Michaela Preiner
„Die Physiker“ (Foto: Johanna Lamprecht/Schauspielhaus Graz) Die Nerven müssen beruhigt werden, selbst auf die Gefahr hin, die Lungen mit Nikotin zu verpesten. Was der Seele guttut, muss nicht zwangsläufig auch dem Körper guttun. Das demonstrieren in trauter Dreieinigkeit Dr. Mathilde von Zahnd und ihre beiden besten Pflegerinnen während einer durchchoreografierten Rauchpause im rundum verglasten Raucherkammerl des Sanatoriums „Les Cerisiers“.

Dass sich das „Team“ um die Sanatoriumsbesitzerin Dr. Zahnd ausschließlich in türkisem Ärztehabit zeigt, mag nur auf den ersten Blick unverdächtig erscheinen. (Kostüme und Bühne Frank Holldack, Elisabeth Weiß). Spätestens als das Ende naht und die verrückte Ärztin von ihrem Imperium und jenen blauen Pferden, welche um das Sanatorium herum aufgestellt sind, schwadroniert, fällt der Groschen. Türkis ist in Österreich seit einigen Jahren politisch determiniert und die Querverbindung zwischen einer Nervenheilanstalt, in der die Absurdität fröhliche Urstände feiert, und jener Partei, die erneut im Begriff ist, den Kanzler in diesem Land zu stellen, darf in einer funktionierenden Demokratie am Theater zum Glück hergestellt werden.
Es ist aber nicht der einzige Twist, den die Regisseurin der ohnehin tiefschwarzen und tiefsinnigen Komödie des Schweizer Schriftstellers, verpasst. Dürrenmatts Foto und eines des Kultur- und Kunstwissenschaftlers Aby Warburg blicken von der Wand auf das Publikum herab, so als ob die beiden Antipoden das tolle Treiben auf der Bühne unter ihren wachsamen Augen nicht aus dem Ruder laufen lassen wollten. Und tatsächlich erweitert Bossard die Geschichte von den drei Physikern Sir Isaac Newton, Albert Einstein und Johann Wilhelm Möbius, die aus unterschiedlichen Motiven in einer Nervenheilanstalt gelandet sind, um eine ganz spezielle Erzählung von Warburg.

Bis es aber so weit kommt, zeigt sich die Drehbühne des Schauspielhauses in Graz von vielen verschiedenen Seiten. Einmal zum Publikum hin geschlossen, wie eine Trutzburg aus der man weder hinein noch hinaus kann. Dann wieder von innen – mit bereits beschriebenem Raucherkabinett und einer live agierenden Band. Die durchgehende Besetzung der männlichen Rollen mit Frauen und umgekehrt rechtfertigt Bossard mit dem Aufbrechenwollen von sozial determinierten Rollen. Unbedingt notwendig wäre dies nicht, hat doch Dürrenmatt selbst mit der Figur von Frau Dr. Zahnd einen machtbesessenen Charakter geschaffen, der keine weiblichen Züge trägt.
Die Erzählung, die von einer Krimikomödie zu einem Politthriller mutiert, kippt in der Inszenierung in eine War-game-Szenerie mit gefährlichen Schusswechseln. Da darf dann geballert werden, was das Zeug hält, bis Vernunft einkehrt und die „Guys“ ihre Waffen wieder ablegen. Neben tempo- und gagreichen Szenen gelingt Bossard mit der Vorstellung des genialen Physikers Möbius auch ein emotionales Highlight. Begleitet zu wilden Bandklängen verausgabt sich Sarah Sophia Meyer in dieser Rolle in einem Anfall von wissenschaftlicher Raserei und schreibt dabei permanent Formeln an die Innen- und Außenwände des gläsernen Raumes. Das Getriebensein eines rastlosen Geistes wird durch die kluge Choreografie anschaulich gemacht, in welcher Möbius` Körper auch von Zuckungen heimgesucht wird und mehrfach auf dem Boden Verrenkungen macht. Eine außerordentliche Szene, die stark im Gedächtnis haften bleibt.




Bei Dürrenmatt hingegen wendet sich das Blatt wieder und der Ort seiner „Kirschbäume“ mutiert zum Sinnbild eines diktatorischen Weltherrschaftssystems, das seine brillanten Köpfe ausbeutet und wegsperrt. Die globale Wirtschaftsmacht, die sich Dr. Zahnd mithilfe von gestohlenem Know-how aufgebaut hat, zieht wiederum eine Kapitalkonzentration nach sich, der man zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigentlich entkommen wollte.
Sind „Die Physiker“ an und für sich schon ein Stück mit mehreren Ebenen, wird es in der Bossard-Version mit noch weiteren ausgestattet. Mit ihm erlebt man einen spritzig-witzigen Theaterabend, erhält aber auch ein ganzes Paket an zeitgeistigen Input, über deb es sich lange nachzudenken lohnt.
Zu Recht viel Applaus am Premierenabend für:
Andri Schenardi, Matthias Ohner, Frieder Langenberger, Julia Franz Richter,
Tamara Semzov, Sarah Sophia Meyer, Alice Peterhans, Anna Troper-Lener, Paul Öllinger,
Oliver Chomik, Beatrix Doderer, Susanne Konstanze Weber