Axel Webers Bundesbank-Rücktritt entschleiert deutschen Medien-Bullshit (und zugleich die Transusigkeit der deutschen Blogosphäre)

Erstellt am 14. Februar 2011 von Cangrande
 Zeit zum Bloggen habe ich eigentlich keine.
Doch kann ich nicht schweigend abseits stehen bei dieser Kanonade von verbalem Talmi, welches die deutschen Meinungsmacher gegen Axel Weber - und damit letztendlich gegen die von ihm vertretenen geldpolitischen Prinzipien - abfeuern.
Grundsätzlich bin ich alles andere als ein Anhänger von Bundesbankpräsident Axel Weber. Doch stößt es mir sauer auf wenn ich sehe, wie sich die Reihen der deutschen Medien-Phalanx (die in der Debatte um Thilo Sarrazin außer Tritt geraten waren), sich in der Meinungsbildung gegen Prof. Dr. Axel Weber wieder festigen und wie hier große Teile der Journaille im Gleichschritt und damit, im vorliegenden Zusammenhang, zugleich gegen die überwältigende Mehrheit der deutschen Bürger marschieren (wie aus zahlreichen Leserkommentaren deutlich wird).
Einerseits ist es ausgesprochen unfair, Axel Weber für seinen Rücktritt zu kritisieren. Auch schon vor Webers eigener Erklärung seiner Rücktrittsgründe in einem Spiegel-Interview, über dessen Inhalt z. B. Christian Siedenbiedel in der FAZ u. d. T. "Der seltsame Abgang des Axel Weber" berichtet, musste jedem, der (wie z. B. ich) die einschlägigen Meldungen auch nur kursorisch verfolgt oder mitbekommen hatte, klar sein, dass Axel Weber
  1. wegen des Widerstandes zahlreicher Länder und insbesondere Frankreichs nicht die geringste Chance hatte, zum Präsident der Europäischen Zentralbank berufen zu werden und
  2. er selbst dann, wenn er Zentralbankpräsident geworden wäre, dort nicht die geringsten Aussichten gehabt hätte, seine geldpolitischen (Hardliner-)Vorstellungen durchzusetzen.
Weber hätte sich als EZB-Präsident lediglich lächerlich machen können: er hätte dann ggf. z. B. vor der Presse weitere Käufe  der EZB von Staatsanleihen begründen müssen, von denen doch jeder wusste, dass er sie radikal ablehnt.
Bei dieser Sachlage ist es relativ unwesentlich, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn (ausreichend) unterstützt hat oder nicht. Wenn dennoch genau diese Dimension in den Pressemeldungen hochgekocht und etwa von einer Brüskierung Merkels gesprochen wird usw. fragt sich der hinterfragende Leser, ob die Journalisten einfach nur dumm sind, oder ob sie ganz bewusst übernehmen, was offenbar die Darstellung der Regierungsseite ist (wobei ich gar nicht bezweifeln will, dass Frau Merkel über Webers Rückzug verägert war).
Ich bin gewiss kein Freund von Verschwörungstheorien. Was mich aber doch einigermaßen stutzig macht ist die Tatsache, dass die große Masse der Zeitungskommentatoren mehr oder weniger aus Regierungsperspektive auf Weber einprügelt. Klar hätte die Merkel den Weber gern noch ein Weilchen als Spielfigur auf dem politischen Schacherbrett gesehen. Aber warum soll sich Axel Weber das antun? Er ist doch nicht verpflichtet, seinen Kopf und Ruf als Spielball von Politmanövern hinzuhalten?
Besonders hellhörig macht es u. a., wenn gleich zwei Redakteuren ihre massive Kritik an Axel Weber u. a. mit der Behauptung begründen, Weber hätte EZB-Präsident werden können. Zumal in anderen Berichten genau das Gegenteil zu lesen ist (und, wie oben - und in dem Spiegel-Interview von Axel Weber selbst - dargelegt, eine Wahl zum Chef der Europäischen Zentralbank extrem unwahrscheinlich gewesen wäre).
Holger Steltzner ist ein FAZ-Redakteur, den ich schon früher als äußerst beharrlich kennengelernt hatte. Das freilich in einem aus meiner Sicht positiven Zusammenhang, denn seinerzeit hat er sich wieder und wieder massiv gegen den Griechenland-Bailout in die Bresche geworfen. (Wer etwa seinen Namen in meinem Blog sucht, wird eine ganze Reihe von einschlägigen Zitaten finden.) Daher war ich bass erstaunt, dass er jetzt nicht nur Salve um Salve an Kommentaren mit Kritik an Axel Weber abschoss, sondern seinen Leserinnen und Lesern sogar die Behauptung zumutet:
"Axel Weber hat selbst den Sockel zertrümmert, auf dem einmal sein Denkmal hätte stehen können. Als Präsident der Bundesbank und Verfechter deutscher Stabilitätskultur von internationalem Rang hätte er in die geldpolitischen Geschichtsbücher eingehen können. Er hätte sogar Präsident der Europäischen Zentralbank werden können." (Kommentar "Weggeworfen" vom 12.02.2011)
Das glaubt ihm freilich keiner der Leserkommentatoren; repräsentativ ist insoweit z. B. die Replik von Dr. Caspar Mendrzyk (Buergersicht) (Nr. 62):
"Es ist im ganzen Lande keine Quelle erkennbar, die die Behauptung zu stützen geeignet ist, Herr Weber habe EZB-Präsident werden können. Im Gegenteil, Herr Weber war Opponent der zu Lasten Deutschlands als Emission geplanten Eurobonds und damit Gegner der Merkel´schen Pläne. Es wäre daher ein Wunder gewesen, wenn Frau Merkel ihn nicht hätte fallen lassen"
oder von Ralf Vormbaum:
"... legte der Bundesbankchef keinen Wert mehr darauf, noch weiter den Anschein zu wahren, als würde in der EZB noch irgendeine Stabilitätspolitik vertreten. Offenbar hat der Bundesbankpräsident immer schmerzlicher erkannt, dass man als "Währungshüter" in der EZB von der Politik zunehmend auf die Rolle eines Statisten reduziert wird ... . Die Zumutungen der Politik an den Sachverstand des Währungshüters muss so enorm sein, dass am Ende wohl nur das Eingeständnis blieb, da nicht mehr mitmachen zu wollen. Dies als Fahnenflucht zu werten, ist absurd."
 Im Gegensatz zum größten Teil der Presse, jedenfalls soweit ich das in einem naturgemäß nicht repräsentativen Überblick feststellen konnte, äußern die Leser-Kommentatoren in fast allen Fällen Verständnis, häufig aber sogar volle Zustimmung, für Webers Rückzug aus dem Kandidatenrennen. "Gradlinigkeit" und "Charakterstärke" gehören zu denjenigen Schlüsselbegriffen, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen.
Äußerst merkwürdig fand ich (vgl. auch meinen Kommentar Nr. 54), dass Steltzners Beitrag den gleichen Tenor hatte wie der Kommentar "Europa braucht einen neuen Axel Weber" von Mark Schieritz auf ZEIT Online vom 10.02.11: "Axel Weber hat die Bundesregierung mit seinem Rückzug lächerlich gemacht. Er hätte EZB-Präsident werden können, wenn er gewollt hätte."
Auf der Zeit-Seit sind die Leser-Reaktionen noch weit zahlreicher als bei FAZ.Net, und auch dort glaubt kein einziger Leserkommentator, dass Weber a) überhaupt eine Chance auf die EZB-Präsidentschaft hatte und b) als EZB-Präsident (oder in Fortführung seines derzeitigen Amtes als Bundesbank-Präsident) seine Vorstellungen hätte durchsetzen können,
Einige der Zeit-Leserkommentare dringen aber noch weit tiefer in die Debatte ein.
Zum einen wird Webers Gesamtbilanz in der Finanzkrise massiv kritisiert (aus meiner Sicht zu Recht) und damit zugleich diese Seite der Schieritz-Betrachtung, die sich auch anderswo bei den Kritikern häufig findet ('der Weber ist ein ausgezeichneter Fachmann') ausgehebelt. So stellt z. B. "In Sorge" im Kommentar Nr. 24.
Sieben Fragen zu Axel Weber,
von denen mir jedenfalls die Nrn. 1-6 wichtig erscheinen (wobei ich die Richtigkeit der Frage 4 nicht beurteilen kann):
1. Wo war Axel Weber, als sein Schüler Jörg Asmussen im Interesse der Finanzgroßwirtschaft die gefährlich falsche Deregulierung der Finanzmärkte durchsetzte?
2. Wer schlief wo an welchen Hebeln der Macht, als den Machern der Deutschen Bank ermöglicht wurde, eines der größten "Hebel"räder der deregulierten Finanzwelt zu drehen und auf alle möglichen Derivate zu wetten?
3. Welche Rolle spielte Axel Weber beim Debakel um die Hypo Real Estate (HRE)? Wessen Interessen vertrat er wirklich?
4. Warum lässt er zu, dass unter dem massiven Einfluss von Josef Ackermann sein Schüler Jörg Asmussen die internationalen Bestrebungen zur massiven Erhöhung des in Banken erforderlichen Eigenkapitals bremst?
5. Warum wurden die Ergebnisse des so sanften "Stresstests" europäischer Banken bis heute immer noch nicht in vollem Umfang veröffentlicht? Unterbleibt das wegen der riesigen laufenden und zukünftig noch zu erwartenden Verluste in den Bilanzen der Finanzinstitute, die in Axel Webers Zuständigkeitsbereich fallen?
6. Warum hat auch Axel Weber einfach weggeschaut, als die Großbanken die Kredite in den Mittelmeerraum (und nach Osteuropa) so massiv ausgeweitet haben? Besonders tief geht und besonders erhellende Bedeutung hatte für mich der Kommentar Nr. 46 von peterha:"46. Wie kommt es eigentlich? dass 90% aller Leser-Kommentare zum Rückzug Webers diesen in Zusammenhang mit der Finanzkrise bringen und diesen Rücktritt mehr oder minder als ein Alarmzeichen sehen, in den Kommentaren der Presse dieser Aspekt aber so gut wie nicht thematisiert wird? Statt dessen werden Stilfragen diskutiert oder über über Webers zukünftige Karriere spekuliert?
Wer verkauft hier wen für dumm und mit wie viel Vorsatz geschieht das? Seit über zwei Jahren wird den Bürgern eine finanzpolitische Zumutung nach der anderen vor den Latz geknallt und schön geredet, die man sich vorher allenfalls auf einem Horrortrip nach einer Überdosis LSD hat vorstellen können und die Presse stilisiert den Karriereverzicht zur Stilfrage!
"
Zwar war mir schon vorher der Gleichklang zwischen Schieritz und Steltzner aufgefallen, und dass es eine unüberbrückbare Kluft gab zwischen den Meinungen (oder jedenfalls den Meinungsäußerungen, die ja nicht zwangsläufig mit der wahren Meinung identisch sein müssen) der allermeisten Redakteure und den Lageanalysen der Leserinnen und Leser. (Ganz krass tritt diese Diskrepanz u. a. auch bei Focus Online zu Tage, wo der Redakteur Clemens Schömann-Finck am 11.02.10 über "Bundesbank-Präsident Webers unwürdiger Abgang" schwafelt, während z. B. der Leser "Oberbayer" und mit ihm die weit überwiegende Zahl anderer Leser kontert: "Respekt und Anerkennungfür Herrn Weber. Er hat erkannt, dass keinerlei Möglichkeit besteht, seine Vorstellung von Stabilität der Währung durchzusetzen ist. Dies ist auf keinen Fall ein unwürdiger Abgang ")
Aber erst der o. a. Kommentar von peterha hat mir bewusst gemacht, dass man die Diskursanalyse hier in zwei Dimensionen führen kann und muss, nämlich:
1) Fallbezogen.
Insoweit fällt die große Nähe vieler Medien zur Regierungsposition auf. Eines ist es, über die Verärgerung der Regierenden zu berichten; ein anderes, sich damit zu identifizieren. Was war den verkehrt daran, dass Axel Weber zunächst seine Vorstandskollegen in der Bundesbank, und dann erst die Bundesregierung und das Kanzleramt, darüber informiert hat, dass er nicht mehr als Kandidat für die EZB-Präsidentschaft zur Verfügung steht? Genau dies sollten doch gerade jene als richtige Reihenfolge begrüßen, die noch die kleinste Geste geradezu Kremel-astrologisch darauf abklopfen, ob sie die Unabhängigkeit der BuBa gefährden könnte! Dass einer oder mehrere von seinen Vorstandskollegen dann geplappert haben, ist nicht Weber anzulasten. Aber, nicht überraschend, wird exakt dieser im Grunde ungeheuerliche Vertrauensmissbrauch natürlich von keinem einzigen journalistischen Kommentator kritisiert oder auch nur thematisiert.
2) Die andere Perspektive ist allgemeiner Art, hängt allerdings auch mit der Regierungsnähe der Meinungsmacher zusammen:
Wir haben es hier mit einer Einordnung von Vorgängen in ein Denksystem zu tun, das sich von der konkreten Problemstellung (Durchsetzbarkeit einer antiinflationären Geldpolitik, Inflationsgefahr) allzu weit entfernt und dass statt dessem die Handlungen der Akteure (unzulässig oder zumindest wenig hilfreich) abstrahierend als eine Art von politischem Spiel behandelt, welches vermeintlich nach ewig gleichen Regeln gespielt wird. "Medien-Machiavellisten im Miniaturformat". Wir erleben (ganz generell in der Presse und überhaupt unserem politischen Leben) eine Verschiebung vom direkten sozusagen 'Kampf bis aufs Messer' zu mehr ritualisierten Kampfformen, bei denen u. a. Formfragen vorgeschoben werden. In mancher Hinsicht ist eine Zivilisierung politischer Auseinandersetzungen zwar durchaus begrüßenswert. Andererseits rückt aber dadurch in der medialen Behandlung die Darstellung der eigentlichen Sachthemen allzu sehr in den Hintergrund. Den Lesern ist das bewusst; die Leserkommentare führen auf die Sachfragen und auf die realen Positionen der Handelnden bzw. auf die Frage zurück, inwieweit die Akteure zu diesen Positionen stehen und sie mit ihren Taten vertreten.
Aus Zeitmangel kann ich diese Überlegungen ebenso wenig ausführen, wie ich oben weitere Belegstellen für die jämmerliche Figur der Kommentarjournalisten anführen konnte; interessierte Leserinnen und Leser dürften aber mehrere Artikel gelesen und sich auf diese Weise selbst von der Richtigkeit meiner Behauptungen überzeugt haben.
3) Nur ganz kurz kann ich auch auf die Rolle der Blogger in diesem Diskurs eingehen:
a) Faktisch sind die Äußerungen in der deutschsprachigen Blogosphäre zu diesem Thema, soweit ich sie mitbekommen habe, armselig. Die tieferen Hintergründe, wie sie in gar nicht so wenigen Leserkommentaren aufscheinen, werden nirgends thematisiert, insbesondere nicht die Kluft zwischen Leserschaft und Medienmeinungen.
b) Gerade hier läge aber doch die Aufgabe der Blogger: Gegen die Bleiwesten der Massenmedien den politischen Meinungskampf wieder als solchen anstatt als Ritual zu behandeln. [Ich selbst tue das z. B. in der Form, dass ich ganz konkret einzelne Journalisten (wenn auch eigentlich nur als Beispiele) angreife und mich nicht darauf beschränke (obwohl ich auch das gelegentlich mache) abstrakt über "den" Journalismus oder "die" Journaille zu jammern.] Wenn ich mir vorstellen, was in den US-Blogs bei einer Fallgestaltung der vorliegenden Art los gewesen wäre ... .
Nur am Rande, sozusagen off topic, noch eine Anmerkung zu meinem populistischen Lieblingsfeind Horst Seehofer. Dem muss ich zwar einen guten Instinkt für die Volksmeinung attestieren wenn ich (in dem FAZ-Bericht "Glaubwürdigkeit dieses Amts beschädigt" vom 12.02.11) lese:
"Anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) äußerte CSU-Chef Horst Seehofer am Samstag Bedauern über den Rücktritt Webers. „Ich sehe das mit Sorge. Er gehörte zu den Wenigen, die für eine Stabilitätskultur in Europa eingetreten sind“, sagte Seehofer am Samstag in München."Aber mit seiner Behauptung
"Wie die CSU sei auch er der Meinung gewesen, dass nicht die EU die Finanzlöcher schuldengeplagter Länder finanzieren dürfe"
belügt er im Ergebnis die Wählerinnen und Wähler weil er sie darüber hinwegtäuscht, dass auch (fast) alle CSU-Abgeordneten für den Griechenland-Bailout und den Rettungsschirm votiert haben.Haltet (auch) diesen Dieb unserer Steuergelder!
Textstand vom 13.02.2011. Auf meiner Webseitehttp://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts). Zu einem „Permalink“, d. h. zu einem Link nur zum jeweiligen Artikel, gelangen Sie mit einem Klick auf das Erstellungsdatum unterhalb des jeweiligen Eintrages.Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.