Gebadet wurde zuhause am Sonntag Nachmittag.
Papa feuerte den Bollerofen in dem kleinen Zimmer neben der Küche an und machte dort richtig warm. Mama füllte die größten Töpfe bis zum Rand mit Wasser und stellte sie auf den Herd.
In einer Ecke des kleinen Zimmers stand die Badewanne. Eine Zinkwanne. Bestimmt das gleiche Model wie es Millionen andere Menschen zuhause hatten.
Heute sieht man diese Zinkwannen noch in Gärten. Die Menschen füllen sie mit Erde und machen schöne Blumenbeete daraus. Aber vor 35 Jahren, als ich ein Kind war, kam keiner auf die Idee, in diesen Wannen Blumen zu pflanzen.
Papa schob die Wanne in die Mitte des Zimmers. Dann ging er hinaus ins Treppenhaus. Neben unserer Wohnungstür war ein Ausgussbecken. So ein emailliertes. Dort ließ er Eimer mit Wasser voll laufen. Viele Eimer. Mit kaltem Wasser. Es gab nur kaltes Wasser. Und im Winter war es so kalt, dass sich die Finger nach zehn Sekunden anfühlten, als frören sie schlagartig ab.
Papa schleppte die Eimer die zwei Zimmer zur Wanne und schüttete sie hinein. Und dann kam Mama mit dem heißem Wasser und brachte die Wanne auf Temperatur.
Als erstes war ich an der Reihe. Dann meine große Schwester. Wir wurden im gleichen Wasser gebadet. Es wäre viel zu aufwendig gewesen, für jeden von uns frisches Wasser ›einzulassen‹.
Länger in der Wanne plantschen durften nur wir Kinder. Für Mama war es ganz schön aufwendig, das Wasser auf Temperatur zu halten. Immer wieder schüttete sie kochendes Wasser in die Wanne. Und während wir im warmen Naß plantschten und spielten musste sie weiter Wasser kochen. Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Minuten durften wir baden. Dann war der Spaß wieder vorbei.
Nach dem Baden wurden wir in dicke Handtücher gewickelt. Und so saßen wir dann auf der Couch, aßen eine Kleinigkeit und schauten »Rauchende Colts«, »Bonanza« oder »Dick und Doof«.
Nach uns badeten erst Papa und dann Mama. Natürlich in dem Wasser, in dem zuvor wir Kinder gebadet wurden. Für meine Eltern war Baden reine Körperpflege. In die Wanne steigen, gründliche waschen und wieder raus. Lange, ausgiebige Bäder gab es zuhause eben nur für uns Kinder.
Am Ende leerte Papa die Wanne mit Eimern. Und schob sie wieder in die Ecke. Wo sie auf ihren nächsten Einsatz wartete.
An einigen Wochenenden und in den Ferien war ich oft bei Oma und Opa im Nachbarort.
Oma und Opa hatten im Keller eine Waschküche. Dort stand an einem festen Platz auch so eine Zinkwanne. Auf der anderen Seite des Raums war ein Badeofen. Ein gemauerter Ofen auf dem ein riesiger Bottich stand. In dem ließ sich genug Wasser für eine Großfamilie erwärmen.
Hinten in der Ecke stand die Waschmaschine. Die musste noch aus den Dreißigern sein. Ein großer Waschzuber auf Stelzen. Und in der Mitte setzte man so ein Kreuz ein. Das hat die Wäsche im Wasser geschüttelt. Links, rechts, links, rechts. Und die Maschine machte einen Lärm!
Die Waschküche wurde von allen Bewohnen des Hauses genutzt jeder hatte seinen Waschtag. Oma und Opa mussten also Wanne und Waschmaschine mit allen Bewohnen des Hauses teilen. Ihr Waschtag war der Freitag.
Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Freitage.
Oma hatte schon den ganzen Vormittag Wäsche gewaschen und aufgehängt. Vor dem Mittagessen feuerte Opa den Badeofen an. Nach dem Essen machte Oma die Wanne bereit.
Opa ging als Erster. Und nach dem Baden holte er eine Schüssel mit warmen Wasser und stellte sie auf den Wohnzimmertisch. Daneben seinen Rasierspiegel, Seife, Pinsel und Hobel. Opa beim Rasieren zuzuschauen hat mir gefallen. Wie er mit dem Pinsel den Schaum im Gesicht aufgeschlagen hat. Das fand ich immer faszinierend.
Während Opa sich rasierte und ich ihm dabei zuschaute, badete Oma.
Und dann durfte ich in die Wanne. Bei Oma durfte ich auch in der Wanne spielen. Aber nur ein bisschen. Für ausgiebiges Kinderbaden mit viel Spaß und Spiel hatte Oma keine Zeit. Es musste schließlich noch viel gemacht werden so lange sie die Waschküche hatte.
Es war trotzdem schön für mich. Ich habe diese Badefreitage bei Oma und Opa in sehr guter Erinnerung.
Und was gäbe ich darum, Opa nochmal beim Rasieren beobachten zu können. Und danach bei diesem Höllenlärm, den die Waschmaschine machte, von Oma gebadet zu werden.
Für meine Eltern und Großeltern waren die Badetage sicherlich alles andere als heimelig. Die ganze Familie zu baden hieß einen ganzen Nachmittag mit Vor- und Nachbereitung zu verbringen.
Immer wieder Eimer voll Wasser schleppen. Wasser kochen. Badewasser auf Temperatur halten. Allein das Leeren der Wanne beschäftigte meinen Vater eine ganze Weile. Und für Oma hieß Waschtag stress. Nur einen Tag zu haben an dem alle in die Wanne mussten und alles an Wäsche zu waschen und aufzuhängen ist, was an einem Tag nur geht.
Für mich waren diese Tage schön. Zuhause gab mir das allsonntägliche Ritual Halt und ein Gefühl von Geborgenheit. Dieses ganz besondere Gefühl von Zuhause. Sonntag. Dieser Tag machte mir immer ein ganz spezielles Gefühl im Bauch.
Und auch heute noch strahlt der Sonntag tief in mir drinnen diese Wärme aus, die ich empfand, wenn Papa den Ofen anfeuerte und wir später dick in Handtücher eingewickelt auf dem Sofa saßen und Fernsehen schauen durften.
Und auch jetzt als Erwachsener denke ich noch gern an die Badetage in meiner Kindheit zurück.
Zum Beispiel heute, als ich wie jeden Sonntag mit meiner Maus gebadet habe.