(Auszug) „Nicht einfach so wie ein Schaf verhalten…“ - Interview mit André Herzberg, Sänger der Band Pankow

Erstellt am 31. August 2010 von Vergangenheitsverlag

(…)
Nach der Armee haben Sie dann angefangen, Musik zu
studieren.

Ich wollte schon sehr lange Musiker werden, mit 17 oder
vielleicht noch früher. Man brauchte ja in der DDR für
alles einen Schein. Man konnte ja nicht einfach sagen:
„Ich mach’ jetzt Musik.“ Also habe ich mich in Berlin
an der Musikhochschule beworben.
Wollten Sie als Rockstar berühmt werden? Nicht ungewöhnlich
für einen 17-jährigen …

(Lacht) Ich hatte mal so ein Erlebnis mit 14, da habe
ich ein Lied gesungen mit einer Band und hab’ gemerkt,
das klappt mit den Mädchen ganz gut. Also, dass man
da sofort mit anderen Augen angesehen wird. Aber was
das für eine Welt ist, das Leben der Popstars als solches,
darüber hab’ ich gar nicht nachgedacht, das wusste ich
ja gar nicht. Dafür gab es ja in der DDR gar nicht den
Horizont. Es gab da irgendwie die Puhdys, aber die
fand ich ja ganz ätzend. Und alles, was ich so bewundert
habe, war ja eigentlich im Westen.
Welche Musik haben Sie damals gern gehört?
Ein frühes Album zum Beispiel war James Brown live,
dieses Ekstatische, was von dieser Musik rüberkam, das
hat mich wahnsinnig fasziniert: Über die Musik konnte
man was ausdrücken, man konnte da so eine Ekstase
rauslassen, die jenseits war von Sprache. So was ganz
Wildes, Innerliches, was ich vielleicht in mir glaubte zu
fühlen. Ich glaube, das hat mich gekitzelt.
Worauf sollte das Musikstudium hinauslaufen?
Man bekam einen Berufsausweis: Musiker, eine Einstufung,
und auch, wie viel Geld man bekommt. Und mit
dem konnte man auf die Bühne gehen. Ich hatte aber
mit anderen Musikern das Problem, dass das, was ich so
in meinem Kopf hatte, eigentlich gar keinen interessiert
hat. Zu der Zeit war das Wichtigste für jeden Musiker:
Wo bekomme ich die Arbeitsmittel für die Bühne her?
Instrumente, Verstärker und Gesangsanlagen. Alles kam
aus dem Westen. Das heißt, unter Musikern haben wir
eigentlich gar nicht über Musik geredet, sondern über
dieses Besorgen oder das Basteln. Man hatte ja eine
unglaubliche Fantasie entwickelt, Sachen auch selber zu
bauen. Und wenn über Musik nachgedacht wurde, dann
fast immer über das Nachspielen. Denn das Publikum
wollte eigentlich größtenteils irgendwas Internationales
nachgespielt bekommen. Wenn sie schon nicht die
Originale hören konnten, dann sollte der Musiker es
ihnen so gut wie möglich kopieren. Aber das waren
Sachen, die ich nicht machen wollte. Das heißt, ich
brauchte erstmal eine ganze Weile, bis ich überhaupt
Musiker gefunden hatte, die meine Vorstellungen teilten.
Fündig wurde ich dann bei einem Gitarristen, der mit
mir zusammen studiert hatte, der wollte zumindest
eigene Lieder schreiben – und zwar auf Deutsch, das war
mir wichtig. Gleichzeitig haben wir nachgespielt Nina
Hagen, Ian Dury – Beginn von New Wave, Ausläufer
von Punk. Wenn ich auf die Bühne gegangen bin, das war immer
so eine Form des Verkleidens. Sich die Augen anmalen,
irgendeinen Hut aufsetzen und: „WAAH!“ – die
Leute erschrecken. Das hat mir einen sagenhaften Spaß
gemacht, und so ungefähr muss man sich dann dieses
eine Jahr Gaukler Rockband vorstellen, so hieß nämlich
die Band. Wirklich mit einem Schrei auf die Bühne
und Unsinn machen.
1981 kam dann Pankow.
Genau. Veronika Fischer, das war so eine Sängerin, die
war schon sehr populär in der DDR, ging in den Westen.
Das passierte laufend, irgendwelche Leute wurden groß,
und irgendwann, wenn sie richtig groß geworden waren,
gingen sie in den Westen. Und so war das da auch, ihre
Band suchte dann einen Ersatz. In der Situation – ich
war grad rausgeflogen bei Gaukler – haben die mich
gefragt, ob ich mitmache. Naja, so kam es zur Gründung
von Pankow.
Wie würden Sie denn Pankow verorten in der DDR
Musikszene, war das etwas Neues?

Ja, damals wurde es jedenfalls von den Leuten als etwas
Neues begriffen. Auf jeden Fall. Ich meine, wir haben
mit Theaterrock angefangen – das hat es in der DDR
auf gar keinen Fall vorher gegeben. Außerdem war die
Musik für DDR-Verhältnisse sehr rockig, und die Texte
waren sehr dicht am Alltag. Wir selbst haben uns – muss
ich schon sagen – als Elite verstanden.
War Pankow eine politische Band? Ich denke da an Lieder
wie ‚Langeweile‘ ...

Ich selbst würde das immer mehr bestreiten. Ich habe
ja eigentlich immer das Gefühl gehabt, dass die Politik
in meine Lebenswelten eingedrungen ist. Von außen.
Erstmal war die DDR so ein Land, in dem du dich
nicht nach links und rechts drehen konntest, ohne
dass du nicht schon irgendwie dazu genötigt wurdest,
eine politische Aussage zu machen. Also, man wurde
sofort politisiert. Und ich meine – ‚Langeweile‘: Es
ging mir wirklich nicht darum, ein politisches Lied
zu machen, in keinster Weise. Ich habe versucht, ein
Gefühl zu beschreiben. Dass dieses Gefühl dann auch
eine politische Komponente hatte, ja, Gott, ich hab’
nichts dagegen.
Es gab einen Auftritt im Palast der Republik am 30. Januar
1983, wo Sie in Wehrmachtsuniform aufgetreten sind.

Der Anlass war 50 Jahre Machtergreifung des Faschismus.
Also, das hängt auch wieder sehr mit meiner
Biografie und ... ja, und eigentlich mit meiner Mutter
zusammen, mit ihrem Hass auf die Mitläufer ... Und
dann hatte ich mir so überlegt, es gab von uns ein Lied,
das heißt ‚Ich bin lieb‘. Das geht so: „Ich bin lieb, ich
bin immer lieb, dem lieben Gott geb’ ich seins, dem
Staat geb’ ich seins, wenn andere pfeifen – ich tanze...“,
und so weiter und so fort. Und aus diesem Lied hab’ ich
dann einen Monolog entwickelt: Was es für Gründe
gegeben hat, mit Hitler mitzumarschieren, und warum
man mit in den Krieg marschiert ist. Und das hab’ ich
dann aufgesagt und mir währenddessen eine Wehrmachtsuniform
angezogen. Also, das heißt, ich bin in
Unterwäsche auf der Bühne erschienen und erst beim
Anziehen dieser Uniform – dieser Wehrmachtshelm,
die Soldatenuniform und so weiter – wurde klar, wer
da gerade spricht.
Wurde das als Provokation empfunden?
Der ganze Auftritt, bis fünf Minuten vorher, stand
total in Frage: „Was willst du denn, was soll das alles?“
Und: „Wie meinst du das?“ Und so weiter und so fort.
Im Rundfunk wurde dann über meine Ansage drüber
gesprochen, es gab eine Live-Übertragung von dem
Konzert, und da haben sie versucht, das auf diese Weise
zu zensieren.
Warum wurde zensiert?
Weil sie Angst hatten, glaub’ ich. Vielleicht, dass der
Mitläufer 1933 der gleiche Mitläufer ist wie 1983 in
der DDR, was das ja auch suggerierte? ‚Ich bin lieb‘
ist eigentlich ein Lied, das sich auch mit der DDR-Wirklichkeit
auseinandergesetzt hat. Wenn man sich
mal reinversetzt in so einen (lacht) Polit-SED-Kulturfunktionär,
der könnte ja sagen: „Wie kann man denn
das gleichsetzen?“ Oder so.
Haben Sie das auch so gemeint?
So bewusst nicht, nein. Wie soll ich sagen? Mir ging es
um eine Abrechnung mit den Mitläufern. Dass es mit
der DDR auch was zu tun hatte, hatte ich mir so gar
nicht überlegt. So weit war ich noch gar nicht. Manchmal
hat man einen künstlerischen Einfall, da kann man
gar nicht genau sagen, was das eigentlich ist. Es ist
erstmal einfach ein Bild, ein inneres Bild.
Sie unternahmen Westreisen, waren Mitte der 80er Jahre
das erste Mal im Westen.

Ja ... (lacht). Wie der Besuch auf dem Mars.
Was haben Sie als ‚marsartig‘ erlebt?
Alles. Die Gerüche... War alles zu viel. Also, das war
so, wie wenn auf einmal das Licht eingeschaltet wird,
von grau nach Farbe, von leise nach laut. Das war
sehr, sehr anstrengend, muss ich sagen. Also gerade in
Deutschland-West konnte ich das wenig genießen. Weil
ich das immer irgendwie als anstrengend empfunden
habe: Was ist denn das? Was ist das hier alles? Das gibt’s
doch gar nicht! Man rennt wie atemlos, nachher bin
ich manchmal durch Kaufhäuser gelaufen, wie ersoffen
sozusagen, und denke, gibt’s doch gar nicht: das, das,
das, das, das, das, das ... Und irgendwann ist man so
durchgedreht, dass man sagt: „Jetzt schnell wieder in die
Zone zurück. In mein Grau, in meine graue Welt.“
Sie haben nie überlegt, im Westen zu bleiben?
Die Frage hab’ ich mir auch neulich mal wieder gestellt.
Naja, ich war dort nicht zu Hause. Ich meine, es war
ja auch ganz simpel: Im Osten habe ich mein Geld
verdient, da war meine Band, meine Familie sowieso.
Ich glaube, so einfach ist das nicht.
(…)
Das Interview führte Cornelia Siebeck
Dieses und weitere Interviews in dem neuen Interviewband des Vergangenheitsverlags: Siebeck, Cornelia / Schug, Alexander / Thomas, Alexander (Hg.), Verlorene Zeiten? DDR-Lebensgeschichten im Rückblick – eine Interviewsammlung, Berlin 2010.

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