Heute ist wieder ein Iran-Report der Heinrich Böll Stiftung erschienen. Wie immer ist sehr lesenswert, was Bahman Nierumand aufgeschrieben hat. Doch anders als sonst immer werde ich heute nicht den Inhalt auflisten – der Report wird morgen oder übermorgen online nachzulesen sein.
Nein, dieses mal möchte ich zwei Beiträge ausführlich zitieren, denn die Themen waren in den letzten Tagen auch hier vertreten:
Abgesetzter Geheimdienstminister bleibt im Amt
Kurz nachdem Regierungschef Ahmadinedschad den Rücktritt seines Geheimdienstministers angenommen hatte, kehrte der Minister auf Anordnung des Revolutionsführers in sein Amt zurück.
Am 17. April brachten iranische Medien eine überraschende Eilmeldung, in der es hieß, Geheimdienstminister Heydar Moslehi habe sein Rücktrittsgesuch eingereicht und Regierungschef Mahmud Ahmadinedschad habe den Rücktritt angenommen und Moslehi zum „Berater des Präsidenten in Geheimdienstangelegenheiten“ ernannt. Doch kurze darauf meldeten die Agenturen, Revolutionsführer Ali Chamenei habe den Rücktritt nicht akzeptiert und den Minister wieder auf seinen Posten beordert.
Es ist das erste Mal in der Geschichte der Islamischen Republik, dass nach Annahme des Rücktritts eines Ministers durch den Staatschef der Revolutionsführer die Entscheidung rückgängig macht. Nach der iranischen Verfassung gehört die Ernennung oder Absetzung eines Ministers zu den Befugnissen des Staatspräsidenten, nicht zu denen des Revolutionsführers, obwohl nach bisherigem Brauch die Ernennung einiger Minister, wie die des Außen- und Geheimdienstministers, nach Beratung mit dem Revolutionsführer erfolgt. [...]
Offiziell gibt es bislang keine Begründung für den Rücktritt Moslehis, der in Wirklichkeit eine Absetzung des Ministers war. Doch nach Meinung iranischer Medien gab die Absetzung eines Staatssekretärs im Geheimdienstministerium durch Moslehi den Ausschlag für die Entscheidung Ahmadinedschads. Allerdings wurde schon seit Monaten in der Presse über eine mögliche Absetzung Moslehis spekuliert. Schon bei seiner Amtsübernahme im Juni 2009 äußerten politische Beobachter die Ansicht, er sei aufgrund mangelnder Erfahrung für den Posten nicht geeignet.
Sein Vorgänger Gholamhossein Mohseni Ejehi wurde 2009 von Ahmadinedschad mit der Begründung abgesetzt, er habe die im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl ausgebrochenen Unruhen nicht verhindern können. [...]
Politisch betrachtet, geht es bei dem Vorfall nicht allein um eine Kraftprobe zwischen Chamenei und Ahmadinedschad. Der Streit um den Minister deutet darauf hin, dass der Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Frühjahr nächsten Jahres bereits begonnen hat. Es ist eine Binsenwahrheit, dass das Geheimdienstministerium bei den Wahlen eine wichtige Rolle spielt. Im Iran sagt man: „Wer die Macht über den Geheimdienst hat, entscheidet die Wahl“. Je geringer die Rolle der Reformer bei den kommenden Wahlen sein wird, desto stärker wird sich der Machtkampf innerhalb des konservativen Lagers abspielen. Die Front gegen Ahmadinedschad wächst. Die große Frage ist, welche Position Chamenei letztendlich im entscheidenden Moment einnehmen wird. Bei der letzten Präsidentenwahl hatte er sich eindeutig auf die Seite Ahmadinedschads gestellt. Ob der Vorgang um den Geheimdienstminister tatsächlich, wie viele Beobachter meinen, auf einen Positionswechsel des Revolutionsführers deutet, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten herausstellen. [...]
Kontroverse „Iran oder Islam“ spitzt sich zu
Der Streit zwischen den Anhängern der Regierung von Mahmud Ahmadinedschad und anderen Vertretern des konservativen Flügels über den von der Regierung eingeschlagenen nationalistisch angehauchten Kurs steuert auf eine unüberbrückbare Spaltung zu. Obwohl zahlreiche Großayatollahs sowie namhafte Parlamentarier die neue Strategie der Regierung scharf kritisiert haben, setzen Ahmadinedschad und seine Gefolgschaft ihren Weg fort. Erstaunen erweckt in diesem Zusammenhang, dass sich Revolutionsführer Ali Chamenei, der offiziell die Richtlinien der Politik festlegt, bisher auffällig zurückgehalten hat. Er beließ es bei einem Appell an die Kritiker, es handele sich um ein „sekundäres Problem“, das man nicht gegen die Regierung verwenden sollte.
Ahmadinedschad und seine Anhänger haben offenbar festgestellt, dass der politische Islam als Staatsideologie im Laufe der Jahre, insbesondere nach der Präsidentenwahl 2009, seine Legitimation in weiten Teilen der Bevölkerung verloren hat. Ein national orientierter Kurs und die Hervorhebung der alten iranischen Kultur könnten, so hofft man, zumindest einen Teil der iranischen Mittelschicht zugunsten der Regierung mobilisieren. Zwar richtet sich der neue Kurs nicht gegen den Islam, weil das für einen Staat, der sich auf den Islam beruft, untragbar wäre. Man versucht eine Kombination zwischen Nationalismus und Religion und spricht von einem „iranischen Islam“. Begründet wird dieser Begriff damit, dass der Islam, als er in Iran eingeführt wurde, auf eine reiche Kultur stieß, die weit entwickelter war als die der Araber. Deshalb habe der Islam sich mit der iranischen Kultur vermischt und damit eine nationale Prägung erhalten. Diesen Islam gelte es nun gegen den traditionellen Islam durchzusetzen. [...]
Das ist eine Politik, die der bisher in der Islamischen Republik herrschenden Ideologie konträr entgegengesetzt ist. Denn gemäß der von Ayatollah Chomeini eingeführten Staatsdoktrin orientierte sich das gesamte öffentliche und private Leben am Islam, während jede Neigung zum Nationalismus als Irrweg bezeichnet wurde. [...]
Die Kontroverse über den Kurs der Regierung, die längst zu einer Spaltung im Lager der Konservativen geführt hat, wird ohne Zweifel auch das Ergebnis der Parlamentswahlen im kommenden Jahr entscheidend beeinflussen. Es ist ein Machtkampf, der schwere Folgen für den Bestand der Islamischen Republik haben könnte. [...]
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