Aus einer Handschrift des XV. Jahrhunderts | Kalenderblatt Juni

Aus einer Handschrift des XV. Jahrhunderts | Kalenderblatt Juni Neben dem eigentlichen Thema, der Taufe Christi, wird hier das Motiv 'Die Ernte' behandelt. Auf überraschende und reizvolle Weise hat hier der Künstler dem in einen Goldgrund verwobenen Kornfeld eine Raumwirkung gegeben, indem er kleine plastische Figuren hineinstreute, die das Korn und die riesigen Blumen schneiden. Diese Kornblumen und Pechnelken, deren Blautöne einen fast modisch-raffininierten Klang ergeben, zeugen von einer ebenso starken Wirklichkeitsbeobachtung und Daseinsfreude wie die figürlichen Szenen selbst. Zwischen den Schnittern und Schnitterinnen erkennt man zwei herrschaftliche Jagdknechte, deren einer beritten ist und auf der Hand den Falken trägt, während der andere im Kornfeld mit einem Mädchen scharmuziert.  Man glaubt aus dieser Zeichnung den gelassenen Rhythmus des ländlichen Jahres und das Glück einer selbstverständlichen Ordnung zu spüren, überschattet von der ewigen Wehmut eines uralten Volksliedes:
"Ich hört ein Sichlein rauschen,
Wohl rauschen durch das Korn,
Ich hört eine feine Magd klagen,
Sie hätt ihre Lieb verlorn."
Diese Reproduktion vermittelt eine Ahnung von dem kunstreichen Verfahren, mit dem das Blattgold auf das Pergament gehämmert ist und hierauf dann die deckenden Gouachefarben aufgetragen sind. Das Gold, Lieblingsfarbe des Mittelalters und auf vielen Abbildungen vertreten, wird seit der Ottonischen Zeit häufig als Hintergrund verwendet, als solcher aber später zugunsten der realistischen Tiefenwirkung aufgegeben, die auf der dekorativen Goldfläche nicht zu erzielen ist.  
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