Auge in Auge mit der Kobra

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Das war ein fürchterlicher Schreck! Wir hatten uns eben in das Tuktuk gepfercht (das Tuktuk ist ein kleines, dreirädriges Taxi in Asien) die Kinder auf dem Schoss und die Einkäufe zwischen den Füssen, als der Seitenvorhang des Gefährts nochmals zur Seite geschoben wurde und ein bärtiges Gesicht mit schulterlangen, verknoteten Haaren strahlend reinschaute und dazu – von den zwei Yogihänden festgehalten – eine wild züngelnde Kobra. Aber der Tuktukfahrer gab Gas und der Spuk war verschwunden.

Was war das? Mein Lehrer für Nepali erklärte mir am Nachmittag, dass das eine Art Segen war, ein Glückwunsch für die Fahrt – und bei diesen labilen Gefährten und dem verrückten Verkehr könne man das ja gut gebrauchen. Ok. Dann vielen Dank, Saddhu und Kobra, es hat genutzt.

War das nun richtig oder falsch, was der Saddhu tat? Er hat mir wohl eine kleine Lektion erteilt, dass es Richtig und Falsch auf dieser Welt als absolute Größe nicht gibt. Was für ihn in dem Moment eine große, segnende Geste war, das war für uns der größtmögliche Schreck…

Alle Werturteile hängen vom Rahmen ab, den man setzt. Was im einen Rahmen richtig ist, ist im anderen Rahmen falsch. Je enger der Rahmen, umso klarer die Aussage: dies ist gut, jenes schlecht. Machen wir aber den Rahmen weiter, treten wir zurück, dann können plötzlich mehrere Dinge richtig sein. Manchmal holt man sich schnell wieder irgend einen Rahmen, denn es ist fast unerträglich, wenn zu viel richtig sein soll. Besonders beängstigend ist es, wenn in einem Krieg Millionen von Menschen das jeweils Gegenteilige für Richtig beziehungsweise für Falsch halten!

Trotzdem bekommt man mit einer großen Distanz und mit dem Verzicht auf den Werte-Rahmen so eine Ahnung weshalb es immer wieder Mystiker gab und gibt, die Behaupten: Alles ist gut und richtig, genau so, wie es gerade  ist.


Einfach DAS / 62cm x 45cm / Acryl auf Zeichenpapier/ 2011, Nr.11-037