Augen.Blicke.

Von Cubemag

Die Tür steht einen Spalt offen. Aus dem Fernseher im Zimmer dröhnen viel zu laute Stimmen.  Wie sie da so liegt, mit dem weiten Nachthemd, den zerzausten Haaren und der verrutschten Brille zaubert sie einem unwillkürlich ein Schmunzeln auf die Lippen. Verzweifelt hämmert sie auf die Tasten der Fernbedienung und versucht den Fernseher zu beruhigen.

“Nu halt do` ma still. Was tusts` so schrei`n… „.

Ich nehme ihr die Fernbedienung aus der Hand und drehe den Ton leiser. Sie liegt wie ein Tröpfchen in der Kurve im Bett und versucht sich vergeblich aufzurichten.

Ich helfe ihr hoch und sage: „Sie dürfen heute endlich nach Hause!“.

Tiefblaue Augen schauen zu mir hoch. Sie sind umrahmt von tiefen Falten.

„Nach Haus?“ fragt sie als wüsste sie bereits, dass die Antwort in meinem Kopf sowieso falsch ist.

„Zuhaus` bin ich erst wenn ich da obe bin“.

Sie zeigt aus dem Fenster und lächelt.

Ich würde gerne wissen, wer sie ist… ihr wacher Blick und die feste Stimme zeigen ganz klar, dass sie nicht die hilflose, verwirrte Oma ist, die ich an der Tür zu sehen schien. Welche Erlebnisse und Momente ihres 98 Jahre langen Lebens hat sie in den Tiefen ihrer Falten versteckt? Welche Erfahrungen sind es, die ihren Blicken solche Bedeutung und ihrer Stimme solchen Nachdruck geben können, dass man sich vor ihr unerfahren und dumm vorkommt?

Nachdem sie mir mit einem vielsagenden Zwinkern die Wange tätschelt und die Weisheit nun erst recht aus ihr heraus zu sprudeln scheint, wandern ihre Augen wieder zum Fenster. Und genau in diesem Augenblick, in diesen Augen, in diesem Blick leuchtet es auf… ihr Warten darauf, was die meisten von uns fürchten.

„Heimatlos!“ sagt sie.

„HEI-MAT-LOS…“

Noch nie dürfte der Himmel so blau gewesen sein wie die Augen die in diesem Moment zu ihm hinaufschauten…