Die eigentliche Information (also das WAS) spielt in der Kommunikation - so unsinnig das auch klingen mag - ja nur eine Nebenrolle. Die Hauptrolle spielt das WIE und das äußert sich zum einen in unserer Wortwahl (welchen Begriff wähle ich, wenn ich mehrere Alternativen habe?). Zum anderen steckt das WIE in der Betonung einzelner Wörter, in den be- oder entgleitenden Gesichtszügen, dem mehr oder weniger ausgeprägten Fuchteln mit den Händen oder den (fehlenden) Ganzkörperbewegungen beim Reden. Auch die Vorgeschichte der Gesprächspartner oder die aktuelle Befindlichkeit sind wichtig für die Frage, WIE etwas verstanden wird - und vor allem, ob es so verstanden wird wie wir das gerne möchten. In der schriftlichen Kommunikation - also z.B. in Blogs und in anderen sozialen Medien - brauchen wir für die fehlende Gestik und Mimik (die ja höchstens ansatzweise als Smiley daherkommen kann) andere Mittel, um Worte lebendig werden zu lassen: Farben, Humor, Fotos, Vergleiche und Bilder (Metaphern), Sprachspielereien, persönliche Geschichten etc.
Und damit wäre ich jetzt wieder bei der Vollkornnudel: Wenn uns jemand davon überzeugen möchte, dass Vollwertkost echt wertvoll und obendrein gesundheitsfördernd ist, nebenbei Spaß macht und auch noch der Umwelt, fairen Handelsbeziehungen, der regionalen Entwicklung etc. dienlich ist, dann helfen alle diese tollen Aussagen (und belegbaren Informationen) - also das WAS - in der Überzeugungsarbeit nicht wirklich weiter. Weil das WIE nicht stimmt. Denn die Familie Vollwertkost hat ein Imageproblem: Ihre Küche gilt vielen als genussfeindlich, farblos, langweilig, grob, altmodisch, anstrengend, ungesellig, abgehoben, hinterwäldlerisch oder einfältig. Und an diesem schlechten Image ist die Familie leider zum großen Teil selber schuld. Weil: Wenn andere mich nicht so verstehen, wie ich möchte, dass ich verstanden werde, dann mache ICH (meistens) was falsch. Da kann ich ständig beteuern, dass weder die Vollwertküche noch womöglich ich selbst genussfeindlich, farblos, langweilig, grob, altmodisch, anstrengend, ungesellig, abgehoben, hinterwäldlerisch, ausgrenzend oder einfältig sind: Wenn das WIE meiner Kommunikation nicht stimmt, dann nützen alle richtigen Worte nichts.
Was läuft schief in der Kommunikation zwischen Vollwertköstlern und dem Rest der Welt?
Ich empfinde die Ausgrenzung per Kochtopf durch Familie Vollwertkost als äußerst unangemessen: Nimmst du zum Süßen von Kuchen oder Desserts was anderes als Honig oder Trockenfrüchte? Wenn ja, bist du eine Abtrünnige. Ich selbst bin also schonmal - glücklicherweise - durchgefallen. Ich verwende zwar nie weißen Zucker, aber Roh- oder Vollrohrzucker, Birnen- , Apfel- oder Agavendicksaft, Ahorn- oder Rübensirup werden in der reinen Lehre Brukers nicht als vollwertig anerkannt. Dass es auch völlig andere Ansätze zur Vollwert-Ernährung gibt, spielt in der Familie offenbar keine Rolle (Definition siehe Link S. 3). Alles zusammen genommen wird daraus jedenfalls keine Sympathiekampagne für die Vollwert-Idee. Wundert sich noch jemand über das Imageproblem?
Viertens: Familie Vollwertkost hat offenbar keine Lust auf Farben oder eine ansprechende Präsentation ihrer vollwertigen Speisen. Oder warum sind im Internet veröffentlichte Vollwert-Rezepte entweder überhaupt nicht bebildert oder wenn, dann in Einheitsbraun? Als gäbe es in der Natur nicht die herrlichsten Farben...
Für meine Recherchen habe ich mir den Spaß gegönnt und ein paar Kochbücher aus dem Vollwert-Sortiment gekauft (das habe ich schon seit 20 Jahren nicht mehr getan, obwohl ich mein jährliches Budget für Kochbücher und -Zeitschriften immer arg strapaziere). Ich wollte doch mal sehen, was sich im Laufe der Jahrzehnte so getan hat auf diesem Sektor. Und stelle erschüttert fest: Nichts. Die einschlägige Vollwert-Literatur kommt immer noch überwiegend ohne Fotos daher. Stattdessen dürfen wir uns an albernen Comics, mit denen die Rezepte "illustriert" werden, erfreuen. In einem der von mir erworbenen Büchlein heißt es sinngemäß zum Thema Fotos sogar: Wozu sollen Fotos gut sein, wenn die Ergebnisse der 100(!) Pralinen- und Schokoladen-Rezepte eh alle gleich aussehen? Und dabei sind in dem besagten Büchlein sensationell leckere Kreationen versteckt. Versteckt. Um sie zu entdecken, muss man sich die Mühe machen, hinter den eher lieblos gestalteten Seiten und Texten nach Perlen zu suchen. Ich hätte sie beinahe übersehen.
Fünftens: Familie Vollwertkost mag nicht bloggen und hat auch ansonsten wenig Lust, sich auf angenehme motivierende Weise im Internet zu präsentieren. Und ist wohl überhaupt eher daran interessiert, sich Anleitungen, Orientierung und Bestätigung von anderen zu holen als selbst etwas "einzuspeisen". Was im Umkehrschluss bedeutet, dass nur einige ganz Wenige die Szene und damit die Regeln (Max Otto Brukers) bestimmen.
Ausnahmen bestätigen die Regel - ich bemerke vermehrt junge Leute mit ansprechend und informativ gestalteten Blogs, die auf zunächst sympathische Weise die Idee der Bruker'schen Vollwertkost verbreiten. Ich bin allerdings irritiert, dass junge Leute, die gerade einen Lehrgang zum "Gesundheitsberater" nach Bruker (eine vom Meister höchstselbst gegründete Ausbildung) absolvieren, nach meinem Eindruck relativ unkritisch mit der Person Bruker umgehen.
Und im Vollwert-Forum (nach M. O. Bruker) - was auf den ersten Blick sehr aktiv aussieht - waren soeben (Freitagabend) gerade mal "18 Besucher online: 7 registrierte, 1 unsichtbarer und 10 Gäste". Nicht gerade berauschend, was die Anhänger/innen der "vitalstoffreichen Vollwerternährung" da im Internet zusammen bringen. Glücklicherweise?
Nur auf dem Riesen-Kochportal chefkoch.de siehts etwas lebendiger aus: Immerhin 2,5 % der Rezepte (ca. 5000 insgesamt) sind mit dem Zusatz "vollwertig" getaggt. Da sind sie dann wohl, die Vollwert-Kund(inn)en der oben erwähnten Anbieter. (Nach einigen Stichproben frage ich mich allerdings, wie die Rezepte zu der Ehre "vollwertig" kommen).
So, und wenn ich nun lese, was ich oben alles geschrieben habe, wundert es mich überhaupt nicht mehr, dass wir Liebhaber/innen des vollen Korns ein so schlechtes Image haben. Und ich bekomme eine Ahnung davon, warum alle diejenigen, die sich nicht als "genussfeindlich, farblos, langweilig, grob, altmodisch, anstrengend, ungesellig, abgehoben, hinterwäldlerisch, ausgrenzend oder einfältig" bezeichnen, das Wort Vollwertkost lieber nicht in ihren Wortschatz aufnehmen mögen.
Wird also Zeit, dass wir alle Feinschmecker/innen und Anhänger/innen einer wertvollen Esskultur aus der Reserve locken und beweisen, dass wir mit Leichtigkeit genussvoll, bunt, kurzweilig, raffiniert, modern, bodenständig, weltoffen, anspruchsvoll, vielfältig, international, natürlich, verantwortungsbewusst und wertvoll essen, kochen, leben, lachen und genießen. Und dazu lade ich alle Sympathisant(inn)en ein:
- Erstens: Alle Möglichkeiten der Sprache zu nutzen, unsere Lebens- und Esskultur auch in angemessene motivierende Worte - gerne auch quer durch mehrere Sprachen - zu kleiden.
- Zweitens: Den Blick über den Tellerrand schweifen und uns nicht leiten zu lassen von Ge- oder Verboten sondern von unserer Lust am wertvollen Essen und Kochen mit möglichst naturbelassenen Zutaten.
- Drittens: Andere einzuladen, sich auf einer spannenden Reise einer wertvollen Esskultur anzunähern, ihnen unsere Geschichten erzählen und damit motivieren - statt ihnen ein Literaturverzeichnis mit einschlägiger Gesinnungsliteratur vor die Nase zu halten.
- Viertens: Unsere Art der Esskultur so zu präsentieren, wie wir sie empfinden: Genussvoll, bunt, kurzweilig, raffiniert, modern, leicht, bodenständig, weltoffen, anspruchsvoll, vielfältig, international, natürlich, verantwortungsbewusst und wertvoll. In Geschmack, Wort, Bild und Ton.
- Fünftens: Uns der vielfältigen Möglichkeiten und Mittel des Internets zu bedienen, um möglichst viele Menschen neugierig auf unsere Art einer wertvollen Esskultur zu machen. Wir sind mehr als es den Anschein hat. Ganz bestimmt.