Aufwachsen in unserer heutigen Welt

Den Kindern in Deutschland geht es materiell eigentlich gar nicht schlecht (von den armen Hartz-IV-Kindern mal abgesehen) aber trotzdem sind sie unglücklich. Ungefähr das ist das Ergebnis des UNICEF-Berichts zur Lage der Kinder in dem Industrieländern. Das wundert mich nicht – es war ja noch nie ein Vergnügen Kind zu sein, auch wenn noch immer viele Erwachsene behaupten, dass es nie wieder so schön wäre wie in der Kindheit.

Eine Behauptung, die mich früh schon in Panik versetzte: Wenn es schon “schön” sein sollte, ein von elterlicher Willkür abhängiges Irgendwas zu sein, das nicht für voll genommen, dafür in peinliche Klamotten gesteckt, zum Teller-leer-essen genötigt, früh ins Bett geschickt und auch sonst alles mögliche werden konnte – wie schlimm musste dann erst das Erwachsenenleben sein, von dem meine Eltern immer behaupteten, dass dann erst der Ernst des Lebens losgehen würde, in dem ich doch längst bis zum Hals zu stecken vermeinte?!

Erwachsene müssen immer arbeiten, haben keinen Spaß, tragen schrecklich viel Verantwortung, müssen immer alles richtig machen, ohne, dass ihnen das halbwegs gelänge, haben furchtbar viel Stress und sind meistens schlecht drauf. Erst recht, wenn sie sich vorgenommen haben, sich mal einen schönen Tag zu machen. Das ist dann nämlich erst recht Stress, weil man so richtig unbeschwert und glücklich ja nur als Kind sein kann, folglich muss der ganze Tag ja schief gehen, weil Erwachsene zum Glücklichsein ja schon viel zu alt sind.

Kein Wunder, dass ich schreckliche Angst vorm Erwachsenwerden hatte – wo mir doch das Kindsein schon so wenig Spaß gemacht hat. Glücklicherweise hatten meine Eltern gelogen und es war alles gar nicht so schlimm. Was sie mir nämlich nicht verraten hatten, war die Tatsache, dass man beim Erwachsenwerden durchaus sehr viel Spaß haben kann, wenn man es richtig anfängt. Ein erster Schritt dazu ist rechtzeitig auszuziehen, um ohne elterliche Aufsicht die neuen Erwachsenden-Freiheiten auszutesten.

Insofern kann ich Entwarnung geben: Kindheit ist keineswegs das Schönste im Leben, im Gegenteil: Je länger das her ist, desto glücklicher werde ich. Natürlich muss ich viel zu viel arbeiten und trage schrecklich viel Verantwortung, habe eine Menge Stress, zu wenig Geld und kann die meiste Zeit nicht machen, was ich will. Aber ich lasse mir immer weniger reinreden und erwarte längst nicht mehr von mir, dass ich auf irgendwelchen Unsinn höre, den irgendwelche Leute, die sich für besondern erwachsen halten, absondern. Die Umstände sind heute keineswegs glücklich, weder für Kinder noch für Erwachsene, aber es es bleibt immer noch Zeit übrig, mit der ich anfangen kann, was ich will. Und das beste dabei ist, dass ich mir weder Gedanken darüber machen muss, wie meine Eltern das finden, noch was später aus mir werden soll. Ich bin ja schon sowas von geworden. Vielleicht nicht unbedingt, was meine Eltern wollen, aber die haben ja auch schon lange nichts mehr zu sagen. Ich hätte nur noch viel weniger auf sie hören sollen. Artige Kinder haben halt noch viel weniger Spaß als andere.

Ich denke, dass die Kinder heute ihre Situation völlig zu recht als ziemlich mies einschätzen – schon allein deswegen, weil das, was aus den Kindern wird, inzwischen zu einem schier unerträglichem Maß vom Elternhaus abhängig ist. In keinem anderen Land der Welt bestimmt das Elternhaus den Weg der Kinder so eindeutig vor wie in Deutschland: Akademiker-Eltern produzieren Akademiker-Nachwuchs, Arbeiter-Eltern produzieren Niedriglöhner und Arbeitslose mit großer Wahrscheinlichkeit noch mehr Arbeitslose. Was aber nicht an den Arbeitslosen liegt, die ja durchaus auch akademisch gebildet sein können, sondern an den Umständen, die halt nicht anders sind.

Wie soll man denn unter solchen Umständen ein glücklicher Mensch werden können, selbst wenn die Eltern keine Hungerleider sind?! Diese ganzen armen, ständig von überengagierten Eltern umsorgten Wohlstandskinder, die entweder mit ganzheitlichem Wohlfühlterror oder supereffektiver Allround-Nachhilfe daran gehindert werden, außerhalb des von den Eltern betriebenen Karriereprojektes für den Nachwuchs irgendwelche Lebenserfahrung zu sammeln, die können einem und sich selbst doch nur leid tun! Und die anderen, deren Eltern schon keine Karriere für sich selbst auf die Reihe gekriegt haben, können den anderen Kindern auch nur dabei zuschauen. Denn ohne Wohlfühl- und Nachhilfeterror gibt es in der Regel auch keine Karriere, dafür reicht die erbärmliche Erniedrigungsprozedur mit der irreführenden Bezeichnung Bildungspaket keineswegs aus.

Und worauf sollten sich die Kinder von heute denn für ihr späteres Leben freuen? Dass sie den Rest ihres Lebens noch für eine Eurorettung bezahlen sollen, von der sie nie profitiert haben? Dass sie, selbst wenn sie ein gutes Abi geschafft haben, an überfüllten Unis mit einem Schmalspur-Studium auf maximale Verwertbarkeit zugerichtet werden, ohne auch nur eine Ahnung davon zu bekommen, wofür Wissenserwerb und Wissenschaft eigentlich gut sein könnten? Dass sie sich dann als junge Arbeitskraft in Praktika und Jahresverträgen verschleißen dürfen, bis sie zu alt für eine Festanstellung sind? Dass sie, selbst wenn sie einen halbwegs vernünftig bezahlten Job ergattern, ihr ganzes Leben lang keine Rente zusammen schaffen können, die ihrem Alter zum Überleben reicht? Dass sie noch unzählige Generationen auf dem Atommüll ihrer Altvorderen sitzen dürfen, die angeblich gewollt haben, dass es den Kindern einmal besser geht? Dass man ihnen immer wieder erzählt, dass es nicht aufs Geld, sondern irgendwelche anderen Werte ankommt, während doch alles, was man zum Überleben braucht, mit Geld und zwar immer mehr Geld, bezahlt werden muss? Dass diese anderen Werte irgendwie auch nichts wert sind, obwohl wenn Verrückte verlangen, für Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft notfalls auch zu sterben?

Meinen Eltern und Großeltern hat man erzählt, dass es sich lohnt für den Kaiser, für den Führer und für Deutschland zu sterben – und jede Menge sind dafür gestorben. Gelohnt hat sich das definitiv nicht. Aber vermutlich haben sie sich trotzdem nicht getraut, als Kind schlecht drauf zu sein. Aber damals galten Kinder weder als Armutsrisiko noch als Karriere-Killer. Die Frauen mussten ja eh zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Und später, als die Mütter erst in der Rüstungsindustrie und dann beim Wiederaufbau gebraucht wurden, fand keiner etwas dabei, die Kinder einfach sich selbst zu überlassen, obwohl das nach dem Krieg bestimmt nicht ungefährlicher war als heute. Aber da waren Kinder halt noch kein Lifestyle-Zubehör, sondern einfach nur vorhanden.


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