Mehr und größer, so die inoffizielle Regel für Fortsetzungen, an die sich auch Avengers: Age of Ultron hält. Joss Whedon gelingt es aber den unterhaltsamen Vorgänger The Avengers innerhalb dieser Formel sogar zu übertreffen – jedoch nicht ganz ohne Kollateralschaden.
Nach einer rasanten Actionsequenz in bester James-Bond-Manier, die gleich zu Beginn alle Helden wieder ins Gedächtnis ruft, gekonnt ihre Eigenheiten und Charakterzüge hervorhebt, und gleichzeitig zwei neue Figuren einführt (überraschend unaufgeregt sogar), ist man auch gleich in der Handlung drinnen. Der Vorteil von einem Sequel eben. Keine lange Vorgeschichte, kein mühsames Zusammenführen der Helden, keine unnötige Exposition. Wobei nicht ganz. Komplett ohne Handlung kommt ein Superheldenfilm dieser Größe natürlich nicht aus, handelt es sich hierbei nicht um Arthouse-Kino, sondern um Entertainment auf Blockbuster-Niveau. Doch Joss Whedon versteht es das Tempo und die Erzählung beinahe perfekt durchzukomponieren.
There are no strings on [Ultron]…
Kaum sind die Avengers von ihrer Mission zurück, geht es auch schon an die Erschaffung eines neuen Sicherheitssystems. Tony Stark (Robert Downey Jr.) hat die Vision einer friedlichen Welt, mit Hilfe eines perfekten Überwachungssystems Namens Ultron, noch nicht aufgegeben. Just ihre vorherige Mission gibt ihm und Bruce Banner (Mark Ruffalo) nun die Möglichkeit dieses Vorhaben in die Realität umzusetzen. Doch der Plan geht schief. Ultron (großartig gesprochen von James Spader) erwacht zum Leben, entwickelt ein eigenes Bewusstsein und kommt zu der Erkenntnis, dass die Avengers die eigentliche Bedrohung sind. Die Ironie, dass es gerade die Avengers selbst sind, die Ultron erschaffen und somit die Menschheit bedrohen, ist ein Aspekt der auch im weiteren Handlungsverlauf eine erhebliche Rolle spielt.
Kurz und gut, Ultron geht zum Angriff über, baut sich eine Roboter-Armee auf, heckt einen teuflischen Plan aus und möchte nicht nur die Avengers vernichten, sondern denkt weitaus globaler. Man erratet es: die Auslöschung der Menschheit. Doch mit Ultron und noch dazu den Geschwistern Maximoff (Elizabeth Olsen und Aaron Taylor-Johnson) haben die Avengers einen harten Gegner vor sich. Gleichzeitig reißt gerade die Erkenntnis, dass der leicht größenwahnsinnige und ohne Zweifel egomanische Stark verantwortlich für Ultron ist, das Team langsam aber sicher auseinander.
Ein gigantisches Aufgebot an Charakteren
Es wäre ein leichtes gewesen, diese Handlung und vor allem das immer stärker expandierende Sammelsurium an Figuren, die allesamt um Aufmerksamkeit (=Leinwandzeit) buhlen, zu einem konvoluten Fiasko an Wendungen und haarsträubenden Motivationen und Verhaltensweisen verkommen zu lassen. Doch Joss Whedon hält die Zügel fest in der Hand. Er weiß worauf es ankommt, wodurch der Film stets auf die Haupthandlung fokussiert bleibt. Gleichzeitig fügen sich die Figuren nahezu perfekt und organisch in die Geschichte ein. Wer denkt, dass hier zu viele Charaktere den Brei verderben, irrt sich, denn jeder Held hat seine Berechtigung, seine Motivation und vor allem seine eigenen Ängste und Probleme. Ein Aspekt, den Avengers: Age of Ultron überraschend besser und scheinbar spielerischer hervorhebt als zum Beispiel Nolans The Dark Knight-Trilogie, ist gerade die Menschlichkeit und Verletzlichkeit seiner Helden, und das auch noch in einem (streng genommen) Ensemblefilm.
Diese Darstellung reicht vom Offensichtlichen (Bruce Banner und Thor) bis hin zum Subtilen (Captain America und Black Widow). Gerade dadurch kommt es aber auch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe, die dann zu solch einem Kampf führt:
Eine Actionsequenz, die nahtlos in die Handlung integriert wurde, ohne störend oder unlogisch zu wirken. Gerade weil sich hierbei vor allem die größte Angst eines Bruce Banner darstellt. Der Verlust von Kontrolle über den Hulk.
Neben all diesen Göttern, Super-Soldaten und grünen Monstern ist es aber die Figur von Hawkeye (Jeremy Renner), die wahrlich überrascht. Neben Black Widow (Scarlett Johansson) und dem Hulk, der einzige Held, der noch keinen eigenen Film tragen durfte (ein Umstand, der hoffentlich in Bezug auf Ruffalos Bruce Banner bald behoben wird, immerhin würde sich aus diesem Film bereits das Potenzial für eine eigenständige Geschichte mit ihm abzeichnen), zeigt Hawkeye in Avengers: Age of Ultron endlich seinen Wert im Gefüge des Teams. Denn gerade er ist es, der durch seine emotionale und psychische Ausgeglichenheit den Zusammenhalt des Teams gewährleistet. Da er ein Leben abseits des Kampfes besitzt, von dem die meisten anderen Superhelden nur träumen können und es nie erreichen werden.
Gute Figuren plus einwandfreie Handlung ergibt ein gelungenes Drehbuch
Das wirklich beeindruckende an Avengers: Age of Ultron ist vor allem das Drehbuch. Anstatt wie bei den meisten großen Sommer-Blockbustern, wo der Film vorwiegend an einem schwachen bis fürchterlich schlechten Drehbuch leidet (oftmals einfach deshalb, weil es durch die Hände viel zu vieler Autoren und Änderungen geht), ist Joss Whedon alleine für das Drehbuch zu Avengers: Age of Ultron verantwortlich. Was sicherlich einer der Hauptgründe für die homogene Handlung, schlüssigen Wendungen und nachvollziehbaren Figuren ist. Aber selbst dieses großteils gelungene Drehbuch wäre nichts, wenn es nicht von den sichtlich gut aufgelegten Darstellern auf die Leinwand gebracht worden wäre. Nach einigen eigenen Filmen und dem Einsatz in The Avengers, fühlt sich jeder Schauspieler deutlich wohl in seiner (fiktiven) Haut. Sie kennen ihre Figuren, wissen sie souverän zu spielen und bereichern sie mit – für ihre Charaktere typische – Nuancen.
Steve Rodgers alias Captain America (Chris Evans)
Thor (Chris Hemsworth)
Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.)
Bruce Banner alias Hulk (Mark Ruffalo)
Natasha Romanoff alias Black Widow (Scarlett Johansson)
Pietro Maximoff alias Quicksilver (Aaron Taylor-Johnson)
Ultron (James Spader)
Es scheint, als hätte Joss Whedon als Regisseur einen vergleichsweise einfachen Job, denn die Schauspieler brauchen wohl kaum noch Anweisungen, wie sie ihre Figuren anzulegen haben. Trotzdem weiß der Regisseur gekonnt Tempo zu drosseln oder zu steigern, die Actionsequenzen genau so bedeutend und episch zu inszenieren, wie den ruhigeren Momenten emotionale Gewichtung zu verleihen, neue Figuren scheinbar problemlos in die Geschichte zu integrieren (vor allem Quicksilver und Scarlet Witch) oder humorvolle Szenen und Dialoge selten deplatziert oder unnatürlich wirken zu lassen. Trotzdem ist Avengers: Age of Ultron kein “perfekter Film”.
Kitsch und Klischees, unbezwingbare Hürden für Marvel
So wie jeder Blockbuster, kommt auch dieses neue Superheldenabenteuer nicht ohne kitschige Szenen und klischeehafte One-Liner aus. An sich nicht weiter tragisch, aber gerade in diesem Fall doch enorm störend, da der Rest des Films so gekonnt und unterhaltsam ist. Dadurch fallen diese Szenen doch stärker ins Gewicht, weil sie den Zuschauer aus dem sonst so flüssigen Handlungsverlauf reißen. Ähnlich deplatziert wirkt leider auch die Einführung von Paul Bettanys Helden The Vision. Während Quicksilver (Aaron Taylor-Johnson) und Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) einen sinnvollen Platz und wichtige Rolle in der Geschichte tragen, wirkt The Visions Entstehung und Auftritt zu sehr gekünstelt und leider auch etwas sinnlos. Auch wenn Bettany ein talentierter Schauspieler ist und die Figur Potenzial hat, wird ihr in Avengers: Age of Ultron zu wenig Spielraum gewährt, obwohl er doch so viel Bedeutung für die Handlung haben sollte.
Avengers: Age of Ultron ist (beinahe) perfektes Blockbusterkino. Ein großartiger Start für die diesjährige Sommerkino-Saison und eine fantastische Fortsetzung. Ob es dieses Jahr einen anderen großen Blockbuster geben wird, der Avengers: Age of Ultron übertreffen kann (vielleicht mit Ausnahme von Star Wars), bleibt abzuwarten und angesichts kommender Filme (Terminator: Genisys, Fantastic Four, Batman v Superman etc.) darf man diesbezüglich eher skeptisch sein. Es könnte gut sein, dass mit dem neuen Teil der Avengers-Reihe bereits der beste Blockbuster des Jahres ins Kino kommt. Abgesehen davon hat Joss Whedon die Messlatte für eine (mit Sicherheit) folgende Fortsetzung des Superhelden-Teams hoch gelegt, aber zum Glück lässt er gleichzeitig genug Luft nach oben und damit die Möglichkeit, dass der nächste Teil sogar noch besser werden könnte. Bis dahin: Avengers: Age of Ultron anschauen und sich unterhalten lassen.
Regie und Drehbuch: Joss Whedon
Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Hemsworth, Chris Evans, Scarlett Johansson,
Mark Ruffalo, Elizabeth Olsen, Aaron Taylor-Johnson, James Spader, Jeremy Renner
Filmlänge: 150 Minuten, Kinostart: 23.04.2015, de.marvel.com/avengers