Boni – Klage über € 64.000
In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren mit nicht unerheblichen Streitwert (€ 64.000) klagte der Arbeitnehmer Bonizahlungen von der Arbeitgeberin ein. Er verlor das Verfahren der 1. Instanz vor dem Arbeitsgericht.
Berufung vor dem Landesarbeitsgericht
Daraufhin legte der Arbeitnehmer, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, beim Landesarbeitsgericht Berufung ein. Er beantragte danach die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, die gewährt wurde.
Berufungsbegründung per Fax mit Faksimile-Stempel anstatt Unterschrift
Sodann schickte der Rechtsanwalt des Klägers die Berufungsbegründung – noch innerhalb der Frist – per Fax an das Landesarbeitsgericht. Allerdings war das Fax nicht eigenhändig unterschrieben, sondern enthielt – an Stelle der Unterschrift- nur einen Unterschriftenstempel (Faksimile-Stempel) des Anwalts.
LAG ging von rechtzeitiger Berufungsbegründung aus
Das Berufungsgericht (LAG) sah dies (fehlende eigenhändige Unterschrift unter der Berufungsbegründung) nicht als problematisch an.
Landesarbeitsgericht gab der Berufung teilweise Erfolg
Mit Urteil vom 14. Dezember 2016 hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte /Arbeitgeberin unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung auf den Hilfsantrag verurteilt, dem Kläger für das Geschäftsjahr 2010 weitere 660,00 Euro und für die Geschäftsjahre 2011 und 2012 Forderungen in Höhe von 25.973,44 Euro und 7.183,13 Euro zu zahlen. Die Revision wurde zugelassen.
Revision zum Bundesarbeitsgericht
Beide Parteien legten Revision zum BAG ein. Das Bundesarbeitsgericht gab der Revision der Arbeitgeberin statt und wies die Revision des Arbeitnehmers vollumfänglich zurück.
Bundesarbeitsgericht hält Berufung des Arbeitnehmers für unzulässig und damit Revision für erfolglos
Die Revision des Arbeitnehmers wies das BAG ab, da dieser die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten hatte, was vom BAG von Amts wegen zur berücksichtigen ist.
Begründung des Bundesarbeitsgerichts
Dazu führt das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 24.10.2018, 10 AZR 278/17):
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Berufung des Klägers mit dem innerhalb der bis zum 9. Februar 2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist als Telekopie eingegangenen Schriftsatz vom 9. Februar 2016 ordnungsgemäß iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO begründet wurde. Der Schriftsatz genügte nicht den Anforderungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO.
Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BAG 23. August 2017 – 10 AZR 136/17 – Rn. 13). War die Berufung des Klägers unzulässig, ist auf die Revision des Beklagten eine gleichwohl zu seinen Lasten ergangene Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung als unzulässig zu verwerfen (st. Rspr., vgl. etwa BAG 26. April 2017 – 10 AZR 275/16 – Rn. 10).
Die Berufung des Klägers ist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig (§ 520 ZPO). Der innerhalb der bis zum 9. Februar 2016 verlängerten Begründungsfrist als Telekopie eingegangene Schriftsatz vom 9. Februar 2016 ist nicht von der ihn verantwortenden Person unterschrieben. Die in der vom Gericht erstellten Kopie des Schriftsatzes wiedergegebene faksimilierte Unterschrift des Rechtsanwalts Dr. P genügt nicht dem für bestimmende Schriftsätze zwingenden und unverzichtbaren Formerfordernis des § 130 Nr. 6 ZPO. Der Mangel konnte nicht nach § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Einlassung geheilt werden.
Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist die Berufungsbegründung, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Für diesen gelten nach § 520 Abs. 5 ZPO die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze.
Als bestimmender Schriftsatz muss die Berufungsbegründung von einem beim Landesarbeitsgericht nach § 11 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 und Satz 4 ArbGG vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und eigenhändig unterschrieben sein, § 130 Nr. 6 ZPO (vgl. BAG 5. August 2009 – 10 AZR 692/08 – Rn. 17; BGH 30. Januar 2018 – II ZR 238/16 – Rn. 9). Eine solche Unterschrift stellt sicher, dass der Unterzeichner die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernimmt (BGH 27. Februar 2018 – XI ZR 452/16 – Rn. 16). Bei der Übermittlung eines Schriftsatzes durch einen Telefaxdienst tritt an die Stelle der grundsätzlich zwingenden Unterschrift auf der Urkunde die Wiedergabe dieser Unterschrift in der bei Gericht erstellten Kopie (vgl. BAG 5. August 2009 – 10 AZR 692/08 – Rn. 21). Die Prüfung der für eine Unterschrift erforderlichen Merkmale kann vom Revisionsgericht selbständig vorgenommen werden (BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 849/13 – Rn. 17, BAGE 151, 66).
Die auf der Telekopie wiedergegebene faksimilierte Unterschrift unter dem Schriftsatz vom 9. Februar 2016 entspricht diesen Anforderungen nicht. Ein Unterschriftsstempel ist keine eigenhändige Unterschrift der den Schriftsatz verantwortenden Person iSv. § 130 Nr. 6 ZPO (so bereits mit ausführlicher Begründung BAG 5. August 2009 – 10 AZR 692/08 – Rn. 18 ff.; vgl. auch BGH 18. März 2015 – XII ZB 424/14 – Rn. 15; 26. Oktober 2015 – AnwZ (Brfg) 25/15 – Rn. 20).
Das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift kann ausnahmsweise unschädlich sein, wenn – ohne Beweisaufnahme – aufgrund anderer Umstände zweifelsfrei feststeht, dass es sich bei dem Schriftsatz nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernimmt und diesen auch bei Gericht einreichen will (vgl. BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 849/13 – Rn. 22, BAGE 151, 66; BGH 26. März 2012 – II ZB 23/11 – Rn. 9).
Anders als eine leer gebliebene Unterschriftszeile, die auf ein Versehen zurückzuführen sein kann (vgl. BGH 4. Oktober 1984 – VII ZR 342/83 – zu 1 c bb der Gründe, BGHZ 92, 251), erlaubt das Vorhandensein eines faksimilierten Signums unter einem Schriftsatz regelmäßig den Schluss, dass derjenige, mit dessen Namenszug der dem Gericht zugeleitete Schriftsatz gestempelt wurde, bei der Fertigstellung und Absendung des Schriftsatzes nicht anwesend war. Die Annahme, er habe gleichwohl die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen und diesen auch bei Gericht einreichen wollen, liegt daher in einem solchen Fall fern. Umstände, die im Streitfall darauf schließen lassen, dass der als Telekopie eingegangene Schriftsatz vom 9. Februar 2016 gleichwohl von dem klägerischen Prozessbevollmächtigten verantwortet und mit dessen Wissen und Willen dem Landesarbeitsgericht zugeleitet wurde, sind nicht gegeben.
Schon aufgrund der durch den Stempel hervorgerufenen Abwesenheitsvermutung bieten weder die Verwendung des Briefbogens seiner Kanzlei noch die maschinenschriftliche Wiedergabe seines Namens am Ende des Schriftsatzes eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Auch dessen Wille, am 9. Februar 2016 durch einen Telefaxdienst eine Berufungsbegründung in den Rechtsverkehr zu bringen, ist daher nicht zu erkennen (zu der Unterzeichnung mit einer unleserlichen „Linienführung“ BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 849/13 – Rn. 23, BAGE 151, 66).
Der Schriftsatz ist dem Landesarbeitsgericht nicht zusammen mit einem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterschriebenen Begleitschreiben übermittelt worden. Innerhalb der Berufungsbegründungsfrist sind auch keine Abschriften des Schriftsatzes beim Landesarbeitsgericht eingereicht worden, die mit einer Unterschrift oder zumindest mit einem handschriftlich vollzogenen Beglaubigungsvermerk des Prozessbevollmächtigten versehen waren. Selbst das am 15. Februar 2016 als Briefpost eingegangene Original des Schriftsatzes trägt anstelle der Unterschrift allein den faksimilierten Schriftzug „Dr. P“.
Das auf Seite 1 des Schriftsatzes abgedruckte Kürzel „pü-jk“ neben dem kanzleiinternen Aktenzeichen erlaubt schon deshalb keinen sicheren Rückschluss darauf, dass Rechtsanwalt Dr. P ihn sowohl inhaltlich verantwortet hat als auch in den Rechtsverkehr bringen wollte, weil er erstinstanzlich auch – von ihm unterschriebene – Schriftsätze mit dem Diktatzeichen „mpü-pü-jk“ bei Gericht eingereicht hat.
Die mangelhafte Form der Berufungsbegründung konnte nicht durch rügelose Einlassung der Beklagten geheilt werden (§ 295 Abs. 2 ZPO). Unabhängig davon, ob die Beklagte Kenntnis von der Fristversäumung hatte – was offenbar durch die Verwendung des Faksimile-Stempels verhindert werden sollte -, sind die Vorschriften über die Zulässigkeit von Rechtsmittelschriften, namentlich die Wahrung von Rechtsmittelfristen, grundsätzlich einer Heilung unzugänglich (vgl. BGH 30. Januar 2018 – II ZR 238/16 – Rn. 12 mwN). Auf ihre Befolgung kann nicht durch rügeloses Verhandeln in Kenntnis des Mangels verzichtet werden.
Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen dienen der Rechtssicherheit, dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege und nicht zuletzt dem Schutz der anderen Partei (BVerfG 18. April 2007 – 1 BvR 110/07 – Rn. 22, BVerfGK 11, 48; für die Berufungsfrist BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 849/13 – Rn. 28, BAGE 151, 66). Auch bei Rechtsmittelbegründungsfristen kann es nicht der Gegenpartei überlassen werden, ob Mängel, mögen sie die Form der Rechtsmittelbegründungsschrift, ihren vorgeschriebenen Inhalt oder sonstige Voraussetzungen der Fristwahrung betreffen, zu berücksichtigen sind (BGH 30. Januar 2018 – II ZR 238/16 – Rn. 12 mwN). Das gilt insbesondere für die Unterschrift oder deren Wiedergabe auf der bei Gericht erstellten Kopie als nach § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO zwingende Wirksamkeitserfordernisse einer formgültigen Berufungsbegründung (BGH 30. Januar 2018 – II ZR 238/16 – aaO).
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Berlin Marzahn-Hellersdorf