Bald Kopftücher für Lehrerinnen erlaubt?

Kopftuchstreit

Foto: Dierk Andresen (CC-BY-SA-3.0)

Derzeit fin­den in Niedersachsen Gespräche zwi­schen der rot-grünen Landesregierung und mus­li­mi­schen Verbänden über einen Staatsvertrag nach Hamburger und Bremischem Muster statt. Seitens ortho­do­xer isla­mi­scher Verbände, Lehrerinnen und Wissenschaftler wer­den diese Verhandlungen genutzt, um auch einen Vorstoß zur Beseitigung des Kopftuchverbots für Lehrerinnen an öffent­li­chen Schulen zu unter­neh­men.

Ihr Vorbringen: Muslimische Lehrerinnen in Niedersachsen, die ein Kopftuch tra­gen woll­ten, wür­den “dis­kri­mi­niert”. Behauptet wird, dass kopf­tuch­t­ra­gende Lehrerinnen nicht ein­mal für den isla­mi­schen Religionsunterricht ein­ge­stellt wür­den.

Die zustän­dige Ministerin Heiligenstadt (SPD) hat unter­des­sen bestä­tigt, dass auch eine neue Kopftuch-Regelung Gesprächsgegenstand im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag sei.

Niedersachsen: Kopftuchtragende isla­mi­sche Religionslehrerinnen feh­len

Rauf Ceylan, Wissenschaftler am Institut für isla­mi­sche Theologie der Universität Osnabrück for­dert, wie die TAZ gemel­det hat, die Aufhebung des Kopftuchverbots, da sonst nicht sämt­li­che Studienplätze für isla­mi­sche Theologie besetzt wer­den könn­ten. Der Grund: Frauen, die aus Über­zeu­gung ein Kopftuch tra­gen woll­ten, schrie­ben sich jedoch gar nicht erst für den Studiengang Islamische Religion ein.

Orthodoxe Muslime wol­len Neutralitätsgebot lahm­le­gen

Annett Abdelrahman, Mitglied im mus­li­mi­schen Verband Schura (Niedersachsen) und an den Verhandlungen betei­ligt sowie Kopftuchträgerin, wirbt mas­siv für ihre ideo­lo­gi­sche Linie, dass das Kopftuchverbot weg müsse und äußert ein befremd­li­ches Verständnis des­sen, was die Neutralitätspflicht des Staates im Schulwesen angeht: “Neutralität bedeu­tet, dass ich alles zulasse, das Kreuz an der Halskette ebenso wie das Kopftuch oder die jüdi­sche Kippa.” Mit die­ser Auffassung, die in der Schule auf Abgrenzung und Ausgrenzung setzt, wird offen­sicht­lich ver­sucht, Bündnispartner zu gewin­nen.

Orthodoxer Islamunterricht erfor­dert ortho­doxe LehrerInnen

Die ortho­do­xen Islamvereinigungen haben offen­bar Probleme – so jeden­falls sind die Äuße­run­gen von Rauf Ceylan zu ver­ste­hen – den isla­mi­schen Religionsunterricht mit ent­spre­chend religiös-orthodoxen Personen bestü­cken zu kön­nen. Das ist der Kern der Problematik und nicht eine angeb­li­che Diskriminierung von Religionslehrerinnen. Zu dem von ortho­do­xen Verbänden aus­ge­han­del­ten ortho­do­xen Inhalt isla­mi­schen Religionsunterrichts wer­den eben die ideo­lo­gisch kor­rekt aus­ge­rich­te­ten ortho­do­xen Lehrkräfte benö­tigt.

Apropos Diskriminierung: ist jemals von ortho­do­xen Muslimen, von kopf­tuch­be­ja­hen­den mus­li­mi­schen Frauen, auch nur ein Wort etwa gegen die Diskriminierung der Rechtsanwältinnen im Gaza-Streifen geäu­ßert wor­den, die seit September 2009 nur noch dann ihren Beruf aus­üben dür­fen, wenn sie ein Kopftuch vor Gericht tra­gen?

Natürlich nicht. Denn es geht weder um Diskriminierung durch Zwang zum Tragen eines Kopftuches noch um eine “Selbstbestimmung” der Frauen, wie aus Propagandazwecken bis­wei­len von ortho­do­xer Seite vor­ge­tra­gen wird.

“Diskriminierung” und “Selbstbestimmung” als Propaganda-Begriffe

Dass es bezüg­lich des Zwangs im Gaza-Streifen kei­nen Protest gibt, liegt auch nicht daran, dass der Gaza-Streifen weit weg von Deutschland ist, son­dern daran, dass es den orthodox-muslimischen Kräften in Deutschland aus­schließ­lich darum geht, ihre ideo­lo­gi­schen Positionen ohne Wenn und Aber durch­zu­set­zen und hier­für die Argumentationsmöglichkeiten und recht­li­chen Regelungen einer “offe­nen Gesellschaft” für sich aus­zu­nut­zen.

Angesichts der auf eine Islamisierung gerich­te­ten Entwicklungen in der Türkei, die im Zusammenhang mit der Gezi-Park-Rebellion in das Bewusstsein einer brei­ten Öffent­lich­keit gelangt ist, sollte kei­nes­wegs über­se­hen wer­den, dass in den an der Aushandlung von Staatsverträgen in Deutschland betei­lig­ten Vereinigungen auch sol­che Kräfte am Werk sind, die den ideo­lo­gi­schen Vorgaben aus der Erdogan-AKP-Orthodoxie nur zu gern fol­gen, wenn nicht sogar von einer Steuerung durch die mitt­ler­weile gleich­ge­schal­tete Religionsbehörde in der Türkei aus­zu­ge­hen ist.

Niedersachsen: Kopftuch im Religionsunterricht schon jetzt erlaubt

Bemerkenswert ist aber auch, wor­über eigent­lich in Niedersachsen ver­han­delt wer­den soll. Denn nach dem nds. Schulgesetz ist es ohne­hin erlaubt, im Religionsunterricht Kopftuch zu tra­gen. Paragraf 127 Abs. 2 des gel­ten­den nds. Schulgesetzes legt fest: “Bei der Erteilung von Religionsunterricht dür­fen Lehrkräfte in ihrem Erscheinungsbild ihre reli­giöse Über­zeu­gung aus­drü­cken.”

Untersagt ist das, dar­un­ter auch das Tragen von Kopftüchern, ledig­lich außer­halb des Schulraumes, in dem der Religionsunterricht statt­fin­det, und bei Unterricht in ande­ren Fächern. Es geht den ortho­do­xen Verbänden somit um das stän­dige Tragen eines Kopftuches in der Schule auch außer­halb des Religionsunterrichts und damit um die unun­ter­bro­chene Zurschaustellung einer bestimm­ten reli­giö­sen Auffassung.

Negative Auswirkungen auf Schulkinder: für reli­giöse Hardliner kein Thema

Was von den inter­es­sier­ten Verbänden über­haupt nicht the­ma­ti­siert wird: Welche nega­ti­ven Auswirkungen hat das von ihnen gewollte stän­dige demons­tra­tive Tragen reli­giö­ser Symbole, das unun­ter­bro­chene Ablegen des Bekenntnisses einer reli­giö­sen Andersartigkeit, auf die Schulkinder? Eine sol­che Frage stellt sich frei­lich für reli­giöse Hardliner nicht, denn ihnen geht es nicht um das Wohl der Menschen, son­dern aus­schließ­lich um die Befolgung der kor­rek­ten Heilslehre, die Befolgung der vor­ge­schrie­be­nen Rituale.

Zur Erinnerung: Entscheidung des nds. OVG von 2002

Den in Niedersachsen an den Gesprächen betei­lig­ten Kräften, vor allem aber der rot-grünen Landesregierung und den Koalitionsparteien sei in´s Stammbuch geschrie­ben, was das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in sei­nem Urteil vom 13. März 2002 (Az. 2 LB 2171/01) aus­ge­führt hat, in dem es um das stän­dige Tragen eines Kopftuchs sei­tens einer Lehrerin in der Schule ging.

Das OVG hat 2002 u.a. aus­ge­führt: “…Die Intensität der Einflussnahme auf die Kinder ist nicht nur gering zu ver­an­schla­gen und des­halb auch nicht zu ver­nach­läs­si­gen. Die Lehrerin wirbt mit dem Kopftuch dau­er­haft für ihre Religion, ohne dass ins­be­son­dere kleine Kinder damit ver­stän­dig umge­hen kön­nen. Schülerinnen und Schüler unte­rer Schulklassen haben noch nicht gefes­tigte Anschauungen und sind einer Einflussnahme daher beson­ders zugäng­lich. Die Kinder sehen in der Lehrerin zudem eine mit staat­li­cher (hier: schu­li­scher) Autorität ver­se­hene Person. Vorwiegend in den unte­ren Schuljahren übt die Lehrerin als Bezugsperson, zu der oft eine elter­n­ähn­li­che Beziehung auf­ge­baut wird, einen gro­ßen Einfluss auf das Verhalten der Schülerinnen und Schüler aus. Die Schülerinnen und Schüler neh­men durch das Kopftuch eine ein­zelne Religion als durch die Institution Schule ver­kör­pert wahr. Die Schülerinnen und Schüler wer­den durch eine Person mit Vorbildfunktion und Autorität mit nur einer Religion stän­dig kon­fron­tiert und beschäf­ti­gen sich damit…”

Innermuslimische Missionierung und Diskriminierung

Weiterhin hat das OVG bereits sei­ner­zeit auf einen wesent­li­chen Gesichtspunkt hin­ge­wie­sen, der bis­lang in der öffent­li­chen Debatte kaum beach­tet wor­den ist, ande­rer­seits aber ange­sichts des Vormarsches einen ortho­do­xen Islam im Schulwesen große Bedeutung gewin­nen wird.

Nochmals das OVG 2002: “Die Tatsache, dass in eini­gen Städten viele mus­li­mi­sche Frauen mit Kopftuch im öffent­li­chen Leben zu sehen sind, gibt für die Lösung der grund­recht­li­chen Kollisionslage in der Schule nichts her. Wenn Kinder den Anblick des Kopftuches gewöhnt sind, wis­sen sie umso eher um des­sen reli­giöse Bedeutung. Anders als im pri­va­ten Bereich, sind sie in der Schule über­dies mit dem Lehrer als Vorbild einer ganz ande­ren Situation aus­ge­setzt. Es führt auch nicht wei­ter, wenn behaup­tet wird, die Klägerin könne in bestimm­ten Situationen mus­li­mi­schen Mädchen hel­fen. Das mag so sein. Umgekehrt besteht aber … auch die Gefahr, dass Kinder aus einem mus­li­mi­schen Elternhaus mit einem ande­ren Verständnis von reli­giö­sen Gewohnheiten in der Schule in eine Konfliktsituation gera­ten…”

Denn mit dem per­ma­nen­ten Tragen eines Kopftuches – zumal von einer Religionslehrerin – wird mus­li­mi­schen Kindern sug­ge­riert, dass eine sol­che Handhabung den “wah­ren” Islam ver­kör­pere, und damit wird das elter­li­che Verständnis von einem Islam, der das Kopftuchtragen für unbe­acht­lich oder ver­al­tet hält, ten­den­zi­ell als “unis­la­misch” dif­fa­miert. Kinder und Eltern haben aber auf­grund des Neutralitätsgebots Anspruch dar­auf, mit der­ar­ti­gem in der Schule nicht kon­fron­tiert zu wer­den. Auch mus­li­mi­sche Kinder haben ein Anrecht, von den Anhängern eines ortho­do­xen Islams in der Schule nicht mis­sio­niert zu wer­den.

Und zum Neutralitätsgebot hat das OVG Ausführungen gemacht, die dem Verständnis der Frau Annett Abdelrahman vom Schura-Verband völ­lig ent­ge­gen­ge­setzt sind: “Das Neutralitätsgebot bezweckt in der Schule auch, den Eindruck zu ver­mei­den, eine Religion sei prä­sen­ter als andere und werde womög­lich ‘offi­zi­ell’ bevor­zugt. Auf die ‘Gesamtpersönlichkeit’ der Lehrerin ist zur Bestimmung der Wirkung ihrer Bekleidung nicht abzu­stel­len. Denn einen das Neutralitätsgebot miss­ach­ten­den Einfluss erzielt das Kopftuch auch, wenn des­sen Trägerin ver­sucht, die reli­giöse Wirkung abzu­schwä­chen, und durch ihr Verhalten die Gewähr dafür bie­tet, nicht zu mis­sio­nie­ren und zu indok­tri­nie­ren. Eine Lehrerin kann durch ihre Persönlichkeit nicht ver­hin­dern, dass in den Augen der Kinder dau­er­haft und unaus­weich­lich ein reli­giö­ses Zeichen in die Schule getra­gen wird…”

Religiöse Neutralität in der Schule – Keine Betonung des Anderseins und der Ausgrenzung

Dass es übri­gens nicht um “Islamfeindliches” bei Ablehnung des Kopftuchs von Lehrerinnen geht, wie die Verbandsseite behaup­ten wird, zeigt sich schon daran, dass die Thematik reli­giö­ser Bekleidung von Lehrern – schon vor der Kopftuchdebatte – von Bedeutung gewe­sen ist. Seinerzeit ging es um das uni­for­mierte Auftreten von Lehrern und Lehrerinnen, die sich zur Bhagwan-Ideologie bekann­ten. Damals wies bei­spiels­weise das Hanseatische Oberlandesgericht (Hamburg) dar­auf hin, dass durch das Tragen der auf­fäl­li­gen Kleidung die (min­der­jäh­ri­gen) Schüler ver­an­lasst wür­den, sich näher mit die­sem Lehrer zu befas­sen. Dadurch werde zum einen der Schulfriede gestört zum ande­ren bestehe die Gefahr der wer­ben­den Information über diese Sekte.

Aber dies wird die ortho­do­xen Verbände kaum beein­flus­sen, bleibt also nur der Weg, ihnen keine Zugeständnisse zu machen.

Die Gespräche in Niedersachsen über einen Staatsvertrag mit mus­li­mi­schen Verbänden soll­ten genau beob­ach­tet wer­den; hier wird sich zei­gen, was als wesent­lich bewer­tet wird: ob (noch) das Wohl der Kinder in einer reli­giös und welt­an­schau­lich neu­tra­len Schule an ers­ter Stelle steht oder die Begehrlichkeiten eines ortho­do­xen Islam vor­ran­gig sind.

Es gibt eine Verpflichtung des Staates zur reli­giö­sen Neutralität in der Schule, eine Verpflichtung dazu, ortho­do­xen Islam zu för­dern, gibt es jedoch nicht. Eine sol­che Förderung wider­sprä­che dem Neutralitätsgebot in jeder Hinsicht. Die ver­ant­wort­li­chen poli­ti­schen Kräfte in Niedersachsen tun gut daran, dies bei den Verhandlungen über den Staatsvertrag mit Muslimen zu beach­ten.


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