Die auflagenstärkste Zeitung im Freistaat Thüringen, die „Thüringer Allgemeine“, wird im Volksmund oft als „Thüringer Allgemeine Kirchenzeitung“ bezeichnet. Warum das so ist, dafür gab allein schon die Lokalausgabe Apolda in der letzten Aprilwoche ein sehr bezeichnendes Beispiel.
Da wurde zu Wochenbeginn über die Auftaktveranstaltung zur (säkularen) Jugendweihe im Landkreis berichtet. Hieran nahmen mehr als 50 Mädchen und Jungen teil; Festredner war der Landrat (parteilos, aber von CDU, SPD und FDP gestützt).
Diesem Ereignis trug die Redaktion mit einem dreispaltigem Text und einem dreispaltigen Foto im sogenannten „Keller” auf der Seite Rechnung. Insgesamt werden in diesem Jahr in der Region mehr als die Hälfte aller Achtklässler an den Jugendweihen teilnehmen.
Zwei Tage später folgte ein Bericht über die Erstkommunion junger Katholiken – Teilnehmerzahl = zwölf.
Diesem Ereignis trug die Redaktion mit einem fünfspaltigem Seitenaufmacher nebst vierspaltigem Foto Rechnung. Nicht nur in der Spaltenzahl war dieser Text deutlich größer, auch in der Anzahl der Druckzeilen.
Zu sollte man dies wissen: Im Weimarer Land sind mehr als 70 Prozent der Menschen religionsfrei. Nach Angaben der evangelischen Kirche gehören ihr nur etwa 20 Prozent der Kreisbevölkerung an. Der Katholikenanteil liegt deren eigenen Angaben zufolge zwischen zwei und drei Prozent.
Doch nicht nur dieses eine Beispiel spricht für eine „kirchenfreundliche” Berichterstattung der sich selbst „unabhängig” nennenden Tageszeitung.
Als ständiger Leser dieser Lokalausgabe kann ich durchaus einschätzen, daß allein im Monat April 2013 die Zahl und die Länge der lobpreisenden (also durchweg unkritischen) Artikel über das kirchliche Leben deutlich größer war als alle Artikel über Kommunalvertretungen, politische Parteien und Gewerkschaften zusammengenommen.
Ausgewogene Berichterstattung sieht anders aus. Diese Art von Berichterstattung könnte man durchaus als eine Form von Missionierung bezeichnen.
Siegfried R. Krebs