ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« 592 • 12. Oktober 2012
von Walter G. Goes (Bergen/Rügen)
An den 210. Geburtstag von Arnold Ruge hat mich in der vergangenen Woche ein Bücherfund im Stralsunder ABC-Antiquariat nachdrücklich erinnert. Es handelt sich um den Ruge-Band Aus früherer Zeit, der in der Reihe der Hamburgische(n) Hausbibliothek von Alfred Janssen in einer Auflage von nur dreitausend Exemplaren erschien. Das liebevoll gestaltete Buch wurde 1913 von der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde, der Patriotischen Gesellschaft und der Lehrervereinigung für die Pflege der künstlerischen Bildung in Auftrag gegeben.
Alle Achtung, was da vor fast genau 100 Jahren im temporären Zusammenschluss weniger Bürgervereine Hamburgs möglich war. Immerhin galt der Band einem keineswegs zimperlich agierenden politischen Akteur, der als linker Hegelschüler in der Zeit des deutschen Vormärz und der deutschen Revolution von 1848/49 »das Freisinnigste und Revolutionärste« verkörperte, »was jemals vom deutschen Bürgertum hervorgebracht wurde«(H. und I. Pepperle). Kein rotes Tuch, keine noch so politisch nachwirkenden Befindlichkeiten verhinderten diese Ausgabe, die dem Leser die Heimat Ruges, sein Rügen, seine dort verbrachte Kindheit und Schulzeit (in der Kantorschule Bergen!) aufzeigte; die so gesehen nach der vierbändigen Autobiographie von 1862 erstmals wieder das Licht der Lesewelt als Solitär erblickte und damit einem der wirklich bedeutenden Söhne Rügens ein handlich-literarisches Denkmal setzte.
Ich las es dieser Tage voller Staunen.
Arnold Ruge wurde am 13.9.1802 als Sohn des Gutsverwalters Christoph Arnold Ruge und dessen Ehefrau Sophia Katharina Wilcken in Bergen geboren, im Hause seiner Großmutter mütterlicherseits, heute Markt 17. Die Erlebnisse der Kindheit auf Jasmund, auf den väterlichen Pachtgütern Bisdamitz und Spyker, schildert Ruge überaus detailliert.
Etliche Einsprengsel lassen den späten Ruge erkennen: »Auch der einzelne Tyrann oder der einzelne Verräter wird leicht überschätzt. Beide würden ohnmächtig am Volkswillen zerschellen, wenn das Volk die Tyrannei und den Verrat der Freiheit nicht unterstützte.«(S. 117)
Arnold Ruge, der dem ehemaligen Mitstreiter Karl Marx in Paris 1844 die Leviten las (wie dieser ihm!), wurde darüber in der DDR auf lange Zeit zur Unperson.
Spärlich, eigentlich erst ab Mitte der 1980er Jahre, erfuhr man mehr. Nicht zuletzt durch Wolfgang Ruge (1917-2006), dem Ururenkel von Arnold Ruge und legitimen Nachfolger im kritischen und tabulosen Denken. ARTus
Der revolutionäre Visionär Arnold Ruge wurde vor 210 Jahren in Bergen auf Rügen geboren. Zeichnung: ARTus