Aufwachen, Mama!

2001: Mama Venditti, vor wenigen Monaten erst Mama geworden, liest in der Tageszeitung, dass Jugendliche sich immer öfter bis zum Umfallen besaufen. „Auf jedes Extrem folgt ein Gegenextrem“, denkt sich Mama Venditti. „Bis Karlsson in dem Alter ist, wird saufen unter den Jugendlichen total out sein.“

2003: Mama Venditti liest, dass die Verbreitung jeder erdenklichen Schweinerei unter Jugendlichen dank Internet und Handy erheblich zugenommen hat. „Bis meine Kinder in dem Alter sind, wird man bestimmt für einen besseren Kinder- und Jugendschutz sorgen“, beruhigt sie sich selber. 

2005: Mama Venditti schaut sich eine Statistik an, die belegt, dass sich Mädchen immer öfter masslos betrinken, weil die süssen Mixgetränke ihren Geschmack genau treffen. „Bis Luise so gross ist, sind diese zuckersüssen Versuchungen bestimmt längst verboten“, murmelt sie vor sich hin.

2007: Mama Venditti erfährt, dass Cannabis für viele Jugendliche einfach dazugehört. „Was jetzt normal ist, wird in ein paar Jahren völlig veraltet sein“, beruhigt sie sich. 

2009: Mama Venditti liest einen Artikel, in dem steht, dass Jugendliche immer leichter an harte Drogen herankommen. „Bis meine Kinder in dem Alter sind, wird man viel härter durchgreifen“, hofft sie.

2011: Mama Venditti sitzt in einem Vortrag über Rauschtrinken und wird sich gewahr, dass a) die jüngsten Kinder, die in der Statistik erfasst sind, nicht erheblich älter sind als ihre eigenen und dass b) die Gefahren für Kinder und Jugendliche nicht ab- sondern zugenommen haben. Nicht, dass sie je allen Ernstes an ihre eigenen kläglichen Beruhigungsversuche geglaubt hätte, aber ein wenig mulmig wird ihr schon, wenn sie sich eingestehen muss, dass die Schonzeit wohl bald vorbei ist. Eines aber beruhigt sie dennoch: Die Referentin weist darauf hin, dass gute Beziehungen innerhalb der Familie Vieles verhindern helfen. Mama Venditti denkt sich, dass bei Vendittis im Alltag zwar fast alles anders läuft als im Erziehungsratgeber, dass aber kaum ein Tag vergeht, an dem nicht auf die eine oder andere Art – mal mit Loben und Unterstützen, dann wieder in einem lautstarken Streit, der in einer liebevollen Versöhnung endet –  an den Beziehungen gearbeitet wird.

Aufwachen, Mama!



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