Auswanderung durch die Mark Brandenburg

Von Frontmotor
Bleiben wir in Brandenburg:
Wer von Dortmund über die A2 nach Berlin fährt, kommt an einer Abfahrt "Lehnin" vorbei. Man nimmt es beim ersten mal kaum richtig wahr, und denkt nach der Vorbeifahrt: Haben die in der kleinen DDR, also Brandenburg, sogar eine Stadt nach Lenin benannt? Auf der Rückfahrt korrigiert man sich dann: Lehnin, mit "h". Und man betont es auf der zweiten Silbe.
Der Name "Lehnin" ist slawisch: Als Otto I. in den Wäldern müde vom Jagen war und unter einem Baum einschlief, träumte er, er sei von einer Hirschkuh verfolgt. Und da das Volk schon immer paranoid war, deutete es ihm diesen Traum als Symbol und Vorhersage eines Angriffs heidnischer Slawen (Wenden). Die Wenden saßen seit dem siebten Jahrhundert zwischen Brennabor ("Brandenburg") und Spandow. Sie drängten ihn, zu ihrem Schutze eine Burg zu bauen. Otto organisierte stattdessen den Bau eines Klosters für den Orden der Zisterzienser. Sein Plan war es, die Kirche in die Sicherung seiner Macht mit einzubeziehen. Und da er Humor hatte, benannte er das Kloster nach der Hirschkuh, die für die Slawen stand. Lehnin heißt "Hirschkuh". Das Kloster war das erste in der Mark.
Das spielte sich im 12. Jahrhundert ab. Wir wissen es z.B. von Theodor Fontanes "Wanderungen duch die Mark Brandenburg", Band 2. Kapitel "Havelland".
Zu dieser Zeit warfen Germanen gerade die Wenden gen Westen zurück. Die Wenden waren das westlichste slawische Volk. Über sie schrieb Fontane:
Tapfer und gastfrei (was gastfrendlich meint). Aber untreu gegen ihre Feinde.

Und dann kommt es:
... aber in einem waren sie ihnen allerdings unebenbürtig, in jener gestaltenden, große Ziele von Generation zu Generation unerschütterlich im Auge behaltenden Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germanischen Rasse gewesen und noch jetzt die Bürgschaft ihres Lebens ist. Die Wenden von damals waren wie die Polen von heute. Ausgerüstet mit liebenswürdigen und blendenden Eigenschaften, an Ritterlichkeit ihren Gegnern mindestens gleich, an Leidenschaft, an Opfermut ihnen vielleicht überlegen, gingen sie dennoch zugrunde, weil sie jener gestaltenden Kraft entbehrten. Immer voll Neigung, ihre Kräfte nach außen hin schweifen zu lassen, statt sie im Zentrum zu einen, fehlte ihnen das Konzentrische, während sie exzentrisch waren in jedem Sinne. Dazu die individuelle Freiheit höher achtend als die staatliche Festigung – wer erkennte in diesem allen nicht polnisch-nationale Züge?

Hört man mal großzügig über den rassistischen Unterton jener Zeit hinweg: All diese Wesenszüge, mir kommen sie sehr bekannt vor ;-)
Im Kloster bildeten sich zwei Parteien, die aufeinander einschlugen. So ging es bis ins sechzehnte Jahrhundert. Der letzte Abt des Klosters und Kurfürst Joachim verstanden sich dann besser. Doch dann schlugen Adel und Kirche und die verschiedenen Hegemonialkräfte in Deutschland dreißig Jahre lang aufeinander ein.
So fing es an, was wir heute Brandenburg und -eher irrtümlich- Mark nennen.


Währenddessen im Westen:
Als Migrant aus dem Ruhrgebiet kommt einem "Mark" natürlich sofort bekannt vor. Aber als ich von der Mark Brandenburg zum ersten mal hörte verwarf ich die Idee, dass sie etwas mit der Mark zwischen Ruhrgebiet und Sauerland zu tun haben könnte, dem "Märkischen Kreis".
Und just, da ich anfing, mich damit zu beschäftigen, brachte meine gegenwärtig favorisierte Zeitung (was Print angeht) Märkische (!) Allgemeine einen ausführlichen Bericht über die Geschichte der Mark.
Und siehe da: Die ursprüngliche Mark erstreckte sich über Essen, Recklinghausen, Dortmund bis nach Münster, Soest und Burg Altena, wo die Grafen später ihren Stammsitz hatten. Ursprünglich saßen sie ab 1200 in der Residenz Burg Mark, bei Hamm. Der Link nach Brandenburg ergab sich 1609, als der letzte Markgraf Johann Wilhelm kinderlos starb und sein Erbe an seine Nichte fiel, die mit Johann Sigismund verheiratet war - dem Kurfürst von Brandenburg.
1815 verlegten die Preußen den Regierungssitz der Mark von Hamm nach Arnsberg. Ab da hieß die "Grafschaft Mark" prosaisch nur noch Regierungsbezirk Arnsberg.
Bis 1918 hielt es zusammen, obwohl die Brandenburger über die Westfalen lästerten:
Sie (die Pöttler!) sind falsch und intrigant und saufen wie die Biester.

Naja. Eins hatte das Ruhrgebiet den Brandenburgern aber schon damals voraus: Sie wussten, wie Wirtschaft geht. Und vor allem Industrie. Eisenbahn, Kohle, Stahl. Das lief im Pott. Brandenburg entdeckte das erst unter Matthias "Deichgraf" Platzeck, anno domini 2002. Die Feinmechaniker (MAZ: "Die Drahtzieher") wiederum saßen aber nicht im Ruhrpott, sondern in Iserlohn und Lüdenscheid. Und die Schwerter für die Armee wurden -wo sonst?- in Schwerte produziert. (Anmerkung: Vielleicht liegt die industrielle Zukunft in Westfalen auch heute eher in den sauertöpf... sauerländischen Gefilden?)
Und die "langen Kerls" rekruierte Blücher nicht in Brandenburg sondern, na klar, im Pott. Die Grafschaft Mark hatte auch die besten Schützen. Daher bis heute die Tradition der vielen Schützenvereine.
Wahrscheinlich habe ich das alles schonmal gewusst. Sachunterricht in der Grundschule z.B.. Als wir vor zehn Jahren nach Berlin zogen, wähnten wir uns jot we de. Und wie praktisch, dass man als Pöttler menschlich sowohl mit den Berlinern und mehr noch mit den Brandenburgern schnell klar kommt. Nach all diesen Zusammenhängen ist das natürlich alles kein Wunder.
Seit 2003 habe ich entweder beruflich oder privat auch im westlichen Brandenburg zu tun. Meinen heimischen Landkreis habe ich dabei aber offenbar nie verlassen.
Quellen:
"Die anderen Märker", Märkische Allgemeine Zeitung, 09.07.11 (Link)
"Wanderungen durch die Mark Brandenburg", Theodor Fontane
Blog von Joachim Meinicke, Link