Bei Touristen und Flüchtlingen ist Deutschland sehr beliebt. Wenn meine Frau von der Arbeit in einer Flüchtlingsunterkunft berichtet, dann erzählt sie von Kindern, mit denen man spielt und die einige glückliche Stunden haben, von Menschen, die mit Feuereifer die Worte “guten Tag” und “Aufwiedersehen” üben und einsetzen. Gleichzeitig aber fragt mich eine befreundete Journalistin mit türkischen Wurzeln, wo sie denn hin solle, wenn sie sich hier, in ihrem Zuhause, nicht mehr wohlfühle. Im Netz und auf der Straße nehmen die rassistischen und menschenverachtenden Straftaten erschreckende Ausmaße an, und eine ARD-Reporterin ruft zum “Aufstand der Anständigen” auf. Dem kann ich mich nur anschließen, und so berichte ich über Heinrich Schmitz und Anja Reschke.
Vor ein paar Wochen hat ein Student auf der Campagnenplattform change.org eine Petition gestartet, die ein Verbot fremdenfeindlicher Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen fordert. Binnen kurzer Zeit wurde diese Petition von 40.000 Menschen unterzeichnet, was im Gegensatz zu anderen Petitionen zwar nicht überwältigend ist, aber doch eine gewisse Beachtung verdient. Daraufhin erhielt der Student Hassmails und Morddrohungen über Facebook und Twitter. Die Familie des jungen Mannes wurde so massiv bedroht, dass er die Petition vom Netz nahm und sich zurückzog. Schließlich übernahm eine Gruppe engagierter Menschen die Petition und führte sie mit Einverständnis von change.org fort, darunter der Rechtsanwalt Heinrich Schmitz, der seit einigen Jahren im Diskussionsblatt “The European” als Kolumnist tätig war. Inzwischen hat die Petition rund 57000 Unterstützer, aber Heinrich Schmitz hat sich vor einer Woche zurückgezogen. Warum, das erklärte er in einer öffentlichen “Kapitulation” vor den Rassisten auf change.org:
“Auf der Fahrt zu einer meiner Töchter klingelte plötzlich mein Smartphone. … Eine hektische Frauenstimme [sagte], … Sie sei von der Polizei. Man habe einen Anruf
erhalten, meine Frau sei ermordet worden. Die Leiche befände sich in unserem Haus. Die Privatanschrift habe der Anrufer ebenfalls genannt. Die Polizei sei gerade in unserem Haus und suche nach der Leiche. … Ich hatte das Telefonat schon fast in die Abteilung
„galoppierender Schwachsinn“ verbannt, als wir bei unserer Tochter ankamen. Sie stand zitternd da, weil ihr die Polizei gesagt hatte, es sei mitgeteilt worden, dass ihr Vater ihre Mutter ermordet hätte. … Angeblich hätte ein Heinrich Schmitz bei der Polizei angerufen und mitgeteilt, er habe seine Frau ermordet.”
Diese Aktion hat auch Heinrich Schmitz eingeschüchtert, der jahrelang gesellschaftspolitische Kolumnen schrieb und sich von vielen Seiten Häme und Spott hat gefallen lassen müssen. In seinem Kapitulationsbrief erklärt er dazu: “Kann der Wunsch, der Gesellschaft zu dienen wirklich wichtiger sein, als die
Pflicht, die Familie vor Angriffen zu schützen? Ja, das hätte ich vielleicht sogar zugunsten der Gesellschaft … entschieden, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass „die
Gesellschaft“ selbst irgendwie mitzieht und allen extremistischen Bestrebungen ein klares STOPP entgegensetzt. Wenn es zu einer Allianz der Anständigen gegen die Hassbürger gekommen wäre oder wenigstens zu klaren Reaktionen aus der Politik. Dann wäre es vermutlich gar nicht erst zu irgendwelchen Einschüchterungsmaßnahmen gegen die Petition gekommen. … Seien Sie mal ehrlich, was sind wir aufrechten 55.000
in einem 80-Millionenvolk. Wo sind die Prominenten, die sich mit uns schützend vor die Asylbewerber stellen?”
Das Resymee von Heinrich Schmitz ist bitter, lässt mich beschämt, wütend, traurig und teilweise mutlos zurück:
“Die Mehrzahl der Bevölkerung hat den Staat offenbar schon aufgegeben und begnügt sich damit, sich entspannt am Sack zu kratzen, während andere für sie die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. … “Übertreib doch nicht. Die Gefahr sind doch nicht die besorgten Bürger, die
Gefahr ist der Islam, der Ami, der Jude, der Euro, der Fremde.” … Mein Entschluss steht fest. Sie werden von mir keinen politischen Text mehr zu Lesen bekommen. … Ich werde sicher der oft gescholtene Gutmensch bleiben, aber ich werde mir nicht mehr
für meine lieben Mitbürger, die ihren Arsch erst hoch bekommen, wenn sie von einem Hooligan aus ihrem Sofa geprügelt werden, in der Öffentlichkeit den Arsch aufreißen.”
Die überall anzutreffende rassistische Hetze verschreckt die aufrechten, gewaltlosen, demokratischen Bürger, und der Staat sieht tatenlos zu. Auch hierzu noch einmal Heinrich Schmitz: “Ich habe kapiert, dass die „schweigende“ Mehrheit der Bevölkerung am
liebsten „schweigt“. Dass sie keineswegs mit dem Hass auf den Straßen einverstanden ist, aber lieber hinter den Gardinen steht, statt selbst auf die Straße zu gehen. Dass die Frau an der Spitze dieses Landes das Schweigen zur Regierungsmaxime erhoben hat und sich gerade deshalb alternativloser Beliebtheit erfreut. Dieses Schweigen wird über kurz oder lang zu einem „Schweigen der Lämmer“ werden. Es soll dann nur niemand behaupten, er hätte nichts gewusst oder er habe nichts tun können.”
Das Schlimme ist, das ich diesen Mann und seine Angst verstehen kann. Wenn ich so massiv bedroht würde wie er, würde ich vielleicht auch keine kritischen Berichte mehr in dieses Blog schreiben. Denn auf staatliche Hilfe gegen rechtsextreme Drohungen oder gar gegen Gewalt hoffe ich schon lange nicht mehr. Der Vergleich mit dem Ende der zwanziger und dem Beginn der dreißiger Jahre ist angebracht. Ich bewundere meine Frau, die bei der Flüchtlingshilfe hier in Marburg arbeitet und davon öffentlich berichtet. Das Klima wird zunehmend ein Klima der Angst, und der “Aufstand der Anständigen” lässt auf sich warten.
Und damit sind wir beim zweiten Beitrag, der mich besonders bewegt hat: Vor knapp einer Woche wurde er von Anja Reschke, einer bekannten Journalistin des NDR, in der Tagesschau abgegeben. Leider sind ja auch die öffentlich-rechtlichen Medien nicht mehr oft für eine klare, menschenfreundliche Positionierung bekannt. Dieser Beitrag, der eigentlich nicht mehr als einfache Tatsachen und Selbstverständlichkeiten enthält, wurde von vielen Kommentatoren gelobt und positiv bewertet. Natürlich gab es auch die üblichen Hassmails, mit denen Frau Reschke aber bereits rechnete. Sie fand deutliche Worte über die Hetzcampagnen gegen Flüchtlinge:
“”Wenn ich mich jetzt hier hinstelle und öffentlich sage: Ich finde, Deutschland soll auch Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen – was glauben Sie, was dann passiert? … Ich bekäme eine Flut von Hasskommentaren. ‘Scheiß Kanacken, wie viel wollen wir noch aufnehmen, sollen abhauen, soll man anzünden …’, all sowas halt. Wie üblich. Bis vor kurzem haben sich solche Kommentatoren noch hinter Pseudonymen versteckt. Aber mittlerweile wird sowas längst unter Klarnamen veröffentlicht. Jetzt kann man sagen: ‘Ja gut, Idioten gibt es immer – am besten ignorieren.’ Aber es sind ja eben nicht nur Worte. Sondern es gibt sie ja schon – die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. … So kann es nicht weitergehen. Nun ist die eine Möglichkeit Strafverfolgung. … Aber das alleine reicht nicht. Die Hassschreiber müssen kapieren, dass diese Gesellschaft das nicht toleriert. Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kund tun.
Dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen: … Der letzte Aufstand der Anständigen ist 15 Jahre her. Ich glaube, es ist mal wieder Zeit.”
Besser kann man es nicht ausdrücken. Auch eine positive Bewertung auf Facebook reicht nicht aus, um diesem Kommentar gerecht zu werden. Was wäre denn, wenn es heute eine Demonstration für Flüchtlinge geben würde. Wieviele Menschen würden teilnehmen? Würde ich teilnehmen? Ja, wenn ich Assistenz bekäme, würde ich teilnehmen, allein um da gewesen zu sein, um zu sagen, dass mir alle Menschen willkommen sind, die wegen unerträglicher Lebensumstände haben fliehen müssen. Alle anderen Erwägungen kann man dann später debattieren, einschließlich der Frage, wie lange Flüchtlinge bleiben, welche Flüchtlinge wann wohin zurückkehren sollten und ähnliches. Für mich steht die Menschlichkeit, ja die Mitmenschlichkeit an oberster Stelle. Wir brauchen nicht nur einen Aufstand der Anständigen, sondern eine Massenbewegung der Menschen im wahrsten Wortsinne.