Von Stefan Sasse
Noch drei Jahre sind es bis zur nächsten Bundestagswahl. Die schwarz-gelbe Regierung hat ihren Schreckenskatalog weitgehend abgearbeitet. Die meisten Rechnungen der Wahlkampfspender sind beglichen, die drastischsten Kürzungen durchgesetzt. Die Bilanz des ersten Jahres der Koalition ist katastrophal, aber es stehen noch drei weitere bevor. Rot-Grün hat von 1999 bis 2002 auch effektiv nur wenig getan, nachdem die ganzen Grausamkeiten gleich zu Beginn erledigt wurden. Wer redete 2002, als Schröder in großer Pose das Nein zum Irakkrieg verkündete und in Gummistiefeln durch das Oderwasser stiefelte, noch vom Kosovokrieg und den "rot-grünen Chaostagen"? Niemand. Die schwarz-gelbe Regierung erlebt derzeit einen katastrophalen Imageverlust und verliert wohl einige Landtage, das ist wahr. Aber das war noch das Schicksal jeder Regierung, und obgleich das Ausmaß des Versagens und der Korruption unserer Führungsschicht alles bisher Dagewesene wirklich in den Schatten stellt sollte man sich nicht zu früh freuen: schwarz-gelb kann noch einiges reißen in den vor uns liegenden drei Jahren, das die Stimmung bis dahin noch drehen wird - gänzlich ohne neue Terroranschläge und Überflutungen, die natürlich jederzeit hilfreich hinzukommen können.
Sehen wir uns für einen Augenblick die Themen an, denen sich Schwarz-Gelb in der Zukunft noch widmen kann, ohne dass es die Bürger direkt treffen wird. Da wäre, erstens, das Integrationsthema. Hier profiliert man sich an den deutschen Stammtischen gänzlich ungeniert. Die eigenen Anhänger werden mit der Blut&Boden-Linie mobilisiert und gegen die anderen in Stellung gebracht. Da wäre, zum anderen, das Thema Bundeswehrauslandseinsätze. Wenn Guttenberg der Mann ist, für den ich ihn halte, macht er den Abzug aus Afghanistan in ein oder zwei Jahren zu seinem persönlichen Thema, erklärt den Aufbau dort zum Erfolg und beraubt damit die LINKE eines wichtigen Themas und den Wahlkampf eines generellen Angriffspunktes. Da wären, zum dritten, die leidigen Mindestlöhne. Es ist durchaus möglich, dass sie noch in dieser Legislaturperiode eingeführt werden, allerdings auf niedrigem Niveau. Damit allerdings wird wieder ein Wahlkampfthema entschärft; für die Einführung streitet es sich leichter als für die Erhöhung. Da wäre, zum vierten, das Thema Staatsdefizit. Durch die zu erwartende Haushaltskrise in der gesamten EU, die durch die von Deutschland verfochtene dämliche Exportlinie hervorgerufen werden wird, kann Deutschland sich - die eigene Position parasitär von den anderen abgestützt - einmal mehr als Gralshüter währungspolitischer Stabilität in Szene setzen, während die Opposition es schwer haben wird, die deutlich komplizierteren volkswirtschaftlichen Vorgänge zu erklären und für eine expansive Linie einzutreten.
Das alles sind absehbare Wahlkampfthemen, die potentiell Schwarz-Gelb begünstigen. Angesichts der medialen Unterstützung, die sie bis dahin sicher wieder haben werden und der generell kurzen Gedächtniskraft der Wähler ist ein dramatisch schlechtes Abschneiden also bei weitem nicht gesichert. Die FDP kann ihre aktuelle Krise entweder einfach aussitzen oder putscht doch noch Westerwelle weg, was angesichts dessen Beliebtheitswerten nicht übermäßig schwer sein sollte. Dann können die neuen Milchbubis wie Lindner eine "neue" FDP verkörpern und erneut CDU-Wähler abziehen, die einem diffusen Bild von "Wirtschaftskompetenz" nachlaufen. Leicht gemacht wird ihnen das dann dadurch, dass die SPD und die LINKE sich in eine riesige Debatte über eine mögliche Koalition ziehen lassen werden und an irgendwelchen unbedeutenden Fragen hängenbleiben: Rente 67 ein oder zwei Jahre später? Kommunistische Plattform als Gefahr für Regierungsarbeit? Mindestlöhne wie hoch? Umgang mit der DDR-Vergangenheit?
All diese Punkte sind absehbare Themen für die nächsten Jahre. Die Frage für SPD, LINKE und Grüne ist nun, wie sie sich dieser absehbaren Bedrohung stellen wollen. Die LINKE ist nun einen ersten Schritt gegangen und hat als offizielles Ziel die Koalition mit SPD und Grünen 2013 ausgegeben. Damit verwirft sie endgültig die in meinen Augen nutzlose Ansicht einiger ihrer Mitglieder, lediglich in der Opposition bleiben zu wollen, um sich ja nicht mit den Niederungen der Alltagspolitik zu beschäftigen. Die Hürden, die die LINKE mit ihren das Angebot begleitenden Forderungen erhebt, sind allerdings auch so noch beachtlich, da trotz des formellen Koalitionswunschs eine vollständige Abkehr von Hartz-IV durch SPD und Grüne kaum geleistet werden wird. Als Verhandlungsbasis allerdings kann man das Ganze stehen lassen; und wer weiß, wie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat 2013 sein werden - daran drohen ja schon jetzt die CDU-Pläne zu scheitern.
Bis zur Möglichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses aber ist es noch ein weiter Weg, und es gibt einiges, was bis dahin ausgeräumt werden muss. Dazu gehört etwa eine Positionsbestimmung der Grünen. Welchen Weg werden sie gehen? Werden wir 2013 wieder eine Schwarz-Grün-Diskussion erleben? Oder machen sie sich auf den Weg zurück ins viel beschworene "linke Lager"? Ein Automatismus ist ihre Teilnahme nämlich nicht, selbst wenn sich SPD und LINKE einigen sollten. Auch die SPD steht noch vor schwer wiegenden Richtungsentscheidungen. Kaum vorstellbar, dass Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier eine rot-rot-grüne Bündnisoption offen mittragen wollen. An ihrer Entmachtung oder freiwilligem Abtritt wird man kaum vorbeikommen, wenn man diese Bündnisidee ernsthaft verfolgen will. Auch ist die Partei derzeit in einem Klärungsprozess zu ihrem Verhältnis zur Agenda-Zeit, und man macht es sich allzuleicht wenn man behauptet, dass eine positive Bewertung der Agenda-Reformen alleine unter einer verschwindend geringen Anhängerzahl der SPD vertreten ist, obwohl eine Mehrheit wohl dagegen ist. Es wird nicht leicht für die SPD, einen Kompromiss und eine neue Lesart dafür zu finden, die tragfähig nach allen Seiten ist. Die LINKE wird versuchen, die SPD weiter nach links und zum Abschwören der Reformen zu zerren, während FDP und CDU sie wohl nach rechts zerren werden, ebenso die Mehrheit der Medien. Es bleibt abzuwarten, was dabei herauskommt.
So oder so sind die Aussichten auf 2013 nicht so rosig, wie der aktuell katastrophale Zustand der Regierung vielleicht Glauben machen mag. Es liegt noch eine ganze Menge Arbeit vor uns, und es gibt keinen ernsthaften Grund für Schwarz-Gelb, nicht zumindest im letzten Jahr der Legislaturperiode auf einen Kuschelkurs umzuschwingen und so wieder Boden gutzumachen. Mit einer der größten Faktoren zugunsten Rot-Rot-Grüns dürfte die anzunehmende Kontinuität des Spitzenpersonal sein. Merkel und Westerwelle werden auch 2013 keine Charmeoffensive gewinnen; man darf also hoffen, dass auf der Gegenseite einige charismatischere Kandidaten auftreten werden und dass sich die Opposition eines gemeinsamen Ziels und eines gemeinsamen Programms befleißigt, das Visionen und Entwürfe über den Wahltag hinaus enthält. Denn sonst könnte nach einem Sieg von Rot-Rot-Grün der gleiche Katzenjammer stehen, den Anhänger von Schwarz-Gelb seit September haben - nur eben umgekehrt.