Neulich hatte ich Gelegenheit, das Thema „Krankheit“ aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Am Schluss der Sonntagsmesse auf dem Außenposten in Njomlole sagte der Gemeindevorstand an, dass Augenkranke nach Uwemba kommen sollten, da diese Woche ein Augenarzt da sei. Offenbar hatte er übersehen, dass Dr.Grasbon persönlich an der Messe teilgenommen hatte, allerdings in der letzten Reihe. Nach der Messe erkannten ihn dann zahlreiche Gottesdienstbesucher, denn er kommt jedes Jahr nach Uwemba (Das Foto zeigt ihn beim Händewaschen nach Landessitte; warum ich kein Foto von seinen Operationen habe, steht im nächsten Absatz). Gleich am Sonntag Nachmittag fing er an und hat bis Freitag Mittag fast ohne Pause operiert. Schnell füllte sich Uwemba mit Leuten, denen ein Auge verbunden war. Die häufigste Operation betrifft natürlich den Grauen Star. Der Arzt entfernt die trüb gewordene Augenlinse und setzt stattdessen eine künstliche Linse ein. Wenn der Patient den Verband dann nach einigen Tagen wieder abnimmt, kann er auf mittlere Entfernungen wieder gut sehen, für die Ferne oder zum Lesen braucht er eine normale Brille. Ein echtes Wunder: Vorher hilflos und meist mutlos, plötzlich wieder normal. Vor einiger Zeit hatte Dr.Grasbon die Gelegenheit, ein Foto von sich gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Tansanias machen zu lassen. Wenn er jetzt bei der Einreise Schwierigkeiten wegen der medizinischen Geräte bekommt, zeigt er dem Zöllner dieses Foto. Das klappt, so sagt er, fast immer, bis auf einmal, wo er zusätzlich noch die private Handy-Nummer seines mächtigen Freundes zeigen musste. Auf die Aufforderung hin, den Ministerpräsidenten anzurufen, entschied sich der Zöllner dann lieber dafür, den Arzt durchzuwinken.
Einen anderen Blick auf das hiesige Gesundheitswesen gewährte mir mein Körper am selben Nachmittag: Meine erste Malaria. Da das kleine Krankenhaus von Uwemba den Benediktinerinnen gehört, bekommen wir dort sozusagen „Erste Klasse Plus“ mit Einzelzimmer und bevorzugter Behandlung durch Sr.Scholastica (Ärztin) und Sr.Johanna. Aber als am Mittwochmorgen, nach drei Nächten in der Krankenabteilung und ebenso vielen Chinin-Infusionen, das Fieber immer noch nicht gesunken war (knapp 38,9° unter der Achselhöhle), als sich die Schwestern ratlos anschauten und mir auch noch – ungewöhnlich bei Afrikanern – ihre Ratlosigkeit gestanden, fühlte ich mich doch nicht so richtig wohl in dieser Luxus-Umgebung. Und das Gesicht der alten deutschen Küchenschwester Marciana, das sonst immer so freundlich aussieht, kam mir vor wie das einer Hexe. Was entweder an meinem Fieber oder an ihrer Drohung lag, mir eine „leckere Schleimsuppe“ zu kochen. Ein paar Stunden später, am frühen Nachmittag, wachte ich dann schweißgebadet auf, das Fieber war fort, und die Schleim-Drohung hatte ich auch erfolgreich abwehren können. Donnerstag war ich noch ziemlich wacklig auf den Beinen, am Montag fühlte ich mich wieder völlig gesund.
Schon am Freitag Nachmittag konnte ich mich am Empfang für ganz besondere Gäste beteiligen: Ein deutscher Pfarrer, dessen Pfarrei in der Schweiz bei Zürich liegt, ein Mitglied der Gemeinde, zwei Italienerinnen der Gemeinschaft St.Egidio, die in Tansania AIDS-Zentren betreiben, und die junge tansanische Koordinatorin von einem dieser Zentren. Schon bald soll auch in Uwemba Behandlung und Beratung für HIV-Positive und AIDS-Patienten möglich sein. Diese Geschichte begann damit, dass P.Laurenti, unser Prior, vor über einem Jahr einen Bewässerungskanal inspizierte und dabei eine Frau traf, die abseits einen Garten angelegt hatte. Die Frau, so ergab das Gespräch, war an AIDS erkrankt und hielt sich abseits, weil sie sich schämte. Allerdings war sie nicht allein, sondern sie kannte andere Betroffene, mit denen sie sich auch über die Probleme austauschte. Laurenti gab dann den Anstoß zur Gründung einer Selbsthilfegruppe, die inzwischen mehrere 100 Betroffene umfasst (siehe das Gruppenfoto; Laurenti hat sich ganz hinten in der Mitte ziemlich bescheiden versteckt, während P.Stephan, der in der ersten Reihe mit seinem weißen Habit so auffällt, eigentlich gar nichts mit der Sache zu tun hat). Die lebenswichtigen Medikamente (ARV) werden im Regierungskrankenhaus in Kibena bei Njombe ausgegeben, allerdings nur mittwochs, was das erste Problem darstellt, da viele Patienten sich schämen. Und wer regelmäßig mittwochs nach Kibena fährt, der ist schnell als HIV-positiv im ganzen Dorf bekannt. Ach ja, „fahren“ wäre schön. Es gibt keine Busse, nur Sammeltaxis, und die kosten für Hin- und Rückfahrt 10.000 Schilling, 5 Euro. Landwirtschaftliche Hilfskräfte bekommen 80.000 Schilling im Monat, viele haben gar keine Arbeit und leben nur von dem, was sie selbst anbauen. Also: Dienstags zu Fuß nach Kibena aufbrechen, 30 km, irgendwo im Wald schlafen (in der Regenzeit nicht so angenehm), mittwochs die Medikamente für einen ganzen Monat entgegennehmen, zurücklaufen, nochmal 30 km. Hoffentlich ist man jung und gesund. Laurenti hat beim Krankenhaus in Kibena vorgesprochen, ist auch zum nächstgrößeren Krankenhaus nach Iringa gefahren, und hat erreicht, dass ab April in Uwemba eine neue Ausgabestelle für Medikamente eingerichtet wird. Die Schweizer helfen uns finanziell, St.Egidio will fünf Ärztinnen, Schwestern und Berater in ihrem Zentrum fortbilden.
Das letzte Foto zeigt den Deutsch-Schweizer Pfarrer und seinen mitgebrachten aufblasbaren Globus in unserem Kindergarten.
Aus unterschiedlichen Blickwinkeln
Autor des Artikels : rsk6400
Zum Original-ArtikelErlebnisse eines deutschen Mönchs im Alltag auf Kuba.