen. In einer dumm-dreisten aber irgendwie liebenswerten Manier knüpft er Kontakte zu den bekanntesten Künstlern, bis er eines Tages feststellt, dass ihm einer fehlt. Er beschließt, einen Film über Banksy zu machen, interessiert sich immer mehr für die Kunst an sich, beschließt dann, selbst Street-Artist zu werden, eine eigene Ausstellung zu machen, weswegen er keine Zeit mehr für den Film hat. Da Banksy ein netter Kerl ist, übernimmt er den Filmjob und macht stattdessen einen Film über Thierry, der sich nun Mr Brainwash nennt.
Worum geht’s denn nun eigentlich? Banksy ist eine Person, über die man nur weiß, was er will, dass man es weiß. Man kennt seinen richtigen Namen nicht. Man weiß nicht, wie er aussieht, wo er wohnt und was er gerne isst. Das ist auch notwendig, denn seine Kunst gilt allgemein als Vandalismus und Sachbeschädigung, weshalb er mächtig Ärger bekommen würde, würde man ihn erwischen. Banksy ist außerdem selbst eine Kunstfigur. Diese Figur gehört zu seinem Konzept dazu und diese Kunst lebt von dem unbekannten Faktor. Seine Werke werden als echte Kunstgegenstände gehandelt und erzielen bei Auktionen stets Höchstpreise. Hier ist oft auch die Besitzfrage ungeklärt, denn schließlich befinden sich seine Kunstwerke an fremden Häuserwänden. Der Besitzer könnte es entfernen lassen. Oftmals übersteigt der Wert eines Banksy allerdings den Wert der Wand, oder des Hauses selbst.
„Exit Through The Giftshop“ ist ebenfalls ein Kunstwerk. Durchsetzt mit viel Ironie und wenig fundierten oder echten Informationen. Man darf nicht denken, man erfährt tatsächlich mehr über diese ominöse Person. Man erfährt nur etwas über Thierry, der wahrscheinlich auch nicht echt ist. Was man allerdings erfahren kann, ist, wie Street-Art an sich funktioniert. Das Gefühl, welches dahinter steht, wird wahrscheinlich sehr gut vermittelt und steigert die Faszination am Thema. Außerdem lässt sich herrlich über all die pikierten und spießigen Kunstkenner lachen, die sich ein Stück Wand in ihre private Galerie stellen, nur weil darauf eine Cartoon-Ratte mit Tomaten jongliert.
Exit Through The Giftshop (GB, 2010): R.: Banksy; D.: Banksy, Thierry Guetta, Jay Leno, u.a.; M.: Roni Size, u.a.; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
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