Balladen

Meine Balladen-Anthologien

Ich habe ein Faible für Balladen-Anthologien, und wie man an obigem Foto sieht, hat sich schon eine passable Kollektion bei mir angesammelt.

Was reizt mich an der Ballade?

Die Mischung aus Lyrik, Epik und Dramatik auf kleinstem Raum ergibt eine unglaublich zugkräftige Gattung. Goethe nannte sie das „Ur-Ei“ der Literatur. Im „Wettkampf“ mit Schiller – man denke an das berühmte „Balladenjahr“ 1797 – hat er bis heute packende Meisterwerke geschaffen, unter denen sich einige meiner Lieblingsballaden befinden: „Der Zauberlehrling“, „Erlkönig“, „Der Totentanz“, aber auch das seltsamer Weise weniger bekannte „Hochzeitlied“ mit seiner allerliebsten Lautmalerei, wo ein heruntergekommener Ritter sein Schlösschen großzügig einer lustigen Zwergengesellschaft zur Verfügung stellt und dafür mit Prosperität belohnt wird. Von Schiller stammen drei Balladen mit in der Antike angesiedelter Handlung, die mich immer wieder begeistern: „Die Bürgschaft“, „Der Ring des Polykrates“ und „Die Kraniche des Ibykus“. Man sagt der Ballade ja etwas Filmisches nach, weil sie mit „schnellen Schnitten“ arbeiten muss, und die Szene, wie sich Damon in der „Bürgschaft“ der Räuberbande erwehrt, ist da ein Musterbeispiel:

Und gewinnt das Ufer und eilet fort

Und danket dem rettenden Gotte,

Da stürzet die raubende Rotte

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord

Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule.

 

»Was wollt ihr?« ruft er, für Schrecken bleich,

»Ich habe nichts als mein Leben,

Das muß ich dem Könige geben!«

Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:

»Um des Freundes willen erbarmet euch!«

Und drei mit gewaltigen Streichen

Erlegt er, die andern entweichen.

 

Der nächste Höhepunkt nach Goethe und Schiller ist für mich bei Theodor Fontane und Conrad Ferdinand Meyer erreicht. Fontanes „Brück am Tay“, die den Einsturz der gerade erst erbauten Eisenbahnbrücke über den Firth of Tay zu Weihnachten 1879 als Resultat böser Hexenkünste darstellt (und damit nicht der Unfähigkeit der Ingenieure, wie es nähe gelegen hätte), kennt wohl jeder.

Ein absolutes Meisterwerk, das auch aus den anderen Gedichten des Autors weit herausragt, ist Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“. Hier wird auf geradezu expressionistische Weise der Schrecken eines französischen Offiziers der Zeit Ludwigs XIV. greifbar gemacht, den es in just jene Burg verschlagen hat, wo er ein paar Jahre zuvor auf grausame Weise die Burgherrin ermordet hat, weil sie den Aufenthaltsort ihres Gatten, der sich als Hugenotte verstecken musste, nicht verraten wollte. Nun ist der Burgherr sein Gastgeber, und mit Leichtigkeit könnte er sich an dem teuflischen Ritter rächen. Das Gastrecht, das Ideal der Gewaltfreiheit und seine christliche Gesinnung halten ihn davon ab: ein Beispiel menschlicher Größe, das einem die Gänsehaut über den Rücken treibt.

Aus dem 20. Jahrhundert will ich nur meine Lieblingsballade von Bertolt Brecht erwähnen: „Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“.

Was reizt mich noch daran?

Ich lese sehr gern Balladen vor, weil sie die Möglichkeit zu kurzem „Ein-Personen-Theater“ geben. Ich habe schon ganze Vertretungsstunden mit dem Vorlesen von Balladen verbracht, ohne dass den Schülerinnen und Schülern langweilig wurde.

Damit ist auch schon ein kritischer Punkt angesprochen: Die Ballade im Deutschunterricht. Als Gattung ist sie ideal für den Unterricht, nur leider, leider knüpfen sich bei manchen SchülerInnen nicht nur positive Erinnerungen daran. Bis heute gibt es schändlicher Weise Fälle, wo schlimme Schüler zur Strafe Balladen auswendig lernen müssen. Literatur als Strafe! Verkehrter kann man es wohl nicht machen. Ich kann nur hoffen, dass mein Balladen-Unterricht bei meinen SchülerInnen keine negativen Folgen zeitigt und ihnen als interessant und unterhaltsam in Erinnerung bleibt.

Die Anthologien

Dass ich offenbar nicht der einzige bin, dem Balladen gefallen, erkennt man an den vielen Balladen-Anthologien, die auf dem Markt sind. Es gibt auch wunderbar illustrierte darunter. Meine fünf Anthologien sind:

Das vor Weihnachten 2013 erschienene Insel-Bändchen „Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo“, hg. v. Matthias Reiner, das durch die wuchtigen Illustrationen von Burkhard Nele hervorsticht. Es bietet nur die wichtigsten Balladen.

Eine extrem umfassende Anthologie hingegen ist „Deutsche Balladen. Gedichte, die dramatische Geschichten erzählen“ aus dem Hanser-Verlag, hg. v. Wulf Segebrecht, 2012 erschienen. Die Sammlung beginnt in der unmittelbaren Gegenwart mit Songs, Slam-Texten und allem möglichem anderen, das noch als Ballade durchgehen könnte, und arbeitet sich dann Schritt für Schritt in die Vergangenheit durch, bis man auf Seite 775 im 15. Jahrhundert endet. Originelle Idee.

2009 erschien „Das große Balladenbuch. Die schönsten deutschen Balladen, gesammelt von Christian Strich. Mit vielen Bildern von Tajana Hauptmann“ bei Diogenes. Wer, wie ich, Tatjana Hauptmanns Märchenillustrationen liebt, wird auch diesen Band genießen.

Eine nette Sammlung gibt es auch in der Manesse-Bibliothek der Weltliteratur: „Deutsche Balladen. Volks- und Kunstballaden, Bänkelsang, Moritaten“, erschienen 1993. Ein sehr informatives Nachwort schrieb Herausgeber Hans Peter Treichler.

Der „Grundstein“ zu meiner Balladen-Begeisterung war die 1978 im Athenäum-Verlag erschienene umfangreiche Sammlung „Das große deutsche Balladenbuch“, hg. v. Beate Pinkerneil. Das gibt es nur noch antiquarisch. Es ist ein Gegenstück zu Carl Otto Conradys legendärer riesiger Gedichtanthologie „Das große deutsche Gedichtbuch“.

Der Reclam-Verlag hat für Oktober eine von Brigitte Kronauer herausgegebene Balladen-Anthologie angekündigt, die in der schönen Reihe “Reclam Bibliothek” erscheint. Man sieht: Die Ballade lebt!



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