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Kirchen denken ein wenig anders – und das müssen sie sicherlich auch in vielen Fragen. Nur schwierig wird dies andere Denken insbesondere dann, wenn sie in Konkurrenz zu nichtkirchlichen Institutionen treten und dort Sonderrechte beanspruchen. Oder wenn sie nicht in ihrem Kernbereich tätig werden, sondern durchaus so „profan“ wie alle anderen auch.
Besonders deutlich wird dies, wenn die Kirchen (oder von ihnen getragene Unternehmen) Arbeitgeber sind: gelten dann für sie Sonderrechte, d.h., müssen sich die Arbeitnehmer anderen Zwängen unterwerfen als ihre vergleichbaren Kollegen bei nichtkirchlichen Arbeitgebern? Eine immer wieder umfänglich diskutierte Frage.
Zu dieser äusserte sich im letzten Jahr auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil am 23.09.2010 (Beschwerde-Nr. 1620/03): es ging um einen Organisten und Chorleiter, der schon seit 19 Jahren im Dienst der katholischen Kirche stand.
Als sich dieser Mann von seiner Ehefrau trennte und eine außereheliche Beziehung einging, kündigte ihm die Kirchenleitung, und zwar sozusagen „Knall auf Fall“ ohne vorherige Abmahnung: sein Verhalten sei im Sinne der katholischen Lehre Ehebruch und Bigamie. Dies verstosse gegen die Grundordnung der katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst und könne nicht geduldet werden.
Der Organist wehrte sich gegen diese Kündigung zunächst vor den deutschen Arbeitsgerichten. Dort allerdings wurde er abgewiesen, die Kündigung der Kirche ihm gegenüber sei gerechtfertigt. Aber aufgeben wollte er nicht, und so wandte er sich zunächst an das Bundesverfassungsgericht – welches ihn ebenfalls abwies und sich zur Begründung auf seine eigene Grundsatzentscheidung bzgl. der zusätzlichen Rechte der kirchlichen Arbeitgeber bezog.
Doch im Zeitalter der Europäisierung blieb dem Organisten noch der Weg zum EGMR – und dort bekam er Recht: die Kündigung sei rechtswidrig und damit unwirksam, denn sie verletze sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK. Weder der Arbeitgeber noch die deutschen Gerichte hätte sorgfältig genug abgewogen zwischen diesem und den Rechten des kirchlichen Arbeitgebers. Auch wenn der Arbeitnehmer sich vertraglich verpflichtet habe, die Grundsätze der katholischen Kirche zu beachten, so sei dies kein „eindeutiges Versprechen“ , im Fall einer Trennung oder Scheidung von seiner Ehefrau ein enthaltsames Leben zu führen. EGMR korrigiert deutsche Rechtsprechung zur Kündigung von Kirchenmitarbeitern | beck-community.
Nach dieser Entscheidung auf europäischer Ebene war nun vor kurzem das Bundesarbeitsgericht wieder am Zug; in einem Urteil am 8. September 2011 (Aktenzeichen 2 AZR 543/10) erklärte es die Kündigung des Chefarztes einer katholischen Klinik wegen seiner Wiederverheiratung für unwirksam.
Zunächst allerdings betonte das BAG, dass die Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen das verfassungsmäßige Recht besitzen, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. Als Loyalitätsverstoß komme insoweit auch der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe in Betracht.
Allerdings könne nun nicht jeder Loyalitätsverstoss auch gleich eine Kündigung rechtfertigen, er müsse schon ein hinreichend schweres Gewicht haben.
So ging das BAG in die Einzelfallprüfung – und kam dabei zu durchaus erwähnenswerten Ergebnissen: der hier gegen seine Kündigung klagende Chefarzt hatte sich zwar tatsächlich vertraglich verpflichtet, die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anzuerkennen. Und er hatte auch tatsächlich seine Ehe durch Scheidung beendet und eine neue Ehe – standesamtlich – begründet, nachdem er mit seiner nunmehrigen Ehefrau zunächst einige Jahre unverheiratet zusammen gelebt hatte. Aber, so das Gericht wörtlich: „Die Beklagte (also die Kirche) beschäftigt auch nicht katholische, wiederverheiratete Chefärzte.“
Schon Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten der Klage stattgegeben, und auch das Bundesarbeitsgericht bestätigte nun die Nichtigkeit der Kündigung, wobei es sich insbesondere bezog auf die Beschäftigung anderer wiederverheirateter Chefärzte: denn obwohl sich der Arbeitnehmer einen recht beträchtlichen Loyalitätsverstoß vorwerfen lassen müsse, so sei in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, dass die Kirche selbst „sowohl in ihrer Grundordnung als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichtet“, so das BAG wörtlich. Oder, um es mal ein bisschen ironisch zu sagen: Die Kirche verhalte sich ja auch in vergleichbaren Fällen nicht „päpstlicher als der Papst“. Diese zeige sich, so das BAG, sowohl an der Beschäftigung nichtkatholischer, wiederverheirateter Ärzte als auch an der Hinnahme des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft von 2006 bis 2008.
In einer solchen Konstallation könne die Kirche nun nicht plötzlich hingehen und die standesamtliche Wiederverheiratung des Arbeitnehmers – also ein rechtlich völlig einwandfreies Verhalten – zur Begründung einer Kündigung heranziehen. Zu Gunsten des Arbeitnehmers käme im entschiedenen Fall noch hinzu, dass die Wiederverheiratung dem Wunsch des Chefarztes und seiner jetzigen Ehefrau folge, in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammen zu leben. Bei diesem Wunsch handele es sich um einen, der ebenfalls grundrechtlich geschützt sei.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2011 – 2 AZR 543/10 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 1. Juli 2010 – 5 Sa 996/09 -
Bundesarbeitsgericht
Mit dieser Entscheidung schliesst sich das Bundesarbeitsgericht nunmehr ausdrücklich der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an: man achtet auch weiterhin die Sonderstellung der Kirchen in Bezug auf ihre Glaubens- und Sittenlehre, man verlangt aber einen deutlich sorgfältigeren Abwägungsprozess von dem kirchlichen Arbeitgeber bei so einschneidenden Massnahmen wie einer Kündigung, und insbesondere verlangt man von ihm eine stärkere Beachtung der ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechtspositionen des betroffenen Arbeitnehmers.
Konkret auf den Fall der Wiederverheiratung bezogen dürfte es insbesondere der katholischen Kirche zukünftig schwerfallen, eine Kündigung mit einer Wiederverheiratung zu begründen. Anders wäre die Frage vielleicht zu beantworten, wenn ein hoher kirchlicher Würdenträger entgegen der geltenden Lehre sich erneut verheiratet. Dies hatte der EGMR in Bezug auf einen Mormonen so gesehen: die Argumente für die Rechtmässigkeit der dortigen Kündigung waren, dass der Ehebruch in der dortigen Lehre einen noch wesentlich höheren Unrechtsgehalt hat und der dort gekündigte Arbeitnehmer eine herausragende Stellung innerhalb der Gemeinschaft mit erheblicher Aussenwirkung hatte: eine Konstellation also, die bei der derzeit herrschenden Sittenlehre der katholischen Kirche ja nicht vorkommen dürfte…