Ausstieg

Nach dem abrupten Ende mit unserem Au Pair hatten „Meiner“ und ich ja zuerst einmal an ein Moratorium gedacht, doch an diesem Wochenende ist der Entschluss gefallen: Wir wagen den Ausstieg. Total, ohne Übergangsfristen, ohne Zögern, ob dies der richtige Entscheid sei. Warum so radikal, mag man sich fragen. Immerhin waren ja unsere Erfahrungen in Sachen Au Pair auch mit der jungen Frau, die nun so ganz plötzlich abgereist ist, nicht so schlecht. Nun ja, mag sein, dass die Erfahrungen von „Meinem“ und mir so schlecht nicht waren, was aber noch lange nicht bedeutet, dass unsere Kinder das gleich empfunden haben. Dass die fünf in den vergangenen Monaten nicht besonders ausgeglichen waren, hatten wir natürlich schon bemerkt, aber wie wir Eltern nun mal sind, suchten wir den Fehler überall, nur nicht dort, wo er wirklich lag. Wir gaben dem Schulstress die Schuld, unserer eigenen Arbeitsüberlastung, dem kindlichen Schlafmangel, der Hitze. Dass unsere Kinder unter der Veränderung an der Au Pair-Front leiden könnten, wurde uns erst jetzt bewusst, wo sie weg ist. Und wo das Au Pair, das uns allen am meisten ans Herz gewachsen ist, zu Besuch gekommen ist. Plötzlich haben wir unsere Kinder, wie wir sie kennen, wieder zurückbekommen. Ob dieses Urteil ein wenig hart ist? Nun, urteilt selber, nachdem ihr gelesen habt, was wir in den vergangenen Tagen mit dem Zoowärter erlebt haben.

Unser Zoowärter, der seit Monaten nur noch geschrien, gejammert und geheult hatte, kann seit ein paar Tagen nicht nur wieder herzlich lachen, sondern auch richtig humorvoll und witzig sein. Jetzt, wo auch noch sein Lieblings-Au Pair zu Besuch ist, sprudelt die Freude nur so aus ihm heraus. Das Kind, um dessen seelische Gesundheit ich mir schon ernsthafte Sorgen gemacht hatte, ist wieder so fröhlich wie man sich einen Vierjährigen eben vorstellt. 

Unser Zoowärter, der im März, als das neue Au Pair ankommen sollte, voller Liebe und mit grosser Vorfreude einen zuckersüssen Plastikhasen und ein noch zuckersüsseres Porzellankörbchen ausgesucht hatte, musste vor einigen Tagen voller Schmerz erkennen, dass seine Geschenke achtlos im Zimmer liegen gelassen worden waren. Wer nun denkt, so ein kleiner Junge könne sich doch nicht mehr an die Gefühle, die er damals hegte, erinnern, der irrt sich. Der Zoowärter wusste noch sehr genau, wie schwer es ihm damals gefallen war, die in seinen Augen wunderschönen Dinge zu verschenken und die Trauer, die er jetzt empfand, als er sah, dass sein Opfer nicht geschätzt worden war, brach uns beinahe das Herz. 

Unser Zoowärter, der im Sommer in den Kindergarten kommt und eigentlich voller Stolz beweisen möchte, wie gross er schon ist, zeigte in den vergangenen Monaten deutliche Zeichen einer Regression. Er, der eigentlich sehr gut reden kann, sprach nur noch in einer beinahe unverständlichen Babysprache, er wollte wieder aus dem Schoppen trinken und hin und wieder erwischte ich ihn gar mit einem Nuggi. Was umso verwunderlicher war, weil er als Baby gar nie einen Nuggi haben wollte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir sein Babyverhalten mit der Zeit fürchterlich auf den Nerv gefallen war. Umso glücklicher war ich, als es vor einigen Tagen wie weggeblasen war. Auf einmal konnte der Junge wie ein kleiner Weltmeister zählen, dem kleinen Bruder Bilderbücher erzählen und in verständlichen, zusammenhängenden Sätzen von seinem Erleben in der Spielgruppe berichten. Weniger glücklich war ich, als er uns erzählte, wie er sich während der Zeit mit dem Au Pair gefühlt hatte: „Das Au Pair war immer nur mit dem Prinzchen lieb, aber mit mir hat sie nur geschimpft. Das Prinzchen hatte sie lieb, mich aber überhaupt nicht.“ Dass er wieder ein Kleinkind sein wollte, damit man ihn auch so süss und knuddelig findet wie das Prinzchen, sagte er zwar nicht, aber „Meinem“ und mir dämmerte dennoch, dass genau dies der Fall gewesen war. 

Wie, ihr könnt noch immer nicht nachvollziehen, weshalb wir das Experiment Au Pair in Zukunft nicht mehr wagen wollen? Nun, es ist ganz einfach: Wenn wir sehen, wie grossartig es sein kann, ein Au Pair zu haben, das von allen Familienmitgliedern innig geliebt wird, wie schmerzhaft es aber auch sein kann, ein Au Pair zu haben, das sich zwar mit den Eltern gut versteht, den Draht zu den Kindern aber nicht hat, dann wird uns klar, dass das Risiko, die Kinder zu verletzen, zu gross ist. Klar, im besten Fall läuft es so, dass man ein halbes Jahr eine tolle Zeit hat, dass man sich immer mal wieder gerne sieht und sich überlegt, ob man gemeinsam in die Ferien fahren soll. Aber wer garantiert uns denn, dass die Kinder nicht viele schmerzhafte Versuche, noch einmal so jemanden zu finden, über sich ergehen lassen müssen, bevor es wieder so perfekt passt wie beim vorletzten Mal? Die Kindheit unserer Kinder ist ohnehin schon kurz genug, da wollen wir sie ihnen nicht mit schmerzhaften Erlebnissen, die sich vermeiden liessen, erschweren. 

Wie wir das mit der Familie, der Arbeit und dem Haushalt nun lösen wollen? Nun, zuerst einmal werden wir uns bei unseren Kindern aufrichtig dafür entschuldigen, dass wir nicht früher erkannt haben, wie unwohl ihnen in den vergangenen Monaten war. Klar. es war nicht bei allen fünfen so ausgeprägt wie beim Zoowärter, aber wie wir jetzt zu hören bekommen, haben auch die anderen gelitten. Zweitens werden wir eine Lösung finden, wie wir das mit dem Mittagessen so hinkriegen, dass wir alle gemeinsam essen können, auch wenn Mama und Papa mal ein paar Minuten zu spät von der Arbeit nach Hause kommen. Und drittens werden wir nun endlich diesen Weg finden müssen, wie wir Familien- und Hausarbeit so gerecht an „Meinen“ und mich verteilen können, dass die Kinder vorwiegend von uns erzogen werden. Das war ja schon immer unser Ziel und jetzt, wo wir einmal mehr erkannt haben, dass es anders nicht geht, sind wir umso motivierter, dieses Ziel auch endlich zu erreichen.

Ausstieg

 



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